Edward Snowden – Held oder Verräter?

Foto: AFP / East News

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Held oder Verräter – der ehemalige CIA-Agent Edward Snowden spaltet die Welt. Wie sich der Fall Snowden auf die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland auswirken wird, diskutieren russische und amerikanische Experten.

Während der ehemalige CIA-Agent und NSA-Mitarbeiter Edward Snowden im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo festsitzt, tauschen russische und amerikanische Experten ihre Meinungen darüber aus, wie sich der Fall Snowden auf die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland auswirken wird.

 

Fjodor Lukjanow, Leiter des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, Herausgeber der Zeitschrift „Russland in der Weltpolitik“:

Man kann Edward Snowden entweder als Verräter oder aber als Nationalhelden betrachten. Während einige Kreise ihn als einen Menschen bezeichnen, der die Interessen seines Landes verrät, betrachten ihn anderen als jemanden, der den Staat herausfordert.

Ich denke, dass Russland Snowden nicht ausliefern sollte. Auf keinen Fall sollte er zurück in die Vereinigten Staaten geschickt werden. Das wäre schamlos gegenüber dem Rest der Welt, weil viele Leute ihn bewundern. Immerhin hatte Snowden selbst nichts mit Spionage zu tun. Er hat lediglich wichtige Fakten offengelegt.

Die Auslieferung Snowdens würde Russlands Image im Ausland stark beschädigen. Es wäre ein Beweis dafür, dass die Auslieferung lediglich Moskaus wirtschaftlichen Interessen geschuldet ist. Der Fall sollte nicht Gegenstand von irgendeinem Gefeilsche werden.

Gleichzeitig sollten wir ihm jedoch kein politisches Asyl gewähren, weil dies das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland schwer belasten könnte. Für Moskau wäre es besser, wenn ein anderes Land Snowden politisches Asyl gewährt. Schließlich hat er nicht mit Russlands Geheimdiensten zusammengearbeitet und diese folgerichtig kein Interesse an ihm. Die russischen Behörden können den Fall Snowden für Propagandazwecke nutzen: Moskau kann Washington zum Beispiel vorwerfen, einen harmlosen Whistleblower zu verfolgen, der die Meinungsfreiheit verteidigt.

Der Fall Snowden wird sich wohl kaum auf das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland auswirken, sofern er Russland verlässt und in ein anderes Land ausreist. Wenn er jedoch in Russland bleibt, kann das zu einer Belastung für beide Länder werden.

 

Russ Witcher, Professor für Mediengesetze an der Journalistenschule der Technischen Universität Tennessee. Er hat drei Bücher zu dem Thema „Medien und Gesellschaft in der Nixon-Ära“ verfasst:

Er wäre ein Held gewesen, wenn er in den Vereinigten Staaten geblieben wäre, um sich vor Gericht zu verantworten. Snowden hat wichtige Informationen über die Einmischung der Regierung in die Privatsphäre ihrer Bürger an die Öffentlichkeit gebracht, aber er brach dabei auch das Gesetz. Russland sollte Snowden an die Vereinigten Staaten ausliefern. Wenn Russland Snowden nicht ausliefert, wird es in den Vereinigten Staaten als ein Land angesehen werden, das eine Person beherbergt, die sich dem Rechtssystem entzieht.

 

Gregory Feifer, ehemaliger Moskau-Korrespondentdes National Public Radio (NPR), Mitarbeiter von Radio Liberty:

Ich weiß nicht, ob Edward Snowden ein Held ist oder nur jemand, der dachte, dass das, was er tat, richtig für sein Land war – obwohl es eigentlich kein Geheimnis ist, dass die amerikanische Regierung solche Informationen sammelt. Dank einiger gut recherchierter Berichte, der Äußerungen einiger Senatoren und der Eingeständnisse der Regierung wurde das Ganze nun zu einem Topthema in den Vereinigten Staaten.

Snowden ist kein unbesonnener Ausplauderer von Geheimnissen. Er scheint vielmehr sehr vorsichtig abgewogen zu haben, welche konkreten Dokumente er veröffentlicht. Obwohl der Staat möglicherweise nichts Ungesetzliches getan hat, ist das Vorgehen doch gegen den Geist der Verfassung gerichtet. Die Amerikaner haben deshalb das Recht, dieses Thema öffentlich zu diskutieren. Die meisten Staaten behaupten normalerweise, im nationalen Interesse zu handeln, und in der Regel tun sie das auch. Aber meiner Erfahrung nach erfordert eine offene Gesellschaft informierte Bürger. Nur so kann eine Demokratie funktionieren.

Snowdens Handlung ruft auch andere Debatten hervor, so zum Beispiel die Frage, warum mehr als eine Million Menschen – einschließlich vieler Nichtregierungsangestellter – einer speziellen Sicherheitsprüfung unterzogen wurden.

Leider ist es in solchen Fällen [wie der Auslieferung von Snowden] unmöglich, ein ordentliches  Gerichtsverfahren, ohne Einfluss der Politik, zu gewährleisten. Einerseits führt sich das Weiße Haus wie ein bockiger Schuljunge auf, der unfähig ist, Snowden ziehen zu lassen. Andererseits unterstützt Putins Russland auch nicht gerade Transparenz und persönliche Freiheit im eigenen Land. Die Instrumentalisierung Snowdens zur Einschüchterung Washingtons mit dem Ziel der diplomatischen Selbstdarstellung ist heuchlerisch.

Prinzipiell glaube ich, dass Straftäter ausgeliefert werden sollten, jedoch ist das eine sehr komplexe Frage. Im aktuellen Fall denke ich nicht, dass Snowden in die Vereinigten Staaten zurückgeschickt werden sollte, weil ich glaube, dass er das Richtige gemacht hat. Er würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu mindestens vierzig Jahren Haft verurteilt werden, allein um andere potenzielle Whistleblower abzuschrecken.

Ich denke nicht, dass die Angelegenheit den russisch-amerikanischen Beziehungen  schaden würde – die sind sowieso bereits im Keller.

 

Edward Lozansky, Präsident der Amerikanischen Universität in Moskau:

Ich würde so etwas nicht tun und heiße die Handlungen von Edward Snowden definitiv nicht gut. Jedoch denke ich nicht, dass wir ihn zu einem Held machen oder voreilig als Verräter abstempeln sollten. Es sieht so aus, als ob das amerikanische Volk in dieser Frage ebenfalls geteilt ist. Wir sollten deshalb abwarten und uns mit allen Fakten und Snowdens wahren Motiven vertraut machen. 

Russland sollte Snowden definitiv nicht ausliefern. Das ist ausschließlich ein inneramerikanisches Problem. Russland sollte sich nicht in die inneren Angelegenheiten der USA einmischen, vor allem, wenn man berücksichtigt, wie tief die amerikanische Gesellschaft selbst in dieser Frage gespalten ist. Ein Blick in die Vergangenheit unterstützt dieses Argument: Hätten die USA KGB-Verräter nach Russland ausgeliefert? Soweit ich mich zurückerinnere, geschah das weder zu Sowjetzeiten, als wir noch Feinde waren, noch zu Zeiten von Jelzin oder des aktuellen Präsidenten Putin.

Natürlich wird der Fall Snowden die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland stark belasten. Je schneller diese „heiße Kartoffel“ Snowden also Russland in Richtung Ecuador oder anderswohin verlässt, desto besser. Was das Ansehen Russlands in den Vereinigten Staaten betrifft: Das kann sich zumindest unter den fünfzig Prozent der Bevölkerung deutlich verbessern, für die Snowden ein Held ist.

 

Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst bei Russia Direct.

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