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Das Oberhaupt der ägyptischen „Muslimbrüderschaft“, Mohammed Mursi, ist nicht mehr Staatschef von Ägypten. Dies bestätigte das US-Außenministerium am Mittwoch und beendete damit den Dialog mit dem „politischen Islam“. Gleichzeitig gehörte Baschar al-Assad zu den ersten Regierungschefs, die sich mit Beifall zum Sturz des ägyptischen Präsidenten äußerten. Wie lassen sich diese beiden Stellungnahmen von zwei so unterschiedlichen politischen Lagern erklären?
Die Abdankung des Emirs von Katar, die Proteste gegen die Regierung in der Türkei und der vom Militär herbeigeführte Sturz der Regierung in Ägypten – all diese Ereignisse sind Teil einer Kettenreaktion. Sie bildet eine Welle des Widerstands gegen den Einzug des „politischen Islams“ im Nahen Osten, dessen treibende Kraft die „Muslimbrüderschaft“ ist.
Anfang Juni dieses Jahres übergab der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalifa, al-Thani die Macht an seinen Sohn Kronprinz Tamim bin Hamad al-Thani. Der Monarch hatte sich zuletzt mehr seiner schlechten Gesundheit gewidmet als der Politik und so sein Land mehr repräsentiert als regiert. Die tatsächliche politische Macht lag in den Händen von Premier Hamad Bin Jassim, der unter anderem auch Außenminister war. Eben seine Initiative soll es gewesen sein, die es Katar ermöglichte, sich als wichtigstes Land in der Region zu positionieren, aktiv in den Kampf gegen das libysche Staatsoberhaupt Gaddafi einzutreten, finanziell die „Muslimbrüder“ in Ägypten zu unterstützen und sich an den Waffenlieferungen an ihre Truppen in Syrien zu beteiligen, meint Wjatscheslaw Matusow, Leiter der Arabischen Freundschaftsgesellschaft in Russland.
Der neue Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani ernannte bereits kurze Zeit nach seinem Amtsantritt Khalid bin Mohammad al-Attiyah, der aus seiner Familie mütterlicherseits stammt, zu seinem neuen Premier- und Außenminister. Diese Veränderung, so Matusow, markiert den Beginn eines Wandels hin zu einem ausgewogeneren Kurs Katars in der Region – insbesondere in Hinblick auf Ägypten und Syrien.
Etwas anders als in Katar, doch mit demselben Ergebnis, stellten sich die Ereignisse in der Türkei dar, wo Premierminister Recep Tayyip Erdogan gegen Massenproteste anzukämpfen hatte. Diese richteten sich gegen die Abweichung der Regierung vom Modernisierungskurs, den Mustafa Kemal Atatürk angestoßen hatte. Die Regierung konnte die Proteste, die ursprünglich dem Schutz der Bäume am Taksim-Platz in Istanbul gedacht waren und in der Forderung, Erdogan solle abdanken, mündeten, beenden. Dazu haben unter anderem kritische Äußerungen der USA zum gewaltsamen Vorgehen der Polizei gegenüber den Demonstranten beigetragen. „Der Aufstand war in seiner Natur gegen das Erdogan-Regime gerichtet. Zudem sind 60 Prozent der Türken nicht mit dem Anti-Syrien-Kurs der Regierung einverstanden. Kombiniert mit den inneren Unruhen im Land wirkt sich dieser Unmut negativ auf die politische Stabilität der Regierung Erdogans aus“, erklärt Stanislaw Tarasow, Experte am Internationalen Institut für Jungstaaten. Wie die künftige Unterstützung der „Muslimbrüderschaft“ in Syrien vonseiten Ankaras nach diesen Ereignissen aussehen wird, bleibt eine offene Frage.
In Ägypten erlebt der „politische Islam“, als dessen Anführer die „Muslimbrüderschaft“ auftritt, eine vernichtende Niederlage. Die Organisation, die Ende der 1920er-Jahre von britischen Sondereinheiten zur Bekämpfung kommunistischer Einflüsse in ihren Mandatsgebieten im Nahen Osten aufgebaut wurde, erfuhr in Ägypten auch außerhalb der Hauptstadt starke Unterstützung. Vor eineinhalb Jahren konnten sich die „Muslimbrüder“ die Instabilität des Mubarak-Regimes, die durch Volksaufstände hervorgerufen wurde, zunutze machen. Sie brachten das Volk auf ihre Seite und gewannen die Präsidentschaftswahlen mit einer knappen Mehrheit.
Präsident Mursi und seine Anhänger hatten bis dahin keinerlei Regierungserfahrung. Mit ihren Bemühungen, den Islam in die Politik einzugliedern, verloren sie allerdings in nur einem Jahr wichtige Verbündete. Diese ehemaligen Verbündeten versammelten sich nun als Gegner des Regimes auf dem Tahrir-Platz. Kurz darauf stellte dann auch das Militär den Status quo von vor eineinhalb Jahren wieder her, indem es die „Muslimbrüder“ in die Isolation trieb und die von ihnen beschlossene Verfassung annullierte.
Die ersten, die diesen Umsturz begrüßten, waren der König von Saudi-Arabien, die Führung der Vereinigten Arabischen Emirate und der König von Kuwait. Sie bekräftigten, dass die Verfassung eines Landes und der Koran getrennt sein müssten. Bereits im Herbst letzten Jahres bezeichnete der saudische König Abdullah in einem Interview die „Muslimbrüder“ unter Mursi als „Wölfe im Schafspelz“. Vor einigen Tagen haben diese Staaten ihre Position gegenüber der neuen ägyptischen Führung bekräftigt, indem sie dem Land Hilfszahlungen in Höhe von 7,7 Milliarden Euro zusicherten.
Washington hält sich unterdessen mit eindeutigen Einschätzungen der Ereignisse in Ägypten zurück. US-Präsident Barack Obama erteilte jedoch bereits die Anweisung, erneut über Hilfszahlungen an Ägypten zu verhandeln. Ihre Höhe soll sich auf 1,1 Milliarden Euro belaufen. Mehr Klarheit über die Position der USA gegenüber Ägypten brachte die Erklärung der Sprecherin des Außenministeriums Jen Psaki. Sie antwortete auf die Frage eines Journalisten, ob Washington Mohammed Mursi weiterhin als amtierenden Präsidenten erachte, kurz und knapp: „Mursi hat das Amt des Präsidenten nicht länger inne.“ Zudem bemerkte sie, dass das US-Außenministerium die Ereignisse in Ägypten nicht als Umsturz erachte. „Wir beziehen uns auf die Meinungen der 22 Millionen Ägypter, die auf die Straßen gegangen sind, um ihre Rechte geltend zu machen und um dafür zu demonstrieren, dass Demokratie nicht nur die Stimmenabgabe bei Wahlen ist.“
Damit fällt die USA ein klares Urteil. Ein Urteil, das auch der syrische Präsident bereit ist zu unterzeichnen. „In Ägypten erfolgte ein Zusammenbruch dessen, was sich ‚politischer Islam‘ nennt. Diejenigen, die Religion zu politischen Zielen oder im Interesse einer Gruppe ausnutzen, werden, wo auch immer das passieren mag, zu Fall gebracht“, so Baschar al-Assad.
An diesem Punkt drängt sich eine Frage auf: Wie verhält sich die Beziehung der USA zu Assad, der bereits seit über zwei Jahren nicht nur gegen die Opposition, sondern auch gegen radikale Islamisten, darunter bewaffnete Salafiten, Mitglieder der al-Qaida und die „Muslimbrüder“, kämpft? Wie lässt sich nun die Tatsache, dass die USA den Dialog mit den Anhängern des „politischen Islams“ verweigert, mit ihrer Unterstützung in Syrien vereinen?
Die Antwort auf diese Frage geben jüngste Entscheidungen: beispielsweise die Entscheidung des Kongresses, die militärische Unterstützung von syrischen Aufständischen zu verhindern, genauso wie die Vorschläge der nationalen Opposition, während des Fastenmonats Ramadan Waffenruhe zu schließen. Eine Aussage ist auch die lang erwartete Entscheidung der Vereinten Nationen, die Einladung der syrischen Regierung zu Verhandlungen anzunehmen, bei denen es um gegenseitige Schuldzuweisungen beider Konfliktparteien beim Einsatz chemischer Waffen gehen wird.
In diesem Kontext zeichnen sich auch die Perspektiven der internationalen Syrien-Konferenz ab, die von den USA und Russland gemeinsam geplant wird. Die Absage der USA, den Dialog mit dem „politischen Islam“ fortzusetzen, gibt dieser Konferenz Hoffnung auf Erfolg. Es könnte sogar ein Konsens gefunden werden, wäre da nicht eine Sache: Washington fordert weiterhin den Sturz von Assad.
In einem aktuellen Interview mit der Zeitung „The National Interest“ stellte der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, eine relevante Frage: „Warum haben wir alle plötzlich entschieden, dass Syrien destabilisiert und die Regierung dort gestürzt werden muss?“ Ja wirklich, warum?
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