Bild: Nijas Karim
In einen länger andauernden Disput um Russlands Geschichte hat sich jetzt Präsident Wladimir Putin eingeschaltet. Er vertrat die Idee, "richtige", einheitliche Schulbücher zu dem Thema auszuarbeiten, um damit Toleranz und Einvernehmen zwischen den Nationalitäten zu fördern.
Allerdings ist die russische Geschichte keine, die alle versöhnen würde. Und eine Geschichtsschreibung, die der jetzigen Führung gefällt, wird garantiert nicht ehrlich sein, sondern könnte die Konflikte bei der "Völkerverständigung" nur verschärfen.
Putin erklärte, die Lehrbücher sollten "im Rahmen einer einheitlichen Konzeption, im Rahmen einer Logik der historischen Kontinuität und eines Zusammenhangs der unterschiedlichen Etappen sowie des Respektierens aller Kapitel der wechselhaften Vergangenheit" gestaltet sein. Was der Präsident da über den "Zusammenhang der Zeiten" sagt, ist sehr richtig. In Russland sprang man bisweilen mit der Geschichte um wie Jack the Ripper mit seinen Opfern. Was dazu führte, dass das historische Bewusstsein der Nation zerrissen und bruchstückhaft ist, dass wir nicht verstehen, wer wir sind und wohin wir gehen.
Bezüglich des Respektierens aller Seiten unserer Vergangenheit liegen die Dinge noch schwieriger. Ein normaler Mensch tut sich schwer damit, die Zarenmorde, die Deportation der Tschetschenen, die Stalin'schen Repressionen, die grausame Vergeltung Iwans des Schrecklichen an seinen Untertanen oder die Besetzung der baltischen Länder zu respektieren: Es gibt zahlreiche Kapitel in unserer Geschichte, die man kennen, jedoch nicht respektieren muss.
Putin zufolge soll an konkreten Beispielen gezeigt werden, "dass das Schicksal Russlands durch die Einigkeit verschiedener Völker, Traditionen und Kulturen geprägt wurde." Dagegen kann man nichts einwenden. Nur finden sich zahllose Beispiele dafür, dass diese "Einigkeit", gelinde gesagt, keine freiwillige war. "Die Schulbücher müssen in gepflegtem Russisch abgefasst und frei von inneren Widersprüchen sowie Doppeldeutigkeiten sein." Mit der Vermeidung innerer Widersprüche gerät man erst recht in einen Hinterhalt. Jedes Lehrbuch, das die "einzig richtige" Version der Ereignisse anbieten will, wird zwangsläufig andere verzerren. Dafür ist Russland zu komplex strukturiert: Die Einnahme der Stadt Kasan durch Iwan den Schrecklichen wird für die Tataren stets eine andere Bedeutung haben als für das imperiale Bewusstsein, mit dem sich Putin offenkundig geistesverwandt fühlt.
Ein fundamentales Hindernis für ein allgemein gültiges Schulbuch zur Geschichte Russlands ist auch das Fehlen klarer, allenthalben anerkannter Grundwerte. Wir sind außerstande zu formulieren, wozu unsere Geschichte gut ist.
Putin schlägt im Grunde vor, das neue Lehrbuch zu erdichten. Dabei wäre es besser, die historischen Ereignisse einfach nur darzustellen ohne irgendwelche erfundene Zutaten und ohne eindeutige Wertungen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!