An der Schwelle zum nächsten Kalten Krieg

Wie weit treiben Russland und der Westen politisch noch auseinander? Wie sieht der Moment aus, wenn beide Seiten eingestehen, dass sie ihr Verhältnis neu bewerten müssen? Politikwissenschaftler Georgij Bowt meint, der „Kalte Krieg II“ ist, wenn noch nicht angebrochen, zumindest vorhersehbar.

Bild: Konstantin Maler

Man betrachte nur die Ukraine. Ich denke, dass die Politiker und Beamten der EU die Entschlossenheit des Kremls und die Putins darin, die europäische Integration im Osten zu stoppen, sehr unterschätzen. Die „Europabeamten" können sich so sehr aufregen wie sie wollen, aber wenn sie persönlich auf dem „Euro-Maidan" mit Victoria Nuland auftreten, ist das für die politische Elite in Moskau nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Europäische Integration gegen Russland gerichtet ist.

Die Europäische Integration wird im Einklang mit den Wünschen der NATO vorangetrieben, die mit ihren Panzern und Raketen in der Nähe von Belgorod und bei Kursk stehen und eine globale Raketenabwehr unweit des russischen Hoheitsgebiets unterhalten. An eine reine Friedfertigkeit und Verteidigungshaltung glaubt im Kreml keiner mehr.

Der mögliche „Verlust der Ukraine" wird von den Herrschenden in Russland als existentielle Bedrohung für den russischen Staat angesehen. Seinerzeit, als die Vergrößerung der NATO gen Osten insbesondere durch die Aufnahme Georgiens geschah, wurde es vom Kreml als unzulässige Bedrohung gesehen, und keiner im Westen hat ernsthaft erwartet, dass Moskau so leicht Kriegshandlungen anfängt. Es kam anders, Russland war bereit zu einem Sturm auf Tiflis, obwohl die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen besser waren, als jetzt.

Ob die EU-Politiker sich dessen bewusst sind, wenn sie ein Gespräch mit Russland über und auch mit der Ukraine ablehnen?

Putin ist natürlich nicht der Lieblingspolitiker des Westens, genauso wie das von ihm angeführte Regime nicht die Verwirklichung einer westlichen Demokratie ist. Aber heißt das, dass man Putins Russland zielgerichtet international isolieren muss? Jedenfalls befürworten das viele innerhalb der regierenden Klasse Europas. Wenn absolut offizielle Beamte der EU zu einem Boykott der Spiele in Sotschi aufrufen, will man nachfragen: Hat Moskau denn wieder die Streitkräfte nach Afghanistan geschickt?

Die westlichen Medien dämonisieren Putin oft. Gleichzeitig sieht die russische Öffentlichkeit mit Unverständnis, wie warmherzig der neue iranischen Präsident Rohani begrüßt wird. Liegt es allein daran, dass er mit Obama telefonierte und nicht jeden Tag, so wie sein Vorgänger, den Holocaust leugnet? Der Grund ist, dass er Bereitschaft signalisiert hat, über das Atomprogramm zu sprechen. Mit der Umarmung des iranischen Innenministers durch US-Außenminister Kerry bekam Teheran, man überlege das mal, ein Recht auf ein eigenes Atomprogramm.

Für die Weltpolitik heißt die Konsequenz also: Je schlechter man sich bisher benommen hat, desto freudiger spricht man mit dir, kaum hast du nur angedeutet, dass du den Weg der Besserung beschreiten würdest. Das sind recht fragwürdige und gefährliche Anreize für Staaten und ihre Staatsmänner.

Präsident Putin weiß natürlich noch nicht, wie weit er in der Diskussion mit dem Westen zu gehen bereit ist. Aber seine aktuellen Entscheidungen

zeigen, dass er, schwer enttäuscht vom Westen, sich auf diese Auseinandersetzung vorbereitet. Logisch scheint die vorangetriebene Neubewaffnung der Armee. Auch eine Forderung nach mehr ausländischen Investitionen kam in keiner Ansprache Putins 2013 vor. Im Gegensatz, er spricht über den Rückkehr des russischen Kapitals ins eigene Land.

Viele derer, die für die Politik gegenüber Russland, eigentlich dem gesamten postsowjetischen Raum verantwortlich sind, gehen davon aus, dass Russland schwach ist. Und deshalb wird der Kreml irgendwann schwach werden, seine nächste Niederlage hinnehmen und immer weiter mit seinem Machtanspruch in Richtung Osten weichen. Argumente, die diese These unterfüttern, sind rationale wirtschaftliche Planungen und die Gegenüberstellung technischer Möglichkeiten. Aber was, wenn die Rationalität nicht der richtige Ratgeber in diesem Fall ist und diese sogenannten Experten sich irren?

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru

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