UN-Vollversammlung: Was wollte Putin mit seiner Rede bewirken?

Bild: Alexej Iorsch
Wladimir Putin hielt vor der 70. UN-Vollversammlung eine mit Spannung erwartete Rede. Der russische Präsident erinnerte daran, dass die größte Stärke der Vereinten Nationen schon immer ihre Fähigkeit zur Suche nach Kompromissen und die Berücksichtigung unterschiedlicher Meinungen und Positionen gewesen sei.

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin zuletzt vor der UN-Vollversammlung sprach, im Mai 2005. Die Erwartungen an seine insgesamt vierte Rede waren diesmal besonders hoch – nicht zuletzt, weil das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen so angespannt ist wie schon lange nicht mehr. Groß ist das gegenseitige Unverständnis der jeweiligen Motive, Ziele und Handlungen.

Putins Vorredner auf der Plenarsitzung wie US-Präsident Barack Obama, Polens Präsident Andrzej Duda oder das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping gedachten in ihren Reden des Zweiten Weltkrieges. Einerseits zollten sie Tribut an das Jubiläumsjahr, andererseits nutzten sie die Möglichkeit, eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Kriege, Aggressionen und humanitäre Katastrophen sind hochaktuell. Als Ursache dafür wurde in jüngster Zeit häufig eine unzureichende Effizienz der Vereinten Nationen genannt. Reformen werden gefordert.

Russlands Präsident erinnerte in seiner Rede daran, dass „die Schlüsselentscheidungen über die Prinzipien der Zusammenarbeit von Staaten und über die Gründung der Vereinten Nationen in unserem Land getroffen wurden, bei der Konferenz von Jalta“. Putin betonte, dass es ein „mit zwei Weltkriegen“ bezahltes System sei. In den letzten 70 Jahren habe dieses System „der Menschheit geholfen, das turbulente und oft dramatische Geschehen in diesem Zeitraum zu überstehen“.

Putin hält am Vetorecht fest

Reformen werden vor allem im Hinblick auf das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates gefordert. Dieses soll beschränkt werden. Diese Forderung kann im Zusammenhang mit der heutigen politischen Konjunktur gesehen werden. Eine Reihe von Staaten beabsichtigt damit möglicherweise, Russland im Kontext der Ukraine-Krise das Vetorecht zu entziehen. Vor kurzem schlug Frankreich einen freiwilligen Verzicht auf das Vetorecht vor, wenn es etwa um Völkermord gehe. Bislang wird der französische Vorschlag von knapp über einem Drittel der Mitgliedsstaaten unterstützt. Theoretisch wäre eine Reform der UN-Satzung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Generalversammlung denkbar, dennoch bliebe die Zustimmung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats notwendig.

In den ersten zehn Jahren nach der Gründung der Vereinten Nationen machte vor allem die UdSSR vom Vetorecht Gebrauch. In den 1970er- und 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde sie von den USA abgelöst. Lässt man die Ukraine-Krise und die Absichten, Moskau zu bestrafen, einmal außen vor, dann bleibt offen, wie sich die Abschaffung des Vetorechts auf die Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen insgesamt auswirken würde. Denn bereits die Androhung eines Vetos führt oft genug zu einem tragfähigen Kompromiss. Putin betonte: „Bei der Gründung der UN war auch nicht geplant, dass hier eine uniforme Gesinnung herrschen würde. Das Wesen dieser Organisation besteht eigentlich in der Suche und der Ausarbeitung von Kompromissen, ihre Stärke ist die Berücksichtigung der verschiedenen Meinungen und Sichtweisen.“

Kritik an der Sowjetunion

Unerwartet kritisierte Putin in seiner Rede die Sowjetunion wegen ihrer „Versuche, sozialistische Experimente in anderen Ländern voranzutreiben“, mit manchmal katastrophalem Ausgang. Unerwartet war der Vorstoß, weil Putin den Zerfall der Sowjetunion einst als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hatte. Putin wollte wohl zum Ausdruck bringen, dass aus den gescheiterten Versuchen der UdSSR keine Lehren für die Gegenwart gezogen worden seien. Der russische Präsident warnte vor dem „Export von sogenannten „demokratischen“ Revolutionen“. Das heutige internationale Recht und auch die UN-Dokumente erwiesen sich oft genug als kraftlos, wenn sich nach von außen unterstützten Umwälzungen ganze Länder in Trümmern wiederfänden, ohne jedwede funktionierende Staatlichkeit. Das etwa habe sich bei der „Demokratisierung“ Libyens gezeigt. Syrien drohe nun das gleiche katastrophale Schicksal. „Man möchte diejenigen, die eine solche Situation geschaffen haben, fragen: „Versteht ihr wenigstens jetzt, was ihr getan habt?““, führte Putin weiter aus.

Der russische Präsident verzichtete darauf, sich in seiner Rede über die gegensätzlichen Positionen Washingtons und Moskaus in der Syrien-Krise auszulassen. Stattdessen wandte er sich einem unstrittigen Thema zu, nämlich dem Kampf gegen den Terror und insbesondere den Islamischen Staat (IS). Putin forderte, eine Anti-Terror-Koalition zu gründen, bei der „islamische Staaten Schlüsselteilnehmer“ werden müssten.

Exklusive Zirkel zur Sicherung der Wirtschaftsmacht

Im Hinblick auf die Ukraine wiederholte Putin in seiner Rede die offizielle Position Moskaus und verwies auf das Minsker Abkommen, dessen Forderungen erfüllt werden müssten. Putin kritisierte das „Blockdenken“ des Westens, wie es in der Ausweitung der Nato zum Ausdruck käme und dem Versuch einer einseitigen Dominanz in der Welt.

US-Präsident Obama hatte in seiner Rede vor der Vollversammlung, die er eine Stunde vor Putins Auftritt hielt, betont, dass die Sanktionen gegen Russland bestehen blieben. Der russische Präsident betonte, dass einseitige Sanktionen „nicht nur politische Ziele“ verfolgten, sondern „auch als Mittel der Beseitigung der Marktkonkurrenz“ dienten. Mit dem Hinweis auf die Pläne, eine transatlantische und eine transpazifische Freihandelszone einzurichten, verurteilte er die Schaffung „geschlossener, exklusiver Wirtschaftsvereinigungen“ und schlug vor, diese Fragen in der UN und der WTO zu diskutieren.

„Andere Staaten, deren Interessen betroffen sein könnten, werden nicht informiert. Vermutlich will man uns alle vor vollendete Tatsachen stellen. Neue Spielregeln sollen zugunsten eines engen Kreises von Auserwählten geschaffen werden ohne Beteiligung der WTO. Das kann das bestehende Handelssystem völlig aus dem Gleichgewicht bringen und den globalen Wirtschaftsraum zerstückeln“, erklärte der russische Präsident. Im Rahmen der G20-Gruppe, in der Russland nach wie vor vertreten ist, wolle sein Land in dieser Frage mit China kooperieren. Die USA würden nämlich nicht verbergen, dass die transpazifische Partnerschaft vor allem als Gegengewicht zur wachsenden Macht der Volksrepublik diene.

Putin stellt Prioritäten klar

Putin stellte vor der UN seine Prioritäten im globalen Kontext auf: Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten und Unterstützung legitimer Regierungen, Überwindung des Blockdenkens zugunsten wirtschaftlicher Integration, vereinter Kampf gegen gemeinsame Gefahren, sei es der Klimawandel oder der Terrorismus.

Nach ihren Auftritten vor der UN-Vollversammlung kamen die Präsidenten Russlands und der USA zum ersten offizielle Treffen seit zwei Jahren zusammen. Es war sicher kein einfaches Gespräch.

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