Russland und das Erbe Obamas

Bild: Alexej Jorsch

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Die künftigen russisch-amerikanischen Beziehungen werden sich trotz aggressiveren verbalen Äußerungen tatsächlich entspannen, meint der Politologe Fjodor Lukjanow.

Der Besuch von US-Außenminister John Kerry in Russland im Mai ließ die Öffentlichkeit wieder aktiv die Beziehungen zwischen Moskau und Washington diskutieren. Die politischen Ereignisse 2014/15 haben gezeigt, dass die Hoffnung, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, nur eine Illusion war.

Die Linie der USA gegenüber Moskau bestand seit der Angliederung der Krim an Russland in Folgendem: die Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren, solange der Kreml sein Verhalten nicht ändert. Die Erwartung Washingtons hat sich nicht erfüllt. Andererseits kann auch Moskau wohl kaum darauf hoffen, dass sich ohne die Mitwirkung der USA die Lage im Nachbarland stabilisiert. Dabei kann von einem neuen Kalten Krieg nicht die Rede sein. Es gibt „gemeinsame Aufrufe". So haben Moskau und Washington zum Beispiel eine unterschiedliche Auffassung von der Genesis der Ereignisse im Nahen Osten, bestreiten aber nicht, dass die IS eine Gefahr darstellt.

Barak Obama befindet sich in der Endphase seiner zweiten Amtszeit und sorgt sich als Präsident deshalb vorrangig um seine Nachfolge. Obamas Präsidentschaft fiel in eine Zeit, in der sich die Weltordnung zunehmend schneller veränderte, so dass internationale Erfolge schwieriger wurden. Zudem war der US-Präsident auch nicht frei von Fehlern. Gerade deshalb ist es jetzt wichtig, sich auf jene Kursrichtungen zu konzentrieren, die es in die Geschichtsbücher schaffen könnten. Im Falle Obamas wäre das vor allem der Iran. Um die Geschichte mit dem Iran zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, bedarf es noch langer und mühevoller Arbeit in allen Bereichen. Die Übereinkunft ist sehr fragil, so dass die größtmögliche Unterstützung von allen Seiten notwendig ist, darunter auch die Mitwirkung Russlands. Obama will den Nahen Osten nach seiner Amtszeit nicht in dem jetzigen desolaten Zustand hinterlassen, auch hier ist die Mitwirkung Russlands oder zumindest dessen Neutralität notwendig. Das ukrainische Erbe verspricht nichts Gutes – der US-Präsident ist sich darüber im Klaren, dass hier nicht mit einer schnellen Lösung zu rechnen ist.

Deshalb wird die nächste Etappe der russisch-amerikanischen Beziehungen (bis Anfang 2017) in etwa wie folgt aussehen: Zuerst werden die Verantwortlichen für die militärpolitische Sicherheit beginnen, auf der Arbeitsebene zu kommunizieren, um das zufällige Entflammen eines militärischen Konfliktes zu verhindern. Es kommt zu einem Meinungsaustausch, und eventuell folgen erste Schritte zur Klärung der Situation im Nahen Osten. Eine einheitliche Position ist nicht zu erwarten, aber es wird in diesem Punkt auch keine Konfrontation geben. Im Falle des Irans ist sogar mit einer aktiven Zusammenarbeit zu rechnen, in puncto Syrien werden vorschnelle Aktionen ausbleiben. Bezüglich der Ukraine werden die Positionen konträr bleiben, aber wahrscheinlich beide Seiten eine Eskalation vermeiden.

Dieser modus vivendi bedeutet jedoch nicht, dass sich die Rhetorik entschärft – ganz im Gegenteil: Die tatsächliche Entspannung muss möglicherweise durch aggressivere verbale Äußerungen kompensiert werden. Aber im Großen und Ganzen kann ein solches Vorgehen bis zum Ende Obamas Präsidentschaft fortgeführt werden. Die wei
tere Zukunft hängt von einer ganzen Reihe Faktoren ab, nicht zuletzt davon, wie schnell und auf welche Art sich die Beziehungen beider Seiten zu China entwickeln.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Russia in Global Affairs und Vorsitzender des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik in Moskau.

Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst bei Rossijskaja Gaseta.

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