Terroranschläge: Radikaler Islamismus ist allgegenwärtig

Bild: Tatjana Perelygina

Bild: Tatjana Perelygina

Die blutigen Anschläge auf Touristen in Tunesien und zwei Moscheen im Jemen in der vergangenen Woche würden die Allgegenwärtigkeit des radikalen Islamismus in der arabischen Welt zeigen, meint der Politologe Nikolaj Surkow. Er warnt vor einem Flächenbrand, der auch Europa und den Kaukasus erreichen könnte.

Die Nachricht über den Terroranschlag auf Besucher des Nationalmuseums von Bardo in der tunesischen Hauptstadt ist ein unheimliches Déjà-vu. Das Vorgehen erinnert an den 1997 verübten Terroranschlag am antiken Tempel der Königin Hatschepsut in Ägypten, bei dem 62 Touristen unterschiedlicher Nationen von radikalen Islamisten, die sich zuvor als Polizisten verkleidet hatten, getötet wurden. Die Logik der Angreifer war dabei einfach: Das Geld aus dem Tourismus fördere ein prowestliches Regime. Daher müsse ihm ein Ende gesetzt werden.

Dass sich ein ähnliches Horrorszenario auch in Tunesien ereignen könnte, war bis vor kurzem noch undenkbar gewesen. Das Land galt trotz der politischen Unruhen, die in den vergangenen zehn Jahren den Nahen Osten beherrschten, als relativ ruhiger Ort. Die radikalen Islamisten saßen entweder im Gefängnis oder lebten im Exil. Doch mit der Jasminrevolution im Januar 2011 sowie durch die großzügige finanzielle Unterstützung aus den Golfstaaten bekamen radikale Gruppierungen plötzlich wieder Rückenwind. Gleichzeitig verloren sowohl Spezialeinheiten als auch die Polizei im Land an Durchschlagskraft, da viele Mitarbeiter aufgrund ihrer Rolle während der Amtszeit des autokratisch regierenden Präsidenten Ben Ali aus dem Dienst entfernt wurden.

Unter der Führung der islamistischen Ennahda-Partei schien alles in geordneten Bahnen zu verlaufen. Im Februar 2012, ein Jahr nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali, waren auf den Straßen der Hauptstadt Tunis immer noch Stacheldraht und Panzerwagen zu sehen und der damalige Premierminister Hamadi Jebali erzählte internationalen Journalisten und Vertretern von Reiseagenturen, wie gastfreundlich und weltoffen die Tunesier seien. Zudem fügte er immer wieder hinzu, dass in der Zeit der Jasminrevolution in seinem Land kein einziger ausländischer Tourist ums Leben gekommen sei.

Bald darauf verloren die Islamisten jedoch ihre Machtposition. Sie fühlten sich nicht mehr dazu imstande, das an einem großen Budgetdefizit sowie an hoher Arbeitslosigkeit leidende Land zu regieren. Präsident Mancef Marzouki gab dies sogar live im nationalen Fernsehen zu. Die Folgen: Das von den islamistisch eingestellten Politikern versprochene Wunder blieb aus und jene Menschen, die an ein weltliches Leben sowie an einen gewissen Wohlstand gewöhnt waren, stimmten plötzlich nicht mehr für die strenggläubige Partei.

 

Andersdenkende leben gefährlich

Die Antwort darauf ließ nicht lange auf sich warten. Es folgten Terroranschläge. Jene, die den Angriff auf das Nationalmuseum von Bardo planten, müssen sich der wirtschaftlichen Konsequenzen des Angriffs bewusst gewesen sein. Tunesien verfügt nicht über großen Erdöl- oder Gasvorkommen und erzielt seine Einnahmen zu einem großen Teil mit dem Tourismus.

Ein Rückgang des Tourismusgeschäfts in Tunesien scheint unausweichlich – und er wird sich vor allem auf das Einkommen der Bevölkerung auswirken. Die Islamisten, trotz des Missmuts, der in der Bevölkerung herrscht, wollen der amtierenden Regierung schaden. Die Terroranschläge sind Ausdruck der

extremen politischen Kämpfe im nordafrikanischen Land. Ein Erfolg des islamistischen Terrors ist jedoch unwahrscheinlich. Als Beispiel dafür kann Ägypten gesehen werden. Dort kippte die Stimmung gegenüber der Muslimbruderschaft, auch weil ihr Auftreten ausländische Touristen abschrecken könnte.

Der brutale Terroranschlag auf das Nationalmuseum ist jedoch nur eine Momentaufnahme eines noch weitaus beängstigenderen Bilds, das sich momentan in Nordafrika abzeichnet. Experten sprechen bereits von einem Islamistischen Herbst, der als Folge des Arabischen Frühlings entstanden sei.

Nach der Revolution in Libyen verbreiteten sich Waffen ebenso wie islamistische Kämpfer über die gesamte Region. Ägypten und Algerien wurden von Terroranschlägen erschüttert. In Libyen selbst wird die Terrororganisation Islamischer Staat, die bereits durch grausame Massenhinrichtungen von Andersgläubigen auf sich aufmerksam gemacht hat, immer stärker. In Mali kamen sogar französische Soldaten zum Einsatz, um zu verhindern, dass das Land im Chaos versinkt.

 

Die Bedrohung ist allgegenwärtig

Die Ereignisse in Tunesien zeigen deutlich, dass der Terrorismus sogar jene Länder erreicht hat, die als stabil und sicher galten. Doch im Grunde genommen gibt es in der gesamten Region keinen Staat mehr, der nicht vom Terrorismus bedroht ist. Bislang ist es nur mehr an den Grenzen der arabischen Welt – in Marokko und im Oman – mehr oder minder friedlich. Doch auch diese Ruhe scheint nicht von Dauer zu sein, denn in Marokko

blickt man sorgenvoll auf das Nachbarland Mali und im Oman auf den Nachbarn Jemen, der wenige Tage nach den Anschlägen von Tunis am Freitag ebenfalls von Terroranschlägen erschüttert wurde. Vier Selbstmordattentäter griffen zwei Moscheen in der Hauptstadt Sanaa an. Die staatliche Nachrichtenagentur Saba meldet 137 Tote, darunter mindestens 13 Kinder, und 357 Verletzte.

Die Anschläge zeigen, dass ein Zeitalter angebrochen ist, in dem Radikalismus und Terrorismus allgegenwärtige Phänomene sind, vor denen man sich nirgendwo in der arabischen Welt verstecken kann. Die Frage lautet nun, wie viel Zeit vergehen wird, bis das Fass des Extremismus im Nahen Osten und in Nordafrika überlaufen und sich die Gewalt auch in Europa, der Türkei und im Kaukasus wie ein Lauffeuer verbreiten wird.

Nikolai Surkow ist Politikwissenschaftler und Dozent des Lehrstuhls für Orientalistik am Moskauer Staatsinstitut für internationale Beziehungen.

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