Raketen in Kaliningrad: Überbleibsel aus dem Kalten Krieg

Bild: Alexej Jorsch

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Russland reagiert auf den europäischen Raketenschild und lässt seinerseits schwere Raketensysteme stationieren. Ein Konflikt mit Europa gilt aber für niemanden als realistisches Szenario. Der Fokus liegt woanders.

Es ist kaum verwunderlich, dass Russland seine taktischen Raketensysteme „Iskander" an der Grenze zur Europäischen Union platziert. Die russische Führung hat mehr als einmal versprochen, die „Iskanders" als Gegenmaßnahme zum europäischen Raketenschild aufzustellen. Irgendwann musste es passieren.

Die Diskussion über die europäische Sicherheit ist bedrückend. Die Welt verändert sich. Europa wird zur strategischen Peripherie, in Ostasien reifen ernsthafte Gegensätze. Die Ansage Pekings, Luftkontrollzonen im Ostchinesischen Meer einzurichten, hat für Aufruhr in der Region und darüber hinaus gesorgt. Die koreanische Halbinsel befindet sich in einem Zustand der Dauerspannung und erhöhten Kriegsbereitschaft. Umso mehr, weil der Norden, dessen Raketen in den Süden zielen, gerade heftig durchgeschüttelt wird. Der einflussreiche Onkel des Machthabers ist aus dem Spiel; nun zerbricht man sich die Köpfe, wie es weitergehen soll. Auch im Nahen Osten ist es nicht besser. Dort könnte bald die Stunde schlagen und Grenzen neu gezeichnet werden: Syrien, Irak und anderswo.

Vor diesem Hintergrund fahren Russland und die NATO fort, einander finstere Gesichter zuzuwenden und symbolische Gesten auszutauschen. Ich würde wetten: Auch die überzeugtesten Falken im Pentagon oder auf dem Arbat-Platz in Moskau können sich nicht vorstellen, dass es in Europa zu einem bewaffneten Konflikt unter Teilnahme der großen Mächte kommen wird. Und das ist der Grund, warum man so gelassen und ohne Rücksicht auf mögliche Folgen riskiert, amerikanische Flugabwehrraketen

in Europa zu installieren, oder darauf mit der Stationierung von Raketenkomplexen entlang des Verantwortungsbereichs der Allianz zu antworten. Wäre eine Konfrontation real, hätte man hundert Mal überlegt, ob das nicht zu riskant wäre.

Die Militärs und Berufsstrategen schauen gerne in die Vergangenheit: Sie bereiten sich auf Kriege vor, die sie kennen, und sehen den Gegner, den sie kennen. Russland macht es vielleicht offener, die USA tarnen ihre Nostalgie nach dem Kalten Krieg mit einer mythischen iranischen Bedrohung. Daran erinnerte Wladimir Putin in der Föderalversammlung.

Doch der größte Konflikt des 21. Jahrhunderts schwelt woanders: auf dem Pazifischen Ozean. Auch darüber sprach der Präsident. Das heißt, dass man dem Feind mit den „Iskanders" rein symbolisch drohen wird, das echte Potenzial hingegen auf Fernost ausgerichtet werden muss. Damit man uns dort zumindest nicht vergisst.

Fjodor Lukjanow ist Vorsitzender des Präsidiums für Außen- und Verteidigungspolitik.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant.

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