Bild: Natalja Michajlenko
Vor fünfzehn Jahren, Mitte Mai 1998, fand in Birmingham zum ersten Mal ein Treffen der G8 statt – so nennt sich das informelle Forum der führenden Industrieländer der Welt, nachdem Russland sich diesem angeschlossen hat. In diesen anderthalb Jahrzehnten ist Moskau nicht nur Mitglied praktisch aller internationalen Gemeinschaften geworden, sondern konnte auch Erfahrungen mit der Präsidentschaft in den meisten dieser Gremien sammeln. Aber hat es (s)einen Platz im Kreis der führenden globalen Wirtschaftsmächte der Welt, den Ländern, die das Schicksal der Welt lenken, gefunden?
Der schwere Weg an den großen Tisch
Birmingham-98 war ein wichtiger Meilenstein für das moderne Russland. Seit dem Zerfall der Sowjetunion kämpfte der damalige russische Präsident Boris Jelzin darum, das Land zum Mitglied der elitärsten Gremien werden zu lassen und dadurch seinen symbolischen Status als Großmacht zurückzuerlangen.
Russland musste jedoch bereits drei Monate nach seinem Debut in Birmingham seine Zahlungsunfähigkeit erklären und wurde von der größten wirtschaftlichen und politischen Krise in seiner jüngeren Geschichte erfasst. Die Illusion, den restlichen, alteingesessenen Mitgliedern der Achtergruppe auf Augenhöhe zu begegnen, verflüchtigte sich sehr schnell. Denn die russische Regierung war nicht nur gezwungen, eine kurzfristige finanzielle Unterstützung bei den westlichen Ländern zu erbitten, sie wurde darüber hinaus letzten Endes auch abgewiesen.
Inzwischen fällt es schwer, sich daran zu erinnern. Russland hat sich von einem Nehmerland längst zu einem Geberland entwickelt und erörtert mit Ländern, die es früher einmal um Kredite angebettelt hatte, wie die europäische Einheitswährung oder einzelne Länder der Eurozone materiell unterstützt werden können. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Mitgliedschaft Russlands in diesem prestigeträchtigsten Gremium der Welt sind schon lange nicht mehr laut geworden.
Aber die Situation im Forum selbst und die Verhältnisse in dessen Umfeld haben sich seit dem Ende der Neunzigerjahre von Grund auf geändert – und nicht gerade zum Vorteil der Achtergruppe.
Mehr Schein als Sein
Mitte der Siebzigerjahre, als dieses Instrument zur informellen Absprache zwischen den fünf führenden Volkswirtschaften des Westens geschaffen wurde, beruhte dessen Erfolg darauf, dass die Teilnehmer unter sich waren und deshalb eine absolut offene und professionelle Diskussion über die aktuellen Probleme führen konnten. Mit der zunehmenden Erweiterung des Forums und einer wachsenden internationalen Aufmerksamkeit gegenüber den Gipfeltreffen verwandelten diese sich allmählich in eine politische Show.
Je transparenter das Umfeld, desto gefährlicher ist eine offene Meinungsäußerung, selbst bei nichtöffentlichen, aber multilateralen Treffen
– irgendwie dringt immer etwas nach außen. Ohne eine offene Diskussion verliert das Gremium jedoch seinen Sinn, zumindest den, den die Initiatoren dieser Gruppe bei ihrer Gründung vor Augen hatten.
Andererseits hat die grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses dazu geführt, dass die Treffen der Gruppe praktisch keine Ergebnisse mehr liefern. Früher oder später wurde allen Teilnehmern bewusst, dass eine Erörterung der globalen Wirtschaftsentwicklung ohne das Mitwirken Chinas wenig Sinn macht. Peking in die Achtergruppe aufzunehmen, erschien allerdings unangemessen, galt dieses Gremium doch als eine Gemeinschaft demokratischer Staaten.
Die Gründung der G20 mitten in der Krise des Jahres 2008 löste dieses Problem. Jedoch hat sich die Zwanzigergruppe nicht zu einer internationalen Regierung entwickelt. Auch wenn sie zu Beginn der Krise noch eine recht positive Rolle spielte, da allein das Zusammentreffen von Vertretern der zwanzig führenden Volkswirtschaften schon eine beruhigende Wirkung hatte. Das Forum verlor sich jedoch mehr und mehr in Protokollfragen.
Nichtsdestoweniger versucht jedes Land, das vorübergehend die Führung der G20 übernimmt, das Forum zu nutzen, um sich selbst als eine verantwortungsvolle, internationale Macht zu präsentieren. Gegenwärtig ist Russland an der Reihe.
Die Kunst, sich selbst zu präsentieren
In den vergangenen Jahren bot Russland mehrfach Initiativen zur Lösung globaler Probleme an, die allerdings nicht aufgegriffen wurden. Dafür gibt es zwei Gründe.
Zum einen hat Russland immer noch nicht gelernt, wie man in der heutigen Welt seine Führungsrolle demonstriert. Das liegt vor allem im Zusammenbruch der Sowjetunion begründet. Seitdem verspürt das Land ein Minderwertigkeitsgefühl. Zum anderen haben die russischen Politiker eine wichtige Kunst bislang noch nicht erlernt, die ihre westlichen Kollegen aber auf hervorragende Weise beherrschen: das Verpacken der eigenen egoistischen Interessen in eine altruistische Hülle.
Doch es gibt noch eine andere Seite. In der heutigen Welt funktionieren globale Initiativen einfach nicht mehr. Es fehlt sowohl die formale als auch die informelle Infrastruktur, um Vorhaben tatsächlich zu realisieren.
Heutzutage ist es so, dass gerade die Entscheidungen, die auf globaler Ebene getroffen werden, am schlechtesten wirken. Das beste Beispiel dafür ist das Scheitern der UN-Initiativen im Kampf gegen die globale Erwärmung, während jedoch überall auf nationaler Ebene Technologien zur
Verbesserung der Energieeffizienz und zum Senken des Treibhausgasausstoßes erfolgreich eingeführt werden – wohl weil diese mit konkreten Vorteilen verbunden sind und die Wettbewerbsfähigkeit stärken und nicht etwa der „Rettung der Menschheit" dienen.
In den fünfzehn Jahren, während derer Boris Jelzin Russland erstmals in der Achtergruppe als vollwertiges Mitglied vertrat, hat das Land die von der damaligen Regierung gestellte Aufgabe, seinen internationalen Status zu festigen, erfüllt, wenn nicht sogar übererfüllt. Aber wie die Rolle des Landes sich in den kommenden Jahren gestalten wird, ist vollkommen unklar.
Und wie bereits im Jahr 1998 ist für die Stellung Russlands in der Welt weniger bedeutend, wie sich das Land in internationalen Foren präsentiert, sondern vielmehr, wie es seine reale wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung gestaltet.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei der Zeitschrift "Ogonjok".
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