GEGENMEINUNG: Gegen Krebs hilft kein Aspirin

Pressebild; RBTH
Russlands Ökonomen suchen nach dem Ausweg aus der Krise. Ihre Vorschläge legen sie heute Präsident Putin vor. Vertreter des sogenannten Stolypin-Clubs, unterstützt von Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, plädieren für eine gezielte Wachstumsförderung durch Zinssenkungen, eine lockere Geldpolitik und Konjunkturspritzen. Die Liberalen um Alexej Kudrin oder Zentralbankchefin Elwira Nabiullina wollen vor allem Strukturreformen sehen. RBTH gibt beiden Lagern die Möglichkeit, ihre Ideen darzulegen.

Teil 2. Ökonom und Liberaler Sergej Romantschuk

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Während der vergangenen 25 Jahre hat Russland, wenn auch eine unvollkommene, so doch immerhin 
eine Marktwirtschaft aufgebaut. Die Re
formen in den Neunziger- und zu Beginn der Zweitausenderjahre haben zusammen mit der positiven konjunkturellen Entwicklung ihre Früchte getragen. Für das weitere Wachstum bedarf es eines qualitativen Sprungs, indem moderne Institutionen auf
gebaut werden. 

Leider hat das Land in dieser Beziehung nur vereinzelte Erfolge erzielt und das Entscheidende verpasst: die Grundlagen zur Bildung einer breiten Klasse von Eigentümern zu schaffen und Bedingungen für einen freien Wettbewerb zu entwickeln. Stattdessen wurde die Wirtschaft noch abhängiger von den Erdöl- und Erdgaserlösen, während der Staat als Machtapparat sich statt um den Schutz der Eigentumsrechte und die Festigung der Rechtsbeständigkeit um die Bewahrung der eigenen Machtbefugnisse auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung kümmerte.

Der Versuch, die Probleme durch ein Manipulieren der Geld- und Kreditpolitik und den beabsichtigten Aufbau einer „Wirtschaftsbasis“ für die zukünftige politische Liberalisierung zu lösen, ist höchstwahrscheinlich zum Scheitern verdammt, da die Krankheit falsch diagnostiziert wurde: Ja, der Kranke hat Fieber, aber wenn es die Folge von Krebs ist, wird Aspirin kaum helfen.

Der Stolypin-Club setzt sich dafür ein, dass die Zentralbank neue Investitionsprojekte zur Entwicklung der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit niedrigen Zinssätzen und langfristigem Kreditkapital unterstützt. Eine Art russische Variante der quantitativen Lockerung. Die Behauptung, der Hauptgrund für die Stagnation sei die ungenügende Geldversorgung, ist äußerst umstritten. Der Kapitalabfluss im siebenstelligen, in manchen Jahren sogar im achtstelligen Dollarbereich deutet darauf hin, dass die russische Wirtschaft ausreichend Geld generiert. Das Problem besteht vielmehr darin, wie man Anreize schafft, die Mittel im Inland anzulegen.

Die Abkehr von der Inflationsbekämpfung zugunsten einer Wachstumsförderung bedeutet, sich mit der hohen Inflation abzufinden und abzuwarten, dass am Ende die Unterstützung der Wirtschaft mithilfe von Subventionen für ausgewählte Betriebe zu einem qualitativen Wirtschaftswachstum führt. Allerdings sorgt eben jene hohe Inflation für Unsicherheit, die es der Wirtschaft erschwert, die richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Alle großen und entwickelten Volkswirtschaften praktizieren eben eine solche Geld- und Kreditpolitik – die Inflationssteuerung mittels der Regulierung der Zinssätze bei variablem Währungskurs. Eine Abkehr von diesem Kurs aufgrund einer Krise infolge des Preiseinbruchs auf globalen Warenmärkten und eigener, wirtschaftsfeindlicher politischer Entscheidungen erscheint als gefährlicher Schritt. Wozu dies führt, lässt sich an der jüngsten Entwicklung Brasiliens, Weißrusslands und Venezuelas erkennen.

Zweifellos ist die Volatilität des Währungskurses ein Problem, das zur Inflation beiträgt, und man muss dieses bekämpfen. Die russische Zentralbank hat in der Phase der schnellen Preisänderungen auf den Märkten einige taktische Fehler begangen. Allerdings gibt es zu dem eingeschlagenen Weg mittel- und langfristig keine Alternative. Langfristig betrachtet sind für die Verringerung der Kursschwankungen die allgemeine Finanz- und Wirtschaftsentwicklung des Landes, eine strenge Haushaltspolitik sowie die Stabilität des Bankensystems, die das Vertrauen zum Rubel als Sparmittel sicherstellt, wesentlich wichtiger.

Die Zentralbank arbeitet mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, und sie ist gezwungen, sich den politischen Entschei-
dungen des Präsidenten anzupassen. So 
fährt die Zentralbank eine härtere Zins
politik, weil die Regierung die Währungsreserven anzapft und so das Bankensystem mit Liquidität überschwemmt. Würden 
Haushaltsausgaben gesenkt, könnte die Zentralbank die Zinssätze aktiver senken.

Im Ganzen sieht das Stolypin-Programm wie der Versuch aus, das Rad der Zeit zurückzudrehen, in die Vergangenheit zurückzukehren und zu erreichen, dass einigen wenigen auf Kosten aller geholfen wird. 

*Der Autor ist Leiter für Währungs- 
und Geldmarktoperationen der Metallinvestbank und Präsident der 
ACI Russia — The Financial Markets Association.

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