Russland und Deutschland: 
Rückkehr zum Dialog?

Das Modell der privilegierten 
Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland wurde bereits Mitte der Neunzigerjahre formuliert. Doch die Krise in der Ukraine hat dieses Modell zunichtegemacht. Kann dieses Modell wiederhergestellt werden?

Die Feier zum 70. Jahrestag des Sieges am 9. Mai hat den russisch-deutschen Dialog, der seit dem Winter vergangenen Jahres festgefahren war, wiederbelebt. Zunächst trafen sich am 7. Mai in Wolgograd die Außenminister der beiden Länder, Sergej Lawrow und Frank-Walter Steinmeier, und am 10. Mai kamen Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau zusammen.

Die Wiederaufnahme des deutsch-russischen Dialogs an sich kann bereits als Erfolg erachtet werden. Das Modell der privilegierten 
Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland wurde bereits Mitte der Neunzigerjahre formuliert. Doch die Krise in der Ukraine hat dieses Modell zunichtegemacht und Berlin zu einem der größten Kritiker Russlandswerden lassen. Die Frage ist nun, ob dieses Modell wiederhergestellt werden kann.

Die russische Außenpolitik ist bislang eine Fortsetzung der sowjetischen Politik zu Zeiten Breschnews gewesen. Seit Anfang der Sechzigerjahre basierte das politische Spektrum in Westeuropa auf der Rivalität zwischen den sogenannten Atlantikern und den Euro-Atlantikern. Die Ersteren, die vor allem in Großbritannien und den Niederlanden anzutreffen waren, sprachen sich für bevorzugte Beziehungen zu den USA aus. Letztere, in Italien, Frankreich und Deutschland weit verbreitet, erkannten die Führungsrolle der USA zwar an, sprachen sich jedoch für deren Eindämmung aus. Paris, 
Rom und Bonn sahen im Dialog 
mit der Sowjetunion ein Mittel, 
den Einfluss der USA auszugleichen. Der Kreml unterstützte diese Bestrebungen, um Amerikas Handlungsspielraum einzuschränken.

Moskau versuchte, etwas Ähnliches im Rahmen der russisch-deutschen Beziehungen zu implementieren. Seit etwa 1995 war klar, dass eine Partnerschaft zwischen Russland und den USA nicht zustande kommen würde. Der Kreml sah in Deutschland eine Alternative. Als Mitglied der Nato fungierte Berlin in allen wichtigen Krisen als Vermittler zwischen Russland und den USA. Dieses Modell der russisch-deutschen Beziehungen ermöglichte das Dreieck Washington-Berlin-Moskau, das das Fundament der europäischen Sicherheit bilden sollte. Der deutsch-französische Antiamerikanismus am Vorabend des zweiten Golfkriegs öffnete ein Fenster für Moskau. Zum Jahreswechsel 2003/2004 führten Frankreich, Deutschland und Russland regelmäßig Konsultationsgespräche als eine Art Gegengewicht zum Einfluss der USA. Der russisch-deutsche Energiedialog – der im Nord-Stream-Projekt seine praktische Umsetzung fand – und die Ausarbeitung eines Vertrags über die 
europäische Sicherheit festigten diese Entwicklung.

Der grundlegende Wandel in der Politik von Merkels Kabinett wurde in Moskau nicht richtig registriert. Die russische Elite sah in den Annäherungsversuchen der neuen Kanzlerin gegenüber Warschau 
und Riga lediglich taktische Manöver. Der Kreml versuchte, durch die Euro-Atlantische Sicherheitsinitiative (EASI) als russisch-deutsch-US-amerikanisch konzipiertes Forum ein neues Modell der Sicherheit in Europa zu institutionalisieren. Die russische Regierung überhörte jedoch die Alarmglocken: das Scheitern der Initiative auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 und die negative Reaktion des deutschen Establishments auf Putins Rückkehr ins Amt.

Der Kreml hegt noch immer die Hoffnung auf eine Wiederbelebung des deutsch-russischen Dialogs. Die Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format, die im Sommer 2014 ins Leben gerufen wurden, bekundeten Moskaus Wunsch, mit Deutschland und Frankreich, aber ohne die USA über die Ukraine zu sprechen.

Doch die Realität entwickelte sich anders. Merkels Regierung arbeitete in der Krise eng mit Washington zusammen. Das russische Establishment und diverse Experten waren davon überzeugt, dass die Amerikaner die deutsche Diplomatie als Kanal nutzten, um ihre Interessen in den Verhandlungen mit Russland durchzusetzen.

Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint die Wiederherstellung 
des russisch-deutschen Dialogs in seinem früheren Format höchst unwahrscheinlich. Ob erneut ein Dialog entsteht, hängt von der weiteren Entwicklung ab.

Erstens könnte Deutschland privilegierter Juniorpartner der USA werden. Es sieht ganz so aus, als ob Washington einige Aufgaben für die Verhandlungen mit Russland an Berlin delegiert hat. Im Kern soll Berlin Moskau ermahnen,

bestimmte Vorschläge der USA im Austausch gegen symbolische Zugeständnisse aus dem Weißen Haus zu akzeptieren. Von diesem Szenario würde Washington profitieren, aber es ist wahrscheinlich, dass Russland dann nach anderen Partnern in Europa suchen würde.

Ein zweites Szenario sieht die Positionierung Deutschlands als Gegenspieler Russlands vor. Das wäre für die Obama-Regierung, die einen militärischen Schlüsselpartner in Europa sucht, von Vorteil. Als Stimme des russlandkritischen Klimas in Mitteleuropa könnte Deutschland sich objektiv Moskau widersetzen. Diese Möglichkeit wäre vorteilhaft für London, das sich nur zu gerne den Hut des Vermittlers zwischen Russland, Deutschland und den USA aufsetzen möchte.

Das dritte Szenario ist die Übertragung des Normandie-Formats auf die Ebene vollwertiger Verhandlungen über die europäische Sicherheit. Um dieses Szenario umzusetzen, müsste Deutschland mehr Einfluss auf die mitteleuropäischen Staaten, einschließlich der Ukraine, ausüben. Aber mit Merkel als Kanzlerin wird Berlin wohl kaum der russlandkritischen Stimmung widerstehen.

Letzteres ist das natürliche Ergebnis der Politik des Kabinetts Merkel. Als dieses zum Sprachrohr der kleinen russlandkritischen Länder Mitteleuropas wurde, hat Deutschland unwissentlich seinen Status auf deren Niveau herabgesenkt. Merkel konzentriert sich im laufenden Jahr auf die Notwendigkeit, „die Anliegen der Länder Mitteleuropas" zu thematisieren. Folglich überlässt Deutschland die Fragen der Sicherheit in Europa den USA und Großbritannien. Das könnte alle Versuche Deutschlands, eine umfassendere Rolle bei der Schaffung einer neuen europäischen Sicherheitsvereinbarung mit Russland zu spielen, einschränken.


Der Autor ist promovierter Historiker und Dozent an der Fakultät für Weltpolitik an der Lomonossow-Universität Moskau.

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