Immer mehr russische Politiker betreiben aktiv einen Blog. Foto: ITAR-TASS
Die Einmischung von Bloggern in das politische Geschehen ist mittlerweile üblich, noch alltäglicher jedoch ist das Engagement von Politikern in der Blogosphäre. Fast jeder Gouverneur, Bürgermeister oder Parteifunktionär schreibt einen Blog. Nur selten aber hat er mehr als Tausend Leser. Unsere Korrespondentin Ljudmila Nasdratschewa ging der Frage nach, von was der Erfolg politischer Weblogs abhängt und wer sie tatsächlich führt.
Es war die Verwaltung eines Moskauer Bezirks, die eines Tages die Bloggerin Aljona Popowa anrief. Die Leiterin des Pressedienstes lud sie in sagte in strengem Ton: „Wir haben eine Halbtagsstelle in der Pressestelle, das monatliche Gehalt sind 685 Euro, Sie werden für den Blog verantwortlich sein."
Für Popowa kam dieses Angebot sehr überraschend. Sie hatte sich in ihrem Blog nie zu politischen Fragen geäußert, lediglich über Reisen und ihre Perserkatzen geschrieben, für die sich erstaunlicherweise ein Publikum von etwa Tausend Lesern interessierte. Doch das Geheimnis war schnell gelüftet: Der Job, den die Leiterin der Pressestelle ihr anbot, sollte darin bestehen, einen Blog im Namen des Bezirksvorstehers zu schreiben. Der selbst verfasste anstelle von Blogposts Mitteilungen im Bürokratenstil und Popowa sollte sie aus der Beamtensprache in ein verständliches Russisch übersetzen.
Der Bezirksvorsteher aber nahm diese Texte nicht an. „So kann ich mich nicht ausdrücken. Was werden denn meine Kollegen dazu sagen?",
empörte er sich. Aljona Popowa bekam den Job nicht, der Blog des Bezirksleiters erschien trotzdem. Er ähnelte allerdings eher einer Sammlung von Pressemitteilungen als einem virtuellen Tagebuch.
„Die Blogs eines Politikers oder Bürgermeisters muss im Grunde nicht massenhaft gelesen werden. Es reicht vollkommen, wenn ihn Journalisten, Parteigenossen und Kollegen lesen, die sich dafür interessieren, wie ihr Chef heute gelaunt ist", meint Marina Resnikowa, die ehemalige Pressesprecherin der Ständigen Vertretung der Region Altai. „Der Gouverneur der Altai-Region bloggte selbst sehr gerne und interessierte sich für die Meinungen anderer zu seiner Politik. Ihm ging es um schnelles Feedback."
Fast alle Gouverneure, Bürgermeister und offiziellen Parteivertreter betreiben eigene Weblogs. In der Regel aber gewinnen sie kaum das Vertrauen der Leser. Das Unternehmen Profi Online Research führte eine Umfrage unter russischen Internetnutzern zu der Frage durch, welche Einstellung sie zu Blogs bekannter Politiker haben, und stellte fest, dass 57 Prozent Politiker-Blogs nur als Möglichkeit betrachten, sich wegen einer Beschwerde oder Bitte direkt an einen Amtsträger wenden zu können. 21 Prozent der Befragten halten politische Blogs für reine Imagepflege ihrer Autoren.
Um Leser auf sich aufmerksam zu machen und ihre Meinung zu beeinflussen, müsse man ganz andere Wege gehen. „Wir wollten zum Beispiel über Blogs die Region Altai in die Öffentlichkeit bringen", erzählt Resnikowa. „Mit diesem Ziel luden wir bekannte Blogger in die Region ein, die zu touristischen Themen schreiben, fuhren sie an hübsche Orte und organisierten ein Freizeitprogramm für sie. Später schrieben sie in ihren Blogs nicht nur über die Natur und das Hotel, sondern auch über den Empfang beim Gouverneur."
In der Blogosphäre gelten die gleichen Regeln wie im nicht-virtuellen Leben. Interesse wecken vor allem umstrittene Personen. Nawalnys Blog steht schon lange auf Platz drei unter den Top Ten der meistgelesenen Weblogs. Nawalny startete seine Karriere jedoch keineswegs als Politiker.
Er lenkte die Aufmerksamkeit der Leser mit seiner ungewöhnlichen Vergangenheit als FSB-Mitarbeiter sowie mit enthüllenden Artikeln auf sich. Populär wurde er über seine Präsenz in der Bloggerwelt. Gewöhnliche Politiker dagegen schaffen es selten bis an die Spitze der Hit-Liste der Blogs. Den zweiten Platz nach dem Blog des Präsidenten und Premierministers nimmt der Blog des LDPR-Vorsitzenden Wladimir Schirinowski ein. Man liest ihn allerdings weniger aus Interesse an Politik, als aus dem Verlangen heraus, die neuesten schrillen Aussagen des Skandalpolitikers nicht zu verpassen.
Nach Einschätzung von Experten übrigens interessieren sich Leser nur einmal in vier Jahren für Politik, und zwar nach den Wahlen. Die Dynamik zu diesem Zeitpunkt aber lässt sich danach schwer aufrechterhalten. „Nur irgendwelche Träumer betreiben keine Regierungsschelte im Netz, aber das sind keine Diskussionen über Politik. Interesse an politischen Blogs entsteht nur dann, wenn die politischen Informationen mit anderen Themen angereichert werden", erklärt Ilja Golzman, selbst in der Blogszene aktiv. „Politische Blogger sind nur deshalb gefragt, weil die Opposition in den Medien nicht zu Wort kommt."
Der Duma-Abgeordnete Dmitri Gudkow schreibt selbst einen Blog und aktualisiert fast täglich die dort veröffentlichten Informationen. Es geht ihm dabei aber nicht um Leserzahlen. Qualität setzt sich in der Bloggerszene allmählich gegen Quantität durch. „Wenn ich an alle Online-Leser heranwollte, dann würde ich nackte Mädchen auf meiner Seite veröffentlichen. Ich brauche aber nur das Publikum, von dem ich auch etwas will", erklärt Gudkow.
„Wenn die Blogposts interessant sind, bewegen sie mehr Leser, als die Massenmedien es können. Ein sehr populärer Beitrag etwa behandelte die Frage, welche teuren Autos Beamte fahren. Dafür führten wir eigens eine spezielle Untersuchung durch und schickten Anfragen von Abgeordneten an Autohäuser." Oft helfe die Leserschaft bei den erforderlichen Nachforschungen, sagt Gudkow. Es finden sich Freiwillige, die bereit sind, an bestimmte Orte zu fahren, Fotos zu machen, Dokumente und Beweise zu suchen, so der Politiker. So steige die Zahl der Abonnenten eines Blogs.
Möglicherweise wollen die Duma-Abgeordneten deswegen die Blogger strenger behandeln. Einige Parlamentarier plädieren für eine Gesetzesänderung, nach der ein Blog, wenn ihn mehr als 10 000 Leser abonniert haben, automatisch den Massenmedien rechtlich gleichgestellt wird. Darüber lacht man jedoch in der Bloggerszene. Man weiß, dass im Netz ganz andere Gesetze gelten und mit parlamentarischen Beschlüssen hier nichts auszurichten ist.
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