Dass Militarisierung als Lösung angesehen wird, ist beunruhigend.
ReutersEines der Hauptergebnisse des informellen EU-Gipfels, der am Samstag in Bratislava stattfand, war die Diskussion zur Bildung eines vereinigten Kommandostabs der europäischen Streitkräfte, der „europäische Armee“. Beim nächsten Treffen im Dezember wird die EU-Staatschefs dieses Projekt wohl untereinander abstimmen.
Für den unbedarften russischen Beobachter erscheint die Schaffung einer neuen Militärstruktur in Europa ganz klar als eine Warnung an Russland und der Versuch, eine neue Etappe des Wettrüstens in Europa einzuleiten. Zumal das Heer der Kreml-freundlichen Experten dies gleich zum Anlass nahm, über die neue anti-russische Intrige des Westens zu räsonieren.
Analysiert man aber die Reaktionen auf das Projekt „europäische Armee“ eben jener EU-Staaten, die tatsächlich über eine vermeintliche Unberechenbarkeit des Nachbarn im Osten besorgt sind, ist offensichtliche Skepsis zu erkennen. Die baltischen Staatsführer äußerten sich auf dem britischen Gipfel unisono für eine weitere Stärkung der Nato als wirksamstes Mittel, um Russland zu bremsen.
Das Problem ist nicht, wie die europäische Armee auf Krisensituationen reagieren könnte, sondern welcher politische Schaden bei einem Scheitern des Projekts entstehen würde. Es gab schon viele Versuche, eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur zu schaffen, die aber alle wegen der Inkompatibilität zu den Nato-Strukturen scheiterten. Ein weiteres Versagen in der jetzigen Krisensituation könnte sich für die Europäische Union als fatal erweisen. Auch der Fakt selbst, in der Bildung eines vereinigten Militärkommandos die ultima ratio bei der Rettung der EU zu sehen, ist zutiefst beunruhigend.
Italien, Deutschland, Japan, die UdSSR, die USA und Großbritannien durchliefen nacheinander alle eine Phase, die man als „produktiven Militarismus“ bezeichnen kann: die Erfolge im Militärbereich führten zu Wirtschaftsaufschwung, Einkommenszuwachs und gefühlter nationaler Einheit, endeten aber im blutigsten Krieg der Geschichte. Daran sollte man sich erinnern und nicht auf Militärinitiativen als Triebkraft für alle Gesellschaftsbereiche, sei es die Wirtschaft oder die Integration, hoffen.
Sollte sich aber zeigen, dass die Europäer ihren Integrationswillen wirklich verloren haben und eine Besinnungspause einlegen müssen, führt auch eine europäische Armee nicht zur Konsolidierung. Zumal das Versprechen, die „Alte Welt“ militärisch zu verteidigen, niemand besser als die Nato einzulösen vermag, selbst wenn Trump, der kein begeisterter Anhänger dieses Bündnisses ist, Präsident werden sollte.
Dr. Iwan Zwetkow ist Lehrbeauftragter bei School of International Relations der Sankt Petersburger Staatsuniversität.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst auf Russia Direct.
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