Driftet Russland Richtung China ab?

Bild: Konstantin Maler

Bild: Konstantin Maler

Wie hart werden die Sanktionen für Russland ausfallen? Politikexperten streiten sich, ob westliche Strafmaßnahmen Russland und China zusammenwachsen lassen und ob Russland seinerseits dem Westen mit Druckmitteln begegnen kann.

Fjodor Lukjanow: Würde der Westen eine russisch-chinesische Allianz hinnehmen?

Fjodor Lukjanow: Würde der Westen eine russisch-chinesische Allianz hinnehmen?

Die G-7-Staaten wollen sich in Zukunft ohne Russland treffen. Ihre Regierungen drohen mit einer scharfen Reaktion auf die Angliederung der Krim, bis hin zur vollständigen internationalen Isolierung Russlands. Aber ist eine Isolation Russlands überhaupt ein reales Szenario?

Der Vorhang ist gefallen. Die Hoffnung des Westens, dass das Referendum auf der Krim lediglich eine taktische Finte zur Erhöhung des Einsatzes sei, hat sich zerschlagen. Die Drohungen des Westens müssen nun auch in die Realität umgesetzt werden. Allerdings gibt es noch keinerlei Erfahrung mit wirksamen Sanktionen gegen eine atomare Supermacht, deren Territorium einen Großteil der Fläche Eurasiens ausmacht, die auch weiterhin über großen Einfluss in der gesamten Welt verfügt und die ein gigantisches Rohstoffreservoir darstellt.

Ist eine Isolierung Russlands, von der gegenwärtig die Rede ist, überhaupt möglich? Von einer vollständigen Abnabelung kann natürlich nicht die Rede sein. Erstens ist es unmöglich, ein solch großes und bedeutendes Land zu ignorieren. Zweitens würden selbst die schärfsten Sanktionen des Westens, mit denen dieser sich unterm Strich nur selbst schaden würde, keine globale Blockade bedeuten. Der größte Teil der Menschheit – in

Asien, im Nahen Osten, in Lateinamerika – beobachtet mit angehaltenem Atem, wie der US-amerikanischen Dominanz erstmals seit den Achtzigerjahren der Fehdehandschuh zugeworfen wird.

Eine offizielle Anerkennung der Krim-Angliederung erwartet Moskau ernsthaft wahrscheinlich von niemandem. Wie auch China, Brasilien oder sogar der Iran zur Ukraine stehen mögen – niemand hat Bedarf an einem anerkannten Präzedenzfall, den das Herauslösen eines Teils eines von den Vereinten Nationen anerkannten Staates darstellt. Für viele ist allerdings der Gedanke interessant, dass Russland beginnen könnte, eine vollkommen unabhängige Rolle in der Arena der Weltpolitik zu spielen, ohne die Reaktion des Westens berücksichtigen zu müssen. Das könnte das globale Kräftegleichgewicht nachhaltig verändern. Für Peking zum Beispiel kann eine solche Zukunftsaussicht durchaus wünschenswert sein.

Eine antirussische Mobilisierung ist denkbar, zumal der Westen erstmals seit 25 Jahren damit konfrontiert wird, dass ein Land sich ganz offen weigert, nach Spielregeln zu handeln, die nach dem Kalten Krieg formuliert wurden. Die Sanktionen sind auf die Schädigung der russischen Wirtschaft ausgerichtet, und hierbei gibt es viele Möglichkeiten. Aber es existieren auch andere Szenarien. Natürlich wird die erste Reaktion drastisch ausfallen. Aber wenn Russland beginnt, sich ernsthaft in Richtung Osten zu orientieren, werden die realistisch eingestellten Strategen wohl anfangen, die Frage umzuformulieren. Denn was ist wichtiger: die Kontrolle der Ukraine, die bei Weitem nicht die oberste Priorität für die USA spielt, oder das Verhindern einer russisch-chinesischen Allianz, die die Positionen der USA ernsthaft gefährden würde? Es könnte sich also plötzlich herausstellen, dass eine freie Ukraine für den Westen eher ein Pyrrhussieg ist.

Der Autor ist Politologe und Vorsitzender des Russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant

Wladimir Kolosow: Eine Orientierung nach Osten braucht Zeit

Wladimir Kolosow: Eine Orientierung nach Osten braucht Zeit

Ich fürchte, dass der Optimismus bezüglich möglicher Sanktionen durch den Westen verfrüht ist. Tatsächlich hat es bislang noch nie großangelegte Sanktionen gegen ein solch großes und in die Weltwirtschaft integriertes Land wie Russland gegeben. Aber auch die Herausforderung, die von Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion hinsichtlich der globalen geopolitischen Ordnung ausgeht, trägt einen kritischen Charakter und wird zweifelsohne zum Zusammenrücken des gesamten Westens führen.  
 
Es ist äußerst wahrscheinlich, dass die Folgen der Sanktionen sich nicht unmittelbar auf Russland auswirken werden: Die wirkungsvollsten Maßnahmen bedürfen einer entsprechend großen Vorbereitungszeit und

werden dem Westen selbst teuer zu stehen kommen.

Es wird eher so sein, dass die USA und ihre Partner – wie schon in den Achtzigerjahren – auf eine Senkung der Weltmarktpreise für Erdöl, Erdgas und andere Rohstoffe zielen, was auch durch die objektiven Entwicklungstendenzen in den Volkswirtschaften der Industriestaaten – die Verringerung des Energie- und Materialverbrauchs sowie die Diversifizierung der Energiequellen – unterstützt wird. Die Europäische Union ist bemüht, die bereits beschlossenen Maßnahmen zur Suche nach alternativen Lieferanten fossiler Brennstoffe und der Errichtung von Terminals zur Abfertigung von Öltankern mit Flüssiggas aus den USA, Nordafrika und anderen Regionen zu beschleunigen.
 
Außenwirtschaftliche Faktoren, die für Russland sowohl aus politischer als auch aus ökonomischer Sicht sehr bedeutend sind wie der Rüstungsexport und die wissenschaftlich und technische Zusammenarbeit, beispielsweise der Bau von Kernkraftwerken im Ausland, sind äußerst sensibel gegenüber politischen Veränderungen. Es ist zu erwarten, dass die Regierungen westlicher Mächte den Druck auf die bestehenden und die potenziellen russischen Partner schlagartig erhöhen werden. Sanktionen wirken sich allerdings auch auf die großen Investitionsprojekte führender westlicher Unternehmen in Russland aus. Es ist nicht auszuschließen, dass diese für lange Zeit auf Eis gelegt werden.

Änderungen der Visa-Politik, sowohl offizielle als auch verdeckte, wie zum Beispiel die drastische Erschwerung der Bearbeitung, werden nicht nur Beamte, sondern auch das einfache russische Volk treffen.

Das Umschwenken Russlands „nach Osten“ ist allerdings auch keine simple Prozedur, die zudem mit großen Aufwendungen verbunden ist. Für eine nennenswerte Erweiterung des Exports von Energieträgern nach China und in andere Länder des asiatisch-pazifischen Raums steht überhaupt keine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung. Deren Errichtung erfordert Zeit und massive Investitionen – zu all diesen Entscheidungen muss man erst einmal bereit sein.  



Der Autor ist Professor und promovierter Geograf, Leiter des Zentrums für geopolitische Forschungen des Geografischen Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Ehrendoktor der Universität Le Havre (Frankreich) sowie Präsident der Internationalen geografischen Gesellschaft. Er schreibt exklusiv für RBTH.

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