Leiter der NGO „Für Rechte des Menschen“ Lew Ponomarew. Ende Juni wurde das Moskauer Büro der NGO von Sondereinheiten geräumt. Foto: AFP/East News
Bei Überprüfungen von mehr als 2 000 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stellte die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen FöderationJuri Tschaikafest, dass ein Teil dieser immer noch Geld aus dem Ausland annähme. Obwohl das Gesetz über die verpflichtende Registrierung von politisch tätigen und vom Ausland aus finanzierten NGOs als „Auslandsagenten“ bereits seit November 2012 in Kraft ist, hat sich bisher keine dieser Organisationen mit ihren Mitarbeitern registrieren lassen.
Laut Angaben der Staatsanwaltschaft hätten 2 226 NGOs von November 2012 bis April 2013 722 Millionen Euro an Spenden- und Fördermitteln erhalten. 358 dieser Organisationen seien staatliche Einrichtungen, die mit zirka 154 Millionen Euro von der russischen Regierung finanziert wurden. Die verbleibenden 1 868 Gruppen hätten 567 Millionen Euro an finanziellen Mitteln aus anderen Quellen erhalten. Bevor das neue Gesetz in Kraft trat, wurden bei 215 überprüften NGOs „Anzeichen für politische Tätigkeiten“ festgestellt. Die Mittel aus dem Ausland hätten sich hierbei im Zeitraum von 2010 bis 2013 auf mehr als 140 Millionen Euro belaufen. 193 NGOs befolgten seitdem aber das Gesetz und hätten entweder ihre politische Tätigkeit oder ihre Finanzierung aus dem Ausland eingestellt. Laut Tschaika würden die restlichen 22 Organisationen auch heute noch Geld aus dem Ausland annehmen, ohne sich zu registrieren.
Generalstaatsanwalt Juri Tschaika hatte vor dem Föderationsrat erklärt, dass sich diese NGOs „an Wahlprozessen und öffentlichen Veranstaltungen sowie an der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen beteiligt haben, wobei sie ihren Geldgebern über ihre Ausgaben genau Rechenschaft ablegten.“
„Entgegen den Auflagen der Wiener Konvention von 1969 werden 17 politisch tätige Organisationen direkt von den Botschaften der USA, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz finanziert, was nach Ansicht des Außenministeriums eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes und somit eine Verletzung der allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen darstellt“, so Tschaika weiter.
Betroffene NGOs gehen in die Offensive
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Die Liste mit jenen NGOs, denen ein Fehlverhalten vorgeworfen wird, will die Staatsanwaltschaft jedoch nicht veröffentlichen. Daher haben NGOs nun beschlossen, dieses Informationsdefizit selbst auszugleichen. Auf einer Website mit dem Namen „Sakrytoe obschtschestwo“ (Geschlossene Gesellschaft) bietet sich nun für alle Organisationen die Möglichkeit anzugeben, welche Vorwürfe gegen sie erhoben werden. Aleksander Tscherkasow, Vorsitzender der internationalen Menschenrechtsorganisation Memorial, versuchte nach eigenen Angaben bisher vergeblich, jene Organisationen zu identifizieren, denen laut Tschaika Geld überwiesen wurden sei: „Wir haben ausgerechnet, dass in den vier Monaten, die seit dem Moment, an dem das Gesetz in Kraft getreten ist, bis zur Ankündigung von Sanktionen von Seiten des Staatsanwalts vergangen sind, 578 000 Euro an unsere Organisation überwiesen wurden. Wir sind eine der größten Organisationen in Russland und über ein gleiches Budget verfügen nur wenige NGOs“, erklärt der Bürgerrechtler.
Er führte weiter aus: „Wenn man nun die hunderten Millionen Euro, welche laut Tschaika entdeckt wurden, durch diese Summe teilt, so müsste es sehr viele Organisationen in unserer Größenordnung geben. Das sind schließlich öffentliche Organisationen, die nirgendwo Geld verstecken können. Deswegen haben wir uns sogar an die Generalstaatsanwaltschaft gewandt, damit man uns erklärt, auf wessen Konten so viel Geld aufgefunden wurde. Doch dort bekamen wir als Antwort auf unsere Frage lediglich zu hören, dass es sich dabei um vertrauliche Informationen handle.“
Außerdem erklärte Tscherkasow, warum sich keine der NGOs als „ausländischer Agent“ bekennen möchte: „Agenten sind jene, die nach fremden Anweisungen handeln und Aufgaben nach eigenen Prinzipien erfüllen. Hier jedoch handelt es sich um autonome Organisationen, die nicht im Auftrag des Staats handeln.“
Ende März durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Räume der Organisation Memorial und beschlagnahmte dort mehr als 9 000 Seiten an Dokumenten, um diese zu untersuchen. Die Bürgerrechtler erklärten, dass die Rechtschutzorgane sie darum ersucht hätten, ihre Tätigkeiten bezüglich politischer Gefangener einzuschränken, da es im Strafgesetzbuch keinen speziellen Artikel gebe, der eine Strafe aufgrund von politischen Ansichten vorsehe.
In Expertenkreisen sind zudem noch viele Fragen zum Bericht der Generalstaatsanwaltschaft offen geblieben. So meinte Jelena Topolewa-Soldunowa, Mitglied im Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten und dort Leiterin der Arbeitsgruppe für NGOs, dass von Vertretern der Staatsanwaltschaft regelmäßig widersprüchliche Informationen bezüglich der Überprüfung von NGOs herausgegeben werden: „Ich arbeite bereits seit vielen Jahren in diesem Bereich und mir ist nicht klar, warum solch negative Informationen über die Gelder aus den Botschaften veröffentlicht werden. Vertretungen anderer Länder widmen sich seit jeher legal gemeinnützigen Tätigkeiten. Diese gemeinnützigen Organisationen haben niemals ihre Beziehungen zu den Botschaften verheimlicht. Sie haben auch niemals ahnen können, dass sie durch diese Art der Finanzierung gegen irgendwelche Gesetze verstoßen. Ich bin mir sicher, dass Hunderte von Organisationen auf diese Weise Geld bekommen haben.“
Wie geht es mit NGOs in Russland weiter?
Topolewa-Soldunowa meinte außerdem noch, dass die Überprüfungen Tausender gemeinnütziger Organisationen in der Öffentlichkeit eine negative Meinung allen NGOs gegenüber bilde: „NGOs haben ohnehin Schwierigkeiten damit, neue Unterstützer, Sponsoren und Freiwillige zu gewinnen und jetzt leidet ihr Bild in der Öffentlichkeit noch weiter. Solche Organisationen sind in Russland überdies bei weitem kein typisches Phänomen. Bei uns gibt es nicht umsonst so wenige von ihnen, und jene, die es gibt, verfügen über keinen so großen Einfluss wie jene Organisationen in den USA oder in Deutschland. Ihnen gegenüber konnte in der Gesellschaft bisher noch keine stabile, positive Meinung geformt werden.“
Die Meinung der Expertin bestätigt sich auch in der Statistik: Laut einer Umfrage des gemeinnützigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentr haben die Russen in den letzten Jahren eine immer schlechtere Meinung von NGOs. Bewerteten im vergangenen Jahr nur 13 Prozent der Befragten die Tätigkeiten von NGOs negativ, stieg dieser Wert in diesem Jahr auf 19 Prozent an. Eine positive Haltung gegenüber gemeinnützigen Organisationen haben hingegen, wie im Vorjahr, genau 50 Prozent der Befragten. Gleichzeitig ist die Zahl jener Anhänger leicht gestiegen, die für eine Verschärfung der Gesetze bezüglich NGOs und der Registrierung jener Organisationen als „ausländischen Agenten“, die vom Ausland aus finanziert werden, eintreten: Vor einem Jahr begrüßten 45 Prozent der Russen derartige Maßnahmen, in diesem Jahr sind es bereits 49 Prozent.
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