Von Moskau nach Brüssel: Ein Plädoyer für mehr Verständnis

Bild: Konstantin Maler

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Noch vor Kurzem bestand zwischen Russland und der Europäischen Union eine strategische Partnerschaft. Seit der Ukraine-Krise kann davon keine Rede mehr sein. Doch beide können auch nicht ohne einander. Fjodor Lukjanow erklärt, wie die angeschlagene Beziehung gerettet werden kann.

Die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sind weiterhin mehr als nur angespannt, und eine Verbesserung dieser angespannten Lage ist nicht in Sicht. Auch ist klar ersichtlich, dass Brüssel seine Sanktionen gegen Russland nicht aufheben wird, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Darüber hinaus werden allem Anschein nach jegliche Unruhen, zu denen es derzeit im Osten der Ukraine kommt, so interpretiert, dass ausschließlich Moskau dafür die Schuld trage, was zu einem weiteren Anlass dafür werden könnte, Vergeltung üben zu wollen. So wurde unlängst verkündet, dass man die Sanktionen gegen Russland verschärfen werde, sollten die Anhänger der Volksrepublik Donezk den Donezker Flughafen unter ihre Kontrolle bringen. Das heißt, dass demnach Russland grundsätzlich an allem die Schuld trägt, was gerade in der Ukraine passiert.

Können Russland und die EU angesichts dieser angespannten Lage überhaupt wieder zu einem konstruktiven Verhältnis zurückfinden? Vor noch nicht allzu langer Zeit war noch die Rede von einer strategischen Partnerschaft auf der rechtlichen Grundlage des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) zwischen Russland und der EU. Das Abkommen zwingt beide Seiten zum Kompromiss. Grundsätzlich hat das PKA noch Bestand, allerdings muss es nach der Ukraine-Krise überarbeitet werden. Die bilateralen Beziehungen müssen prinzipiell völlig neu überdacht werden, wenn sich die politische Lage zwischen Russland und der EU wieder entspannt, was früher oder später der Fall sein wird. Ein neues Beziehungsmodell wird dabei nicht auf langfristigen Wünschen beider Seiten beruhen können, sondern auf der Realität.

Die Russische Föderation und die Europäische Union existieren etwa gleich lang. Die Russische Föderation erscheint seit Dezember 1991 auf der Weltkarte, die EU wurde im Februar 1992 gegründet. Beide stellen zwei neue politische Gebilde dar, mit einer langen Geschichte, die sie von den Vorgängern geerbt haben. Es wäre nicht korrekt zu behaupten, dass Anfang der 1990er-Jahre bei null angefangen wurde, allerdings darf man den Versuch eines prinzipiellen Neustarts auch nicht leugnen. Warum ist das so?

 

Die EU hat eine starke ideologische Komponente

Zum einen stimmten beide Seiten darin überein, dass ihr langfristiges Ziel darin besteht, eine Gemeinschaft auf Grundlage einer Harmonisierung der normativen Basis aufzubauen, die wiederum auf einer maximalen Annäherung beider Seiten basiert. Die EU hat jedoch eine ungewöhnliche Struktur. Die Komplexität ihrer inneren Ordnung sowie ihre stark ausgeprägte ideologische Komponente führen dazu, dass sie nur schwer normale Beziehungen zu Partnern außerhalb ihrer eigenen Grenzen führen kann. Dies ist besonders bei Partnern der Fall, die als potenzielle Mitglieder des EU-Projekts im engeren (als vollwertige EU-Mitgliedsländer) oder weiten (als Zone, in der die Grundsätze und Normen der EU gelten) Sinne betrachtet werden können. Russland hat einen EU-Beitritt niemals ernsthaft

in Erwähnung gezogen. Und Brüssel hat Russland nie als potenziellen Kandidaten betrachtet. Die Annäherung erfolgte auf Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen der EU. Moskau war im Grunde genommen damit einverstanden, denn damals war das Land geschwächt.

Im Zuge des Wiederaufbaus Russlands nach der Krise der 1990er-Jahre verlangte Moskau verstärkt nach einem in rechtlicher Hinsicht gleichgestellten Beziehungsmodell. Das heißt nach Beziehungen, die nicht auf der Rechtsgrundlage der EU basierten, sondern auf gemeinsam vereinbarten rechtlichen Rahmenbedingungen. Allerdings ist die EU nicht dazu imstande. Aus diesem Grund blieb der Rahmen der Beziehungen zwischen Russland und der EU derselbe, nur dessen Inhalt härtete aus. Die Ukraine-Krise hat dem Ganzen nun ein Ende gesetzt. Inzwischen hat es keinen Sinn mehr, angesichts der gegenseitig verhängten Sanktionen über eine strategische Partnerschaft zwischen Russland und der EU zu sprechen.

Doch wie geht es jetzt weiter? Der nächste Schritt für die kommende Zeit wird Schadensbegrenzung sein. Das Ende der Beziehungen, wie sie früher gestaltet waren, könnte entweder geregelt oder abrupt vonstattengehen. Leider ist derzeit letztere Variante zu beobachten.

 

Ohne Russland geht es in Europa nicht

Doch es gibt Hoffnung. Federica Mogherini, künftige Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, äußerte sich vor Kurzem wie folgt: „Russland mag zwar derzeit kein Partner sein, doch es stellt dennoch ein Schlüsselland in der Welt dar. Wir müssen daher unsere

Beziehung zu Russland in den nächsten fünf Jahren grundlegend überdenken". Das ist der richtige Ansatz. Einerseits ist es ein Eingeständnis, dass man um Russland nicht einfach so herum kommt, und andererseits unterstreicht es die Notwendigkeit, das Beziehungsmodell neu zu überdenken.

In Russland muss überlegt werden, welche Erwartungen an die EU gestellt werden, die Illusion einer Integration wurde zerstört. Die Absicht Russlands, sich in Richtung Asien zu orientieren, sollte nicht den Hintergrund haben, sich gegen Europa stellen zu wollen. Dahinter sollte die Einsicht stehen, dass es ohne Asien mit seinem enormen Wachstum im 21. Jahrhundert nicht geht. Dazu ist eine klare Politik notwendig.

Europa steht Russland in historischer und kultureller Hinsicht besonders nahe. Die Unstimmigkeiten, die heute zwischen Moskau und anderen Hauptstädten Europas bestehen, spiegeln diese kulturhistorische Nähe sowie die Chronik ihrer langfristigen Koexistenz wieder. Asien steht im Vergleich dazu eher im Hintergrund. Deshalb wird Europa lange Zeit Russlands wichtigster Partner in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht bleiben – auch wenn es gerade so scheint, als ob beide Seiten alles dafür tun, um ihre Abhängigkeit von einander zu minimieren. In diesem Sinne scheint Pragmatismus vernünftig: zugeben, dass die aktuellen Meinungsverschiedenheiten teilweise auf ein und denselben Wurzeln

basieren. Aus den Wurzeln haben sich Zweige in unterschiedliche Richtungen entwickelt.

Unterschiedliche Herangehensweisen sind kein Beweis dafür, dass die eine oder andere Seite mehr oder weniger Recht hat, sondern einfach eine Tatsache. Andererseits könnten die Versuche, neue Gebiete zu erschließen, sei es durch militärpolitische oder rechtliche Methoden, beiden Seiten gravierende Schwierigkeiten bereiten. Man muss daher mit Vorsicht an das Problem herangehen und dabei begreifen, dass es die ideale Harmonie nicht geben kann, man einer selbstzerstörerischen Disharmonie aber entgegenwirken muss. Nur dann wird es möglich sein, in einiger Zeit damit beginnen zu können, ein neues „großes Europa" aufzubauen, das dann später fließend in ein „großes Asien" übergehen könnte – ohne ambitiöse Projekte und Versuche, etwas aneinander zu ändern, dafür mit viel Verständnis dafür, dass man einander braucht.

Fjodor Lukjanow ist Vorsitzender des Russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.

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