Moskau und Peking: Schulterschluss zweier Großmächte

Bild: Alexej Iorsch

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Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise baut Russland seine strategische Partnerschaft mit China aus. Beide Seiten brauchen einen starken Partner, doch Moskau müsse aufpassen, dass es dabei keine untergeordnete Rolle spielt, warnt Fjodor Lukjanow.

Dem China-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putins im Mai, der bereits lange vor den aktuellen Ereignissen rund um die Ukraine feststand, ging der Ruf voraus, richtungsweisend zu werden. Die Veränderung des internationalen Kontexts in den vergangenen Monaten und der aufkommende Konflikt zwischen Russland und den USA lassen die Delegationsreise fast schon als Wendepunkt in der Geschichte der russisch-chinesischen Beziehungen erscheinen. Die vielzähligen Abkommen und Verträge, die für das Treffen in Schanghai vorbereitet wurden, waren bereits ein deutliches Zeichen für die Ernsthaftigkeit der russischen Bemühungen. Die gemeinsamen Flottenmanöver der beiden Länder gaben der restlichen Welt zudem ein Signal über eine mögliche Partnerschaft in der militärisch-strategischen Sphäre.

 

Der starke Partner im Osten

Eine Annäherung zwischen Russland und China hat – neben dem natürlichen Streben der Nachbarländer nach einer Festigung und Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen – nun auch ganz spezielle Gründe.

Die USA haben die Ukraine-Krise zum Anlass genommen, der Welt ihr

Einflusspotenzial gegenüber Russland zu präsentieren. Dieses besteht nicht so sehr in den bereitstehenden atomaren Sprengköpfen oder Flugzeugträgern, die im Schwarzen Meer patrouillieren, sondern in ihrer Befähigung, wirtschaftliche „Schlüssel“ der Globalisierung für ihre Zwecke zu nutzen. Dies wird durch die Tatsache begünstigt, dass die heutige Weltwirtschaft ein Produkt des US-amerikanischen Systems ist und von den USA kontrolliert wird. Jedoch sind nicht einmal die USA in der Lage, ein Land wie Russland vollständig von der Außenwelt zu isolieren. Gleichwohl können sie Russland den Zugang zu den Weltmärkten sowie den Finanz- und Technikressourcen deutlich erschweren. Aus diesem Grund braucht Russland Alternativen, die dem Land erlauben, von dem Druck der USA unabhängige Wege der eigenen Entwicklung zu gehen.

Über eine Schwerpunktverlagerung nach Asien reden Experten schon seit längerer Zeit, die Krise rund um die Ukraine hat diesen Prozess nur beschleunigt. Eine Annäherung an China stellt dabei jedoch nicht nur einen ernsthaften und richtungsweisenden Entschluss, sondern auch ein sehr schwieriges Unterfangen dar. Die Volksrepublik ist so mächtig, dass jeder Partner – sei er auch so groß wie Russland – mit der Gefahr konfrontiert wird, nur eine untergeordnete Rolle im Rahmen der Partnerschaft zu spielen. Dabei geht es nicht einmal um den bösen Willen Pekings, sondern eher um ein objektives Verhältnis der wirtschaftlichen Potenziale. Ein Garant der Wahrung einer unabhängigen Position gegenüber China sind die politischen Ressourcen, über die Russland verfügt. Moskau zeigte sich bislang als der aktivere und auffälligere Spieler auf der Weltbühne. China holt in diesem Bereich zwar auf, riskiert es bislang jedoch nicht, sein wirtschaftliches Gewicht auf politische Handlungen zu übertragen.

Die Sicherung einer eigenständigen russischen Position bei einer Annäherung an China sollte sich deshalb auf drei Komponenten stützen. Erstens muss Russland eine möglichst allgemein gehaltene asiatische Strategie verfolgen, die sowohl innenpolitische Aspekte, wie die Entwicklung Sibiriens und des Fernen Ostens, als auch außenpolitische Aspekte, wie eine stärkere Positionierung in der asiatisch-pazifischen Region, einschließen sollte.

Zweitens sollte Russland die Beziehungen zu anderen wichtigen Spielern im asiatischen Raum parallel ausbauen, von Japan und Südkorea über Indien und Vietnam bis hin zu Singapur und Indonesien. Einige dieser Staaten sind durch Verpflichtungen an die USA in ihrer Handlungsweise eingeschränkt, wodurch die Situation in Asien sehr verstrickt ist. Jedoch sind die beteiligten Staaten potenziell durchaus an einer Diversifizierung interessiert. Russland kann sich in Asien den notwendigen Spielraum nur dann verschaffen, wenn es sich nicht nur auf China als Partner festlegt.

Drittens hat Russland, im Gegensatz zu China, eine große Führungserfahrung, nicht im Sinne einer Hegemonie wie im Fall der USA, sondern hinsichtlich der Formulierung von Ideen mit einem globalen Charakter – Ideen, die es ermöglichen, andere Staaten dazu zu bewegen, sich einer „Kampagne“ im globalen Maßstab anzuschließen. China hat

in diesem Bereich, insbesondere wegen seiner kulturellen Eigenheiten, nicht so viele Erfahrungen. Zwar hat auch Moskau die Fähigkeit zu führen während der postsowjetischen Phase zeitweise verloren. Nichtsdestoweniger ist das Land jedoch in der Lage, eine alternative Sichtweise auf die Weltordnung zu formulieren, insbesondere vor dem Hintergrund der Risiken, die eine US-zentrierte Welt in den vergangenen Jahren offenbart hat. Dazu zählen einerseits der Skandal um Edward Snowden, andererseits die offensichtliche Kraftdemonstration der USA gegenüber Russland in den letzten Wochen, die unter Einbeziehung globaler Institutionen geführt wird. Wenn Russland in der Rolle des Designers einer „alternativen“ Globalisierung auftritt, wird es seinen wirtschaftlichen Rückstand gegenüber China ausgleichen können.

 

Ein starker Partner im Westen

Man sollte jedoch keinesfalls den Eindruck gewinnen, dass die Annäherung zwischen Russland und China vordergründig für Moskau relevant ist und Peking Moskau nur aus reiner Gnade an sich heran lässt. Vielmehr ist man auch in China über die aktuellen Geschehnisse besorgt, im Zuge derer eine gewisse Instabilität zutage tritt. Umso mehr, als dass sich diese Ereignisse in der Nähe der chinesischen Grenzen abspielen. Die Ausrichtung Washingtons hin nach Asien ist, unabhängig von der Etikette gegenüber China, natürlich gegen den wachsenden Einfluss Chinas gerichtet. Viele der territorialen Konflikte Pekings mit seinen Nachbarn, die sich lange Zeit im Ruhemodus befunden haben, verschärfen sich nun zusehends. Parallel zu Putins Besuch in Schanghai heizte sich beispielsweise die Atmosphäre mit Vietnam auf. Dort mussten sogar chinesische Staatsbürger evakuiert werden. Japan und die Philippinen sind weitere Konfliktherde.

Dazu kommen die hitzigen Streitereien über die chinesische Wirtschaftsentwicklung. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich und Experten stellen ungünstige Prognosen, während das unbehindert schnelle Wachstum ein Garant der Stabilität des politischen Systems und der Macht der Kommunistischen Partei Chinas darstellt. Deshalb ist die Verbesserung der Beziehungen zu Russland, einem der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Spieler der Region, für China heute notwendiger denn je.

Wir dürfen allerdings keine konfliktfreie Partnerschaft erwarten: Länder solchen Ausmaßes können nicht ohne Gegensätze auskommen und immer nur die gleichen Interessen haben. Doch die derzeitige Entwicklung auf der Welt treibt die beiden Staaten einander in die Arme. Diese neue Etappe der Partnerschaft eröffnet jedoch Möglichkeiten, derentwillen man auch ein gewisses Risiko eingehen sollte.

Fjodor Lukjanow ist Vorsitzender des Präsidiums für Außen- und Verteidigungspolitik.

 

Die ungekürzte Fassung des Beitrages finden Sie bei Rossijskaja Gazeta.

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