Am 19. März gaben die syrischen Behörden bekannt, dass die bewaffnete Opposition in der Nähe der syrischen Stadt Aleppo chemische Waffen eingesetzt haben soll. Foto: AP
„Wir erwarten, dass der UN-Generalsekretär auf den Aufruf Syriens zu einer Untersuchung des Zwischenfalls vom 19. März, bei dem es zum Einsatz von Chemiewaffen gekommen sein soll, schnell reagiert. Wichtig wäre hierbei, dass ein neutrales und professionelles Expertenteam zusammengestellt wird, das objektive Schlussfolgerungen ziehen kann", forderte der stellvertretende russische Außenminister Gennadi Gatilow nach den jüngsten Meldungen aus Syrien via Twitter. Bereits zuvor hatte sich Witali Tschurkin, Ständiger Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, in ähnlicher Weise zu dem Vorfall geäußert.
Am 19. März gaben die syrischen Behörden bekannt, dass die bewaffnete Opposition in der Nähe der syrischen Stadt Aleppo chemische Waffen eingesetzt haben soll. Laut Angaben des syrischen Außenministeriums sollen dabei Terroristen eine mit chemischen Substanzen gefüllte Rakete
auf den Ort Chan al-Assal abgefeuert haben. Die Rakete ging nach Ministeriumsangaben in einer dichtbesiedelten Region nieder und explodierte. Laut offiziellen Angaben kamen bei dem Angriff 25 Menschen ums Leben, weitere 110 wurden schwer verletzt.
Syriens Opposition schob die Verantwortung auf die Regierung und behauptete, dass syrische Soldaten eine Scud-Rakete mit einem mit chemischen Kampfstoffen gefüllten Sprengkopf abgefeuert hätten. Die Regierung in Damaskus dementierte diese Vorwürfe und erklärte, dass die Streitkräfte keine chemischen Waffen im Kampf gegen Terroristen anwenden würden. Sie kämen lediglich im Falle einer Intervention von außen zum Einsatz.
Russische Politiker und Experten waren sich in ihren Beurteilungen der Meldungen aus Syrien weitgehend einig. Alexej Puschkow, Vorsitzender des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, erklärte, der Einsatz von chemischen Waffen in Syrien sei eine Provokation vonseiten der Opposition und ihrer Unterstützer im Ausland gewesen. „Warum sollte die syrische Regierung in ihrer aktuellen Lage auch nur eine Rakete mit chemischen Substanzen abschießen? Wo ist da der Sinn?", fragte Puschkow auf seinem Blog.
Einsatz chemischer Waffen käme für die syrische Regierung einem politischen Selbstmord gleich
Ähnlich skeptisch äußerte sich auch Alexander Ignatenko, Präsident des Instituts für Religion und Politik: „Ich glaube nicht, dass die syrische Führung an einem Einsatz chemischer Waffen interessiert ist. Assad weiß sehr wohl, dass dies den USA grünes Licht für ihre Pläne geben würde. Und damit meine ich die Einführung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium und die Belieferung der Opposition mit schweren Waffen", so Ignatenko gegenüber „Gazeta.ru".
Interessant ist allerdings die Tatsache, dass die jüngste Nachricht über einen angeblichen Einsatz von chemischen Waffen in Syrien nicht die erste ist. Bereits Ende Dezember 2012 hatte der Nachrichtensender „Al Jazeera" unter Berufung auf die syrische Opposition berichtet, dass Militärflugzeuge der syrischen Luftwaffe Bomben mit chemischen Giftstoffen auf die Vorstadt Homs al-Baida abgeworfen hätten. Im Internet sind von diesem Vorfall sogar von Aktivisten aufgenommene Videos erschienen. Diese Nachricht konnte jedoch von keiner unabhängigen Quelle bestätigt werden. Sergej Lawrow, der russische Außenminister, sagte damals, dass der Einsatz chemischer Waffen „für die syrische Regierung zum politischen Selbstmord" werden würde, weswegen sein Ministerium auch jede einzelne Nachricht über Vorfälle dieser Art sehr sorgfältig prüfe.
Dass die derzeitige Situation sehr unklar ist, zeigt auch die zurückhaltende Reaktion der USA. US-amerikanische Politiker verfügten nach eigenen Angaben über keine stichhaltigen Beweise. Auch US-Präsident Barack Obama gab sich der aus Damaskus stammenden offiziellen Version, wonach die Aufständischen chemische Waffen verwendet haben sollen, gegenüber sehr skeptisch. Allerdings zog er keine voreiligen Schlüsse und ordnete stattdessen an, die Lage genauer zu untersuchen. Er drohte allerdings damit, dass das Assad-Regime „die Verantwortung für den Einsatz chemischer Waffen oder deren Weitergabe an Terroristen tragen" würde. Denn, so der US-Präsident, sollte sich die Situation in diese Richtung weiterentwickeln, dann würden sich auch „die Spielregeln ändern". Die Weltgemeinschaft müsse sofort reagieren, sollten entsprechende Hinweise vorliegen, sagte Obama.
Bis auf weiteres hält sich Washington hinsichtlich einer direkten Intervention in den Konflikt zurück und setzt weiter auf internationale politische und diplomatische Lösungen. Nichtsdestoweniger erklärte James Stavridis, Kommandierender General der US-amerikanischen und NATO-Streitkräfte in Europa, auf einer Sitzung des Streitkräfte-Ausschusses des Senats, dass sich „die Lage in Syrien von Tag zu Tag verschlechtert" und sich die Allianz auf eine bewaffnete Intervention nach dem Vorbild des „Libyen-Szenarios" vorbereite. Er betonte jedoch, dass die Durchführung einer solchen Maßnahme einer Resolution des UN-Sicherheitsrates, eines Konsensus der 28 NATO-Mitgliedsstaaten sowie des Einverständnisses vonseiten der Nachbarländer Syriens bedürfe.
Die Nachricht über den Einsatz chemischer Waffen in Syrien fiel zeitlich mit Bemühungen zusammen, den Konflikt mittels eines Genfer Kommuniqués beizulegen. Gleichzeitig verlangte die syrische Opposition vom Westen militärische Unterstützung und weigerte sich unter verschiedenen Vorwänden, Verhandlungen mit Assad zu führen. Einige europäische Länder bereiten sich inzwischen darauf vor, die Opposition mit schweren Waffen zu beliefern, vor allem mit Fliegerabwehr- und Panzerabwehrraketen.
Dieser Artikel entstand auf Basis von Informationen von RIA Nowosti, Gazeta.Ru, Nesawisimaja gaseta, vom Nachrichtensender Al Jazeera, der New York Times sowie dem Pressedienst des US-Verteidigungsministeriums.
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