Wirtschaftsreformen: Was braucht Russland wirklich?

Russlands Wirtschaft muss stärker wachsen als die Weltwirtschaft.

Russlands Wirtschaft muss stärker wachsen als die Weltwirtschaft.

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Zwar hat die russische Wirtschaft die Rezession überstanden, doch sie wächst nur sehr langsam. Wird das Land die Wachstumsraten der Vorkrisenzeit überhaupt je wieder erreichen können?

Russland hat die Rezession hinter sich. Das sagen jedenfalls das Statistikamt, das Wirtschaftsministerium und die Zentralbank des Landes.

Angefangen hatte der wirtschaftliche Rückgang im ersten Jahresviertel 2015 und hielt laut offizieller Statistik sieben Quartale an. Vorbei ist eine Rezession nach allgemeiner Definition dann, wenn die Wirtschaft zwei Quartale in Folge wächst. Angesichts mäßiger Ergebnisse in den ersten beiden Monaten dieses Jahres ist es demnach zu früh, von einem sicheren Wirtschaftswachstum in Russland zu sprechen. Doch zu behaupten, die Wirtschaft des Landes schrumpfe weiter, wäre ebenso unbegründet. „Stagnation“ ist für die gegenwärtige Lage der russischen Wirtschaft also das richtige Wort.

Anzeichen von Belebung

Das Wachstum ist der natürliche Zustand einer Volkswirtschaft. Die Wirtschaft ist immer lebendig: Selbst in einer Rezession gibt es Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige, denen es gut geht; manche wachsen sogar. In den letzten 30 Jahren gab es gerade einmal zwei Dutzend Länder, die in Friedenszeiten eine Rezession von über zwei Jahren Dauer durchgemacht haben. Dass Russlands Wirtschaft immer mehr Anzeichen einer Belebung aufweist, ist deshalb nicht überraschend.

Neueste Erhebungen des russischen Statistikamts Rosstat zeigen, dass die kleinen Unternehmen die Krise deutlich leichter überstanden haben. Mehr noch: Ihr Anteil an der Wirtschaftsleistung ist gestiegen. Die russische Landwirtschaft wächst beständig seit 1999; die gute Ernte im letzten Jahr war ein zusätzlicher Impuls für die Branche. Die steigenden Weltmarktpreise für Steinkohle haben Russlands Export befeuert und den Schienengüterverkehr vorangetrieben. Die Rüstungsfirmen des Landes haben mit dem großzügig finanzierten Modernisierungsprogramm der russischen Armee beide Hände voll zu tun. Und der Privatkonsum, zwei Jahre in Folge rückläufig, setzt allem Anschein nach wieder ein – davon zeugt jedenfalls die gestiegene Nachfrage nach Verbraucherkrediten. Auch die einmalige Zusatzzahlung zu den Renten im Januar dieses Jahres hat den privaten Konsum sicherlich angeregt.

Doch das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist trotz dieser Initialzündungen bislang nicht angesprungen: In manchen wichtigen Branchen setzen sich Krisentendenzen weiter fort. Der Absatz neuer Pkw sinkt kontinuierlich seit 2013. Seit eineinhalb Jahren schrumpft der Wohnungsbau und seit dem Ende staatlicher Subventionen auf Hypothekzinsen ist auch die Nachfrage nach Wohnungsfinanzierungen eingebrochen.

Zwar spricht die russische Zentralbank davon, dass die Investitionen wieder anziehen, doch bei der Produktion und der Einfuhr von Investitionsgütern nach Russland kommt dieses Wachstum nicht an. Die restriktive Geldpolitik der Notenbank – zehn Prozent Leitzins bei gegenwärtiger Inflation von etwas über vier Prozent – bremst die Nachfrage der Realwirtschaft nach Krediten zusätzlich.

Gut, aber langsam

Nach der Weltfinanzkrise wuchs die russische Wirtschaft schneller als die Weltwirtschaft. Die Lage hat sich ins Gegenteil verkehrt. In den vergangenen fünf Jahren hat sich ein Rückstand angestaut, der nur eingeholt werden kann, wenn Russlands Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren jährlich um einen Prozentpunkt mehr wächst als die Wirtschaft der Welt (nach Angaben der Weltbank stieg die Weltwirtschaftsleistung 2016 um 2,3 Prozent, Anm. d. Red.).

Eine derart optimistische Prognose kann die russische Regierung bislang nicht aufstellen. Das Wirtschaftsministerium geht von eineinhalb bis zwei Prozent Wachstum aus – in den kommenden drei Jahren. Chancen auf eine darauffolgende mögliche Beschleunigung hängen von Reformen ab, die die Wirtschaftsweisen bislang nicht formuliert und die Regierung nicht bestätigt haben.

Das von Wladimir Putin aufgestellte Ziel, Russlands Wirtschaft solle bis 2020 stärker wachsen als die Weltwirtschaft, sieht in einer solchen Lage schon sehr ambitioniert aus. Selbst das plötzliche Wunder wieder steigender Ölpreise, Russlands ewiges Allheilmittel, würde hier kaum ins Gewicht fallen: Ein Zuwachs von zwölf Dollar je Barrel würde ungefähr ein Prozent zusätzlichen Wachstums generieren. Und einen Ölpreis von 100 Dollar je Fass würde derzeit wohl kein Experte prognostizieren.

Alle Hoffnungen der russischen Regierung sind heute auf jenes Reformpaket gerichtet, das von Alexej Kudrin und seinem Team momentan ausgearbeitet wird. Im Mai soll das Programm der russischen Regierung vorgelegt und anschließend der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wird der ehemalige Finanzminister Strukturreformen für den wirtschaftlichen Durchbruch aufsetzen können? Das erfahren wir schon bald.

Der Autor ist Senior Fellow an der Brookings Institution in Washington. Er war Russlands Vize-Finanzminister und stellvertretender Vorsitzender der Zentralbank in den Jahren 1993 bis 1998.

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