Der 54-jährige Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin (in der Mitte). Foto: AP
Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin hat am 4. Juni erklärt, sein Amt niederzulegen und erneut zur Wahl anzutreten. Sobjanin setzte den 8. September als Termin für die Neuwahlen an. Es werden die ersten Bürgermeisterwahlen in Moskau seit zehn Jahren sein. Am gleichen Tag wird auch der Gouverneur der Oblast Moskau gewählt.
Das Manöver wird allgemein als Versuch Sobjanins gewertet, sich das Bürgermeisteramt für weitere fünf Jahre just in dem Moment zu sichern, in dem seine gefährlichsten politischen Gegenspieler, der Milliardär Michail Prochorow und der oppositionelle Aktivist Alexei Nawalny, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Wahl antreten können.
Der 54-jährige Sobjanin war 2005 bis 2010 Chef der Präsidialverwaltung unter Wladimir Putin. Davor hatte er vier Jahre das Gouverneursamt in der Oblast Tjumen, die Region mit den größten Öl- und Gasvorkommen Russlands, inne. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Moskau veranlasste Sobjanin eine konsequente Revision der Politik seines Vorgängers Juri Luschkow und ersetzte dessen Vertraute im Rathaus durch eigene Leute. Luschkow war im September 2012 nach 18 Jahren Amtszeit von Medwedjew per Dekret wegen „Vertrauensverlustes“ entlassen worden, nachdem eine Medienkampagne die zügellose Korruption seiner Verwaltung an die Öffentlichkeit gebracht hatte.
Die letzten Bürgermeisterwahlen fanden in Moskau 2003 statt. Luschkow konnte damals 75% der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Im September 2004, nach der Geiselnahme in Beslan, schaffte Wladimir Putin die Direktwahl der Gouverneure und Bürgermeister von Moskau und St. Petersburg ab. Die Neuregelung wurde als Schritt hin zu einer stärkeren Kontrolle der regionalen Eliten durch den Kreml gedeutet. Im Juni vergangenen Jahres trat ein Änderungsgesetz in Kraft, das Direktwahlen der regionalen Regierungen mit bestimmten Einschränkungen wieder einführt. Politische Beobachter erkannten darin ein Zugeständnis an die kremlkritischen Demonstranten aus dem Mittelstand, die mehr Selbstverwaltung für die großen Städte, in erster Linie für Moskau, forderten.
Eine im Februar vom Allrussischen Zentrum für Meinungsforschung (WZIOM) durchgeführte Umfrage ergab, dass 51 Prozent der Moskauer mit Sobjanins Politik zufrieden sind, während ihr 23 Prozent kritisch gegenüberstehen. 59 Prozent der Befragten gaben an, es wäre für Moskau vorteilhaft, wenn Sobjanin im Amt bliebe, während 14 Prozent dem nicht zustimmten. Sobjanin erreichte der Erhebung zufolge bei den Moskauern eine Beliebtheit von 66 Prozent.
Die Internetzeitung Gazeta.ru zitierte den Chefredakteur des Moskauer Informationsportals Mossovet Juri Sagrebnoj mit einer Äußerung, wonach die Terminierung der Neuwahlen auf den September 2013 den Milliardär und liberalen Politiker Prochorow von einer Kandidatur abhalten würde.
Am 1. Juni 2013 trat ein Gesetz in Kraft, das Abgeordneten, Bürgermeistern und Gouverneuren verbietet, im Ausland Konten und Betriebsvermögen zu unterhalten. Am 29. Mai 2013 kündigte Prochorow im Businessportal RBC an, sein Vermögen bis 2014 nach Russland zu transferieren, um bei den Wahlen für das Moskauer Stadtparlament kandidieren zu können, die für September 2014 anberaumt sind.
Prochorow hat derzeit in Moskau mehr Unterstützer als in jeder anderen russischen Region. In Moskau erreichte er bei den Präsidentschaftswahlen im März 2012 mit 20,5 Prozent der Stimmen Platz zwei hinter Wladimir Putin. Landesweit kam er im Vergleich dazu auf gerade einmal 8 Prozent. Putin vereinigte in Moskau 47 Prozent, landesweit insgesamt 64 Prozent der Wählerstimmen auf sich.
Lew Gudkow, Leiter des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum schätzt, dass Prochorow bei den Septemberwahlen 20 bis 25 Prozent der Stimmen erhalten könnte.
Eine andere in Moskau bekannte politische Persönlichkeit, der Anti‑Korruptions‑Blogger Alexei Nawalny, ein noch schärferer Putin‑Kritiker als Prochorow, erklärte am 4. Juni im Radiosender Echo Moskwy, er werde ebenfalls für das Bürgermeisteramt kandidieren.
Ähnlich wie bei Prochorow, der Konten im Ausland unterhält, sind Nawalnys Aussichten, bei den Septemberwahlen wirklich anzutreten höchst unsicher – wenn auch aus anderen Gründen. Nawalny muss sich wegen Betrugsvorwürfen, die man in Oppositionskreisen als gegenstandslos und politisch motiviert bezeichnet, vor Gericht verantworten. Wird er für schuldig befunden, verliert Nawalny das Recht, politische Ämter zu bekleiden.
Sobjanin habe einen „Präventivschlag“ gegen seine Herausforderer gestartet, dem diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht standhalten können, behauptet der Chefredakteur von Echo Moskwy Alexej Wenediktow. „2015 hätte ihn ein härterer Kampf erwartet. Das Risiko, die Wahlen zu verlieren, wäre 2015 deutlich höher als 2013”, schrieb Wenediktow bei Twitter.
Alexej Makarkin, der stellvertretende Präsident des Moskauer Think Tanks Zentrum für Polittechnologie, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti, Sobjanin habe den richtigen Zeitpunkt für die Wahlen erwischt. „Breite Unterstützung und geringe Protestaktivität” seien ihm gewiss. „Ein Wahlerfolg wird Sobjanins Legitimität steigern“, sagte Makarkin.
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