Warum China Russland braucht

Bild: Natalja Michajlenko

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Fjodor Lukjanow nennt fünf Gründe für die wirtschaftliche Annäherung zwischen Russland und China. Die Krise rund um die Ukraine spiele dabei nur am Rande eine Rolle.

Der kürzlich stattgefundene Staatsbesuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Peking hat alle Erwartungen erfüllt. Angesichts der anhaltenden Krise in den Beziehungen zwischen Russland und den USA kann die Staatsvisite dahingehend interpretiert werden, dass sich Moskau auf die Suche nach neuen Partnern macht. Moskau setzte mit diesem Schritt eine lange angekündigte Offensive Richtung Asien in Gang, als deren Katalysator die Krise in der Ukraine fungiert. Doch die Auffassung, dass in erster Linie Moskau an dieser Annäherung interessiert ist und sich Peking nur darauf einlässt, um an Russlands Ressourcen zu kommen, ist etwas voreilig. Richtig ist, dass auch China an der Weiterentwicklung der bestehenden Beziehungen großes Interesse hat.

Die Volksrepublik zeigt sich besorgt über die Ereignisse, die sich derzeit auf der Welt zutragen. Bereits der „Arabische Frühling“ wurde in Peking als ein äußerst gefährliches Beispiel dafür erachtet, was passiert, wenn sich „mächtige Kräfte“ von außen die Unfähigkeit der Regierung, eine nachhaltige innenpolitische Entwicklung zu garantieren, zunutze machen. Hinzu kommt noch die Ankündigung Washingtons, eine neue Asienpolitik anzustreben, die ungeachtet aller Ehrerbietigen, die China zuteilwurden, auf eine Zügelung Pekings abzielt.

Die vielen territorialen Konflikte Chinas mit seinen Nachbarstaaten konnten bis vor Kurzem als verhältnismäßig ruhig eingestuft werden. Doch in letzter Zeit haben sich diese Konflikte verschärft. Am Tag des Besuchs Putins in Schanghai spitzte sich zum Beispiel die Krise zwischen China und Vietnam so zu, dass chinesische Staatsbürger aus dem Nachbarland evakuiert werden mussten. Auch die Beziehungen zu Japan und den Philippinen sind momentan sehr angespannt. Zudem machte der US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in der Pazifikregion erstmals deutlich, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, ihre Verbündeten in territorialen Auseinandersetzungen mit allen Mitteln zu unterstützen.

Zusätzlich müssen an dieser Stelle die Streitigkeiten über die Entwicklungsmodelle Chinas erwähnt werden, die derzeit im Land umgesetzt werden. Die Wirtschaftsleistung der Volksrepublik verringert sich und die meisten Experten gehen nicht von einer Entspannung der Situation aus. Jedoch gilt nur ein anhaltend starkes Wirtschaftswachstum als wirkliche Garantie für die nachhaltige Sicherung für die Macht der Kommunistischen Partei. Das dritte Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, das Ende letzten Jahres tagte, konstatierte des Weiteren viele innenpolitische Probleme: Einerseits sind diese mit der Überhitzung der Wirtschaft verbunden, die seit über drei Jahrzehnten ununterbrochen wächst. Andererseits sind diese darauf zurückzuführen, dass die sozial-ökonomische Aufspaltung eines großen Teils der Bevölkerung bis heute nicht unterbunden werden konnte.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping betont seit seinem Amtsantritt 2012, dass er die Beziehungen zu Russland intensivieren wolle. Die Krise in der Ukraine beobachtet Peking dennoch mit Vorsicht. China, das in den Gebieten Xinjiang und Tibet, aber auch in Taiwan selbst Probleme mit separatistischen Bewegungen hat, steht jeglicher Verschiebung von Staatsgrenzen äußerst kritisch gegenüber. Daher kann Moskau in diesem Punkt keine direkte Unterstützung von seinem Nachbarn erwarten. Allerdings zeigt China Verständnis für die Gründe, die zur derzeitigen Situation in der Ukraine geführt haben, und auch dafür, dass Russlands Vorgehensweise eine Antwort auf die jahrelange Politik der USA im post-sowjetischen Raum darstellt. China möchte nicht, dass Russland in der Konfrontation mit Washington eine Niederlage erleidet, denn das würde die USA nur zusätzlich stärken. Die Vereinigten Staaten werden von Peking hingegen als unumgänglicher strategischer Konkurrent in der nahen Zukunft aufgefasst.

Vier Beweggründe für eine Annäherung an Russland

In erster Linie ist Chinas Annäherung an Russland eine Frage des globalen strategischen Gleichgewichts. China betrachtet dabei seinen Platz in der Welt sowie die Möglichkeiten der anderen Partner im Dreieck der Supermächte: die der USA und Russlands. Die Bedeutung eines jeden Eckpunkts dieses Dreiecks hängt von den Beziehungen ab, die er mit den anderen beiden pflegt. Jener Eckpunkt, dessen Verbindungen mit einem der anderen loser wird, wird nach Ansicht Chinas schwächer und darüber hinaus abhängiger von dem dritten Teil.

Zweitens ist die Annäherung eine Frage der regionalen Sicherheit. Der Druck auf Peking vonseiten der USA wächst stetig. Chinas Nachbarn sind angesichts Pekings wirtschaftlichen Aufstiegs zunehmend verunsichert. In diesem Fall ist Russland, abgesehen von den zentralasiatischen Nachbarländern der Volksrepublik, das einzige Land, mit dem China keine territorialen Auseinandersetzungen hat. Für Peking wäre es daher ideal, wenn Russland das Land bei seinen Konflikten unterstützen würde. Doch dieses Szenario ist äußerst unwahrscheinlich, da Moskau seine Neutralität beibehalten möchte.

Drittens: eine zuverlässige Energieversorgung. China vertraute bisher auf die globalen Märkte. Da jedoch momentan sowohl weltweite als auch regionale Konflikte immer weiter zunehmen, muss China über militärpolitische Vorkehrungen nachdenken. Russland stellt die einzige Quelle für Rohstoffe dar, bei der Lieferungen – im Falle einer Eskalation – nicht von der US-amerikanischen Marine unterbunden werden könnten. Heute scheint ein solches Szenario zwar unwahrscheinlich, doch die jüngste Geschichte hat wieder einmal gezeigt, dass alles möglich ist.

Den vierten Grund stellt das Problem der globalen Verwaltung dar. Die Ukraine-Krise nahm eine unerwartete Wende. Obwohl die USA ursprünglich nur etwas Druck auf Russland ausüben wollten, hatte sich das Land bald auch in die Funktionsweise der globalen Märkte eingemischt. Dadurch schlossen die USA russische Banken aus den internationalen Zahlungssystemen aus, manipulierten Ratingagenturen und beeinflussten die internationalen Finanzinstitute. China beobachtet diese Vorgehensweise insofern sehr aufmerksam, als dass ähnliche Maßnahmen gegen jedes Land eingeleitet werden könnten. Daher ist China, ebenso wie Russland, sehr daran interessiert, die US-amerikanische Monopolstellung in der globalen Wirtschaft zu verringern.

Neue Entwicklungsanreize bilden schließlich den fünften Grund für eine Annäherung der beiden Länder. China ist, wie jedes Land, das auf Export ausgerichtet ist, abhängig von der weltweiten Konjunktur und daher stets auf der Suche nach neuen Absatzmärkten. Russland zeigte sich bis vor Kurzem eher zurückhaltend, was die chinesischen Rekordinvestitionen anbelangt, weil es eine Verstärkung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts befürchtet hatte. Die politische Annäherung fördert allerdings die Aktivierung solcher Kontakte, was auch der Staatsbesuch Putins zeigte.

Die russisch-chinesische Partnerschaft wird sicherlich nicht einfach. Wenn zwei riesige Nachbarländer mit starken imperialistischen Traditionen zusammenarbeiten, sind Reibereien und Interessenskonflikte vorprogrammiert. Das ist jedem klar. Doch das Wichtigste ist, dass es keine Konflikte zwischen den beiden Staaten gibt und man versucht, einander zu verstehen. Russland muss in dieser Beziehung noch lernen, seine im Vergleich zu China starken wirtschaftlichen Defizite mit politischem Geschick und mit Erfahrung zu kompensieren. In diesem Punkt ist Peking Moskau derzeit noch überlegen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Fachzeitschrift „Russia in Global Affairs“.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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