Das Urteil gegen Alexej Nawalny löste im Internet kontroverse Reaktionen aus. Foto: Ruslan Suchuschin
Die russische Blogszene hat das Verfahren in der Sache Kirowles mit Alexej Nawalny als Hauptangeklagten sehr aufmerksam verfolgt. Am Donnerstag erschienen bereits in den Morgenstunden Kommentare aus dem Gerichtssaal und Berichte über die Proteste in Kirow. Die Urteilsverkündung konnte man praktisch in Echtzeit verfolgen. Die vom Gericht verhängte fünfjährige Haftstrafe löste eine Woge der Kritik und negative Kommentare aus.
So bedauerte beispielsweise der Politiker Boris Nemzow, ein Mitstreiter von Alexej Nawalny und Mitglied des Parteivorstands der Republikanischen Partei RPR-PARNAS, in seinem Blog Nawalnys Frau und Eltern.
Der Publizist und Oppositionelle Sergej Parchomenko sagte, es bleibe jetzt nichts anderes übrig, als die Bürgermeisterwahlen zu verfolgen, also „aus nächster Nähe und mit eigenen Augen zu sehen, wie man die Stimmen für Sobjanin dank ‚Wahlbeteiligung von Behinderten, Vergnügungsveranstaltungen in Wohnheimen oder befristeten Aufenthaltsgenehmigungen für Tadschiken' erhöht." Damit spielt er auf ein bekannt gewordenes Verfahren der Wahlfälschung an: die Verwendung von Stimmen behinderter Menschen, die nicht selbst zum Wahlbüro gehen können. Ihre Wahlscheine wurden von Angehörigen der Wahlkommission selbst ausgefüllt. Beim Wählen an einer mobilen Urne im häuslichen Umfeld können Wahlhelfer die Abstimmung durch Werbung für den ihnen genehmen Kandidaten beeinflussen.
Die Schriftstellerin und Journalistin Mascha Gessen wunderte sich über die vielen Aussagen in den sozialen Netzwerken, die Erstaunen angesichts des Urteils ausdrücken: „Mich regen diese Worte des Zorns und des Entsetzens, vor allem aber des Erstaunens, die ich in den letzten Tagen von meinen Freunden gelesen habe, auf. All das ist ein schlechtes Zeichen: Wir haben immer noch nicht gelernt zuzuhören, was man uns bereits seit eineinhalb Jahren in verständlichem Russisch erzählt. Die Regierung vermittelt durch die Worte des Präsidenten, der Staatsanwälte und Abgeordneten, dass sie abgestumpft und bösartig ist und vor nichts zurückschreckt. Wir brauchen uns nicht mehr länger zu wundern, wir sollten allmählich glauben. Wir müssen den Staatsanwälten nur zuhören, sie lügen uns nicht einmal an. Wir haben uns lange genug vor der Wahrheit gedrückt."
Aber auch ganz anders lautende Stimmen waren zu vernehmen. So äußerte sich der Blogger Michail Iwanow: „Fünf Jahre sind eine lange Zeit.
Es ist eintönig und hart im Gefängnis, die Umgebung nicht gerade wohltuend. Daher tut mir Nawalny als Person aufrichtig leid. Er hat auch wieder eine Frau und Kinder. Aber, liebe Opposition, bitte entschuldigt – als Politiker kann man ihn vergessen. Ich könnte nicht eine politische Leistung nennen, für die ich das Gericht in Kirow stürmen und den Mann aus den Fängen korrupter Vollzugsbeamter befreien wollte. Die Regierung hat sich genug an der Opposition ausgetobt. Man wird weiterhin versuchen, die Wirtschaft anzukurbeln und die Straßen neu zu bepflastern."
Die Journalistin Darja Masajewa schrieb, man habe sie oft angerufen, um mit ihr über das Urteil gegen Nawalny zu sprechen. „Mein Güte! Schlagt
mich, tretet mich, aber wer Dreck am Stecken hat, braucht sich über faire Wahlen und Ähnliches nicht zu äußern. Die These, Nawalny sei Opfer eines blutigen Regimes, ist vollkommen unsinnig. Tatsächlich hat er sehr wenig Rückhalt in der Wählerschaft. Ich weiß außerdem persönlich, dass er schon seit Langem Kontakte in den Kreml hat. Seine zahlreichen Einträge auf Livejournal waren durch bestimmte politische Kräfte dort angetrieben. Nun hat sich Nawalny verkalkuliert, er hat offensichtlich die falsche Gruppe im Kreml unterstützt. Das war sein Fehler. Warum dieses Gejammer? Er hat Gelder veruntreut, das ist bewiesen. Macht Euch keine Helden, macht weder Nawalny noch Putin zu Helden. Lernt, selbst zu denken."
Der ehemalige Chefredakteur des Radiosenders Russkaja sluschba nowostej, Sergej Dorenko, schlug ebenfalls in diese Kerbe: „Vom Blogger zur nicht hinterfragbaren Führungsfigur – da komme ich nicht ganz mit. Das ist für mich nicht nachvollziehbar."
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