Bild: Alexej Jorsch
Der Golfstaat Katar hat einen neuen Emir. Zunächst einmal bedeutet dies, dass Katar von völlig anderen Politikern als zuvor regiert werden wird – von Pragmatikern und Technokraten. Diese entstammen dem Clan des neuen Staatschefs Hamad al-Attiyya. Das Oberhaupt dieses Clans, Abdullah ibn Hamad al-Attiyya, gilt als der Architekt des Wirtschaftswunders von Katar. Insbesondere hat er das sehr wichtige Entwicklungsprogramm für den Gassektor auf den Weg gebracht. Es ist kein Geheimnis, dass er lange Zeit ein großer Gegner des derzeitigen Ministerpräsidenten und Außenministers von Katar, Scheichs Hamads-bin-Jassim, gewesen ist. Dieser wird verdächtigt Schmiergelder in Milliardenhöhe angenommen zu haben. Er wird auch als ein Hauptinitiator der machtpolitischen Expansion von Katar angesehen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass der Austausch des Ministerpräsidenten zu einer der ersten Entscheidungen des neuen Emirs gehört hatte. Den Posten von Hamads-bin-Jassim hat der bisherige Chef des Innenministeriums eingenommen.
Noch wichtiger aber ist, dass der Machtwechsel in Katar mit der Hoffnung auf eine Änderung der Außenpolitik verbunden ist – vor allem im Verhältnis zu Syrien. Die Schlüsselrolle Katars im „arabischen Frühling“ wird inzwischen von fast keinem Experten mehr angezweifelt. Dem Palast nahestehende Kreise erzählen hinter vorgehaltener Hand, wie der Emir vor ein paar Jahren einen seiner Berater aus Spaß gefragt hat, ob er denn nicht für die Absetzung irgendeines arabischen Staatsoberhaupts sorgen solle. Vor dem Hintergrund dieser Aussage sprachen Experten sogar davon, dass Katar mit der Türkei und Saudi Arabien um die Vorherrschaft in der sunnitischen Welt konkurriert.
Katars aktive Außenpolitik belastet jedoch die Wirtschaft des Landes. Viele Milliarden US-Dollar werden für außenpolitische Aktivitäten ausgegeben, wohingegen wichtige Infrastrukturprojekte im Inland auf der Strecke bleiben.
Katar konnte auch früher nicht behaupten, von der arabischen Welt geliebt zu werden. Diese Abneigung hat sich inzwischen in einigen Ländern – insbesondere in Libyen – in offenen Hass umgewandelt. Nicht gerade Förderlich für die Popularität Katars ist zusätzlich sein Ruf, ein Sponsor für radikale Islamisten zu sein. Man sagt Doha nach, junge Demokratien belehren zu wollen, wie sie ihre Gesellschaft zu gestalten haben.
Der Westen will die Einmischung Katars in die Nahostpolitik nicht weiter tolerieren. Wer hat schon Bedarf an einer weiteren unberechenbaren Variablen in der ohnehin schon komplizierten Nahost-Gleichung? Sowohl für die USA als auch für die EU stellen sich die Ergebnisse des „arabischen Frühlings“ recht durchwachsen dar. Die Stabilität in Tunesien, Ägypten und Libyen ist mit einem Fragezeichen behaftet. An der israelischen Grenze ist es ebenfalls unruhig. Saudi Arabien, das de facto die arabische Welt anführt, beobachtet das extravagante Vorgehen Katars und den Führungsanspruch seines Regenten mit größter Aufmerksamkeit. Unter diesen Umständen können Katars Nachbarn und Verbündeten die Machtübernahme durch den eher vorsichtigen und pragmatischen Tamim bin Hamad Al Thani nur begrüßen.
Wegen der aufgeführten Gründe kann man nur schwer jenen russischen Experten zustimmen, die ein weiteres Anwachsen der außenpolitischen Aktivität Katars voraussagen. Es versteht sich von selbst, dass Scheich Tamim die Unterstützung der Opposition in Syrien nicht gänzlich einstellen wird – das wäre ein zu großer Rückschlag für das Prestige seines Landes. Aber die Ambitionen des Landes werden wohl ein wenig zurückgefahren. Wahrscheinlich wird Katar die Bürde der Lösung des Syrienkonflikts in die Hände Saudi Arabiens legen. Langfristig könnte das sogar bedeuten, dass die syrische Opposition eine etwas konstruktivere Haltung bei den Verhandlungen mit Bashar Saddad einnehmen könnte. Es besteht zudem die Hoffnung, dass den radikalen Islamisten in Syrien wesentlich weniger Geld, Waffen und Söldner zuteilwerden. Bisher war Katar ihr größter Unterstützer.
Somit entfällt möglicherweise ein Faktor, der die Beilegung des Konflikts bisher behindert hat. Gleichzeitig würde sich ein Teilrückzug Katars aus dem Konflikt in Syrien positiv auf die Beziehungen zu Moskau auswirken. Denn damit würde einer der größten Reizfaktoren wegfallen.
Für Russland bedeutet die Machtübernahme Tamims eine neue Chance, die Beziehungen zu Katar im Erdgassektor auszubauen. Möglichweise müsste also kein Preiskrieg geführt werden, den zu gewinnen Moskau zurzeit ohnehin nicht in der Lage ist. Stattdessen könnten beide Länder hinsichtlich einer vorteilhaften Preispolitik im Brennstoffsektor miteinander kooperieren. Eine erste Prognose lässt sich wahrscheinlich am 2. Juli abgeben. Dann präsentiert sich der neue Emir auf dem Gipfeltreffen der OPEC-Staaten in Moskau erstmals der Weltöffentlichkeit.
Russland hat offiziell seinen Optimismus hinsichtlich der Beziehungen zu Katar verkündet. Am 26. Juni teilte das Außenministerium der Russischen Föderation mit, dass Moskau mit einer „weiteren Ausgestaltung der bilateralen Zusammenarbeit“ mit Katar rechne. „Wir zählen im Interesse der Völker unserer beiden Länder auf eine Fortsetzung und Festigung des politischen Dialogs zwischen Russland und Katar, auf die Sicherung eines dauerhaften Friedens, auf Stabilität und Sicherheit im Persischen Golf und im Nahen Osten“, heißt es in der Mitteilung des Ministeriums.
Eine solche Erklärung sollte natürlich auch durch eine entsprechende diplomatische Geste unterstrichen werden. Das Außenministerium der Russischen Föderation beabsichtigt wieder einen Botschafter nach Katar zu entsenden. Dessen Vorgänger war vor zwei Jahren nach einem Skandal abgezogen worden.
Der AutorNikolai Surkow ist Dozent am Moskauer Institut für internationale Beziehungen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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