Ausweg aus der Syrien-Krise nicht in Sicht

Der Erfolg der Friedenskonferenz in Genf hängt von vielen Faktoren ab. Sowohl der Iran als auch die russisch-amerikanischen Machtspiele werden Einfluss haben.

Bild: Konstantin Maler

Die Friedenskonferenz in Genf ist das spannendste Ereignis im Bereich der Diplomatie seit dem Ende des Kalten Krieges. Einerseits ist sie ein Beispiel für die Zusammenarbeit der Großmächte, vor allem zwischen Russland und den USA, die – jeder aus eigenen Beweggründen – diesen regionalen Konflikt lösen wollen. Andererseits ist es ein „großes Spiel", bei dem sich alle Teilnehmer davor fürchten, auf das falsche Pferd zu setzen und etwas zu verpassen. Und bei all dem lässt sich nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Prozess selbst nicht voraussagen – bis zum letzten Moment war nicht klar, wie der Teilnehmerkreis aussehen wird. Als Stein des Anstoßes erwies sich Teheran.

Zwei Prozesse – die Beilegung des Syrienkonflikts und die Klärung des iranischen Atomproblems – haben sich nahezu in einen einzigen verwandelt. Der Syrienkonflikt hat zu einer spürbaren Annäherung von Russland und dem Iran geführt. Bisher herrschte im Iran die Überzeugung, dass Russland sich natürlich nicht im Fahrwasser der Politik des Westens bewegen möchte und sich auf jede nur erdenkliche Weise davor sträubt. Aber wenn es hart auf hart kommt, zieht das Land im entscheidenden Moment den Schwanz ein, um es sich nicht mit den Vereinigten Staaten zu verderben. Die nunmehr schon drei Jahre andauernde, kompromisslose und konsequente Linie Moskaus in der syrischen Frage ist für Teheran eine angenehme Überraschung.

Die prinzipielle Übereinstimmung der Ansichten Moskaus und Teherans in der Auffassung, dass ein gewalttätiger Machtwechsel in Damaskus unzulässig sei, hat unterschiedliche Ursachen. Für den Iran ist dies eine Frage des regionalen Kräfteverhältnisses und der eigenen Sicherheit, für Russland dagegen das Einstehen für bestimmte Prinzipien der internationalen Staatengemeinschaft und die Verweigerung, sich dem Druck der USA zu beugen. Das Zusammenfallen dieser Ziele hat sich als äußerst stabile Verbindung erwiesen.

 

Die Vorzeichen stehen gut für Russland

Vom Standpunkt Russlands und des Irans aus betrachtet wird das Ergebnis der Genf-II-Konferenz, wenn es überhaupt eines geben wird, ein Erfolg werden. Denn vor Kurzem noch waren die meisten Menschen in der Welt fest davon überzeugt, dass das Assad-Regime jeden Moment

zusammenbrechen werde. Inzwischen ist die syrische Opposition gezwungen, wenn auch zähneknirschend, mit der Regierung zu verhandeln, und es lässt sich nur schwer sagen, wessen Position die stärkere ist.

Zudem hat sich seit dem Moment, als Sergej Lawrow und John Kerry im vergangenen Jahr vereinbarten, Genf II vorzubereiten, die Tagesordnung der Konferenz geändert. Inzwischen ist die Rede davon, den Kreis der Gruppen festzulegen, die bereit sind, über die Zukunft eines einigen und säkularen Syriens zu sprechen. Es ist klar, dass die fundamentalistisch islamischen Gruppierungen daran kein Interesse haben. Auf Seiten der Regierung existieren ebenso Kräfte, die ausschließlich auf einen militärischen Sieg setzen. Ein Erfolg der ersten Etappe von Genf II wäre es bereits, wenn sich entsprechende Dialogpartner fänden. Danach müsste festgelegt werden, worüber sie überhaupt verhandeln wollen.

Der Streit darüber, ob der Iran zu der Konferenz eingeladen werden solle oder nicht, hat gezeigt, dass die Syrienfrage nicht das einzige Problem ist. Eigentlich ist bereits die Fragestellung, ob das Land, das den größten Einfluss auf die Situation in Syrien hat, an den Gesprächen teilnehmen soll oder nicht, recht absurd. Unter diesen Bedingungen braucht man die Gespräche gar nicht erst zu beginnen.

Aber auf dem Spiel steht natürlich nicht nur Syrien, sondern auch die Beziehung zwischen den USA und dem Iran. Der Versuch, den Obamas Stab unternommen hat, um diese qualitativ zu verändern, stößt auf Widerstand – sowohl in den USA selbst als auch bei den amerikanischen Verbündeten im Nahen Osten. Auch wenn die Vorteile des Ausstiegs aus dieser langjährigen Sackgasse nicht unbedeutend wären, ist doch das gegenseitige Vertrauen zu gering, und Washington fürchtet sich davor, einen Fehlschlag zu erleiden.

 

Washington fürchtet Stärkung des Irans

In Moskau nimmt man an, dass die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten unweigerlich zu einer Stärkung des Irans führen werden. Die Änderung des amerikanischen Kurses sei deshalb kein Zufall, sondern die Anerkennung eben dieser Tatsache. Deshalb sind belastbare Beziehungen mit einem der einflussreichsten Länder der Region, die auch auf Zentralasien und den Südkaukasus ausstrahlen, besonders wichtig. Zudem wäre eine Festigung

der russischen Position auf dem iranischen Markt, der im Falle einer erfolgreichen Aussöhnung von Unternehmen aus den USA und Europa erobert werden würde, nicht nur von Vorteil, sondern sogar zwingend notwendig. Dies erklärt die Gerüchte über einen möglicherweise stattfindenden großangelegten Deal: iranisches Erdöl im Tausch gegen Erzeugnisse des russischen Maschinenbaus. Eine offizielle Bestätigung wurde zwar nicht veröffentlicht, aber vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wäre eine solche Abmachung nachvollziehbar.

Das ruft konsequenterweise eine extreme Verstimmung in Washington hervor, wo man verlautbaren lässt, dass das Vorgehen Russlands Anstrengungen zur Lösung des iranischen Problems torpediere, weil, so der tiefere Sinn der Stellungnahme, dies den Druck auf Teheran verringere. In Wirklichkeit ist eine ganz andere Befürchtung zu spüren: dass durch ein Auftauen der Beziehungen zwischen den USA und dem Iran nur einer gewinnt – Russland.

Aus russischer Sicht ist in dem Versuch, diese Abmachung mit dem Iran zu treffen, nichts speziell Antiamerikanisches zu finden. Moskau geht davon aus, dass Russland und die Vereinigten Staaten keine engen Verbündeten sind und dies in absehbarer Zeit auch nicht sein werden. Deshalb sollte man auch nicht erwarten, dass die eigenen Interessen wegen dieser Partnerschaft geopfert werden. Aber wenn man diese Interessen unter einen Hut bringen könnte, so würde auch einer engeren Partnerschaft

nichts im Wege stehen. Das heißt, die zwei Großmächte stehen sich weder feindlich noch freundschaftlich gegenüber, sondern existieren mehr oder weniger unabhängig voneinander.

Die Vielfalt der Faktoren und Umstände sowie die Verquickung von Konkurrenz und Zusammenarbeit lassen Genf II zu einem wahrhaft ergreifenden Prozess werden. Syrien ist ein Spiel mit offenem Ausgang. Der Westen und seine Verbündeten haben – im Unterschied beispielsweise zu dem Konflikt auf dem Balkan vor 15 Jahren – keine klare Vorstellung, was sie eigentlich wollen. Ja, und auch die Chancen, den anderen die eigenen Wunschszenarien zu oktroyieren, sind gegenwärtig eher gering – das Kräfteverhältnis ist mittlerweile ein vollkommen anderes. Alles wird vom diplomatischen Geschick, der Genauigkeit der Lageanalyse und der Intuition abhängen, die für einen Spieler mitunter entscheidender ist als die Karten, die er auf der Hand hält.

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