Die Bundestagswahl ist für die deutsch-russischen Beziehungen bedeutend, doch Russland wird kaum thematisiert. Foto: dpa
Das grenzte fast an eine Beleidigung. Erst nach einer guten Stunde des Fernsehduells wurde Russland zum ersten Mal durch die Kanzlerin Merkel und den Gegenkandidaten Steinbrück erwähnt – als eine Nebensache am Rande der Syrien-Diskussion. Peer Steinbrück erwähnte kurz, eine mögliche Syrien-Invasion dürfte nur „nach einem völkerrechtlichen Mandat" stattfinden, also mit der Genehmigung des UNO-Sicherheitsrates, bei dem auch China und Russland einen ständigen Sitz haben. Die Bundeskanzlerin Merkel erwiderte sofort, sie hätte „mit dem russischen Präsidenten telefoniert".
Das war das erste und einzige Mal, als Russland bei den Debatten überhaupt erwähnt wurde – danach kamen die beiden Gegner fast sofort zu den ganz anderen Themen. Weder Atomgroßmacht Russland noch Wladimir Putin, einer der mächtigsten Männer der Welt, wurden während des ganzen TV-Duells noch mal erwähnt. Pflegeversicherung, Strompreis und sogar die PKW-Maut waren für die Deutschen offensichtlich von viel mehr Bedeutung, als die ganzen Russland-Debatten.
Das große Schweigen zum Thema Russland der beiden wichtigsten Kanzlerkandidaten darf aber auch nicht überbewertet werden. Erstens wurden innerhalb der 90 Minuten des TV-Duells nicht alle politisch relevanten Themen überhaupt zur Tagesordnung gebracht. So wurde zum Beispiel das sehr wichtige Thema der Migration und der Integration gar nicht angesprochen. Zweitens gehört das Thema Russlands natürlich zu wichtigen Aspekten der deutschen Außenpolitik – aber die Außenpolitik selbst wird in Deutschland vor den Wahlen traditionell durch die innenpolitischen Themen wie Sozialleistungen, Wirtschaftswachstum oder Verkehr weggedrückt.
Grundsätzlich seien die deutschen Eliten der Meinung, Russland wäre fest mit Europa verbunden, meint der Berliner Professor Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Dass die Beziehungen zwischen der EU und dem Russland langfristig enger gestaltet werden müssen, dass die enge wirtschaftliche Kooperation politisch flankiert werden muss, darüber ist sich die Politik in Deutschland weitgehend einig. Die Wirtschaft schafft eine gute Basis, genauso wie die gemeinsame europäische Kultur und die gemeinsame Geschichte", sagt der renommierte Experte. Die politische Diskussion beträfe eher die Wege dieser Annäherung.
Neue diplomatische Schwerpunkte durch Machtwechsel?
Während über 60 Prozent der Deutschen daran glauben, Angela Merkel werde auch nach September 2013 die Bundeskanzlerin bleiben, hängt die deutsche Russlandpolitik vielmehr von dem künftigen Koalitionspartner der Christdemokraten ab. Ob es ein liberaler, ein sozialdemokratischer oder ein grüner Chef im Auswärtigen Amt sitzen wird, kann für die deutsch-russischen Verhältnisse entscheidend werden.
Ausgerechnet ein grüner Minister oder eine grüne Ministerin wäre für den Kreml der schwierigste Gesprächspartner, da es in der Partei überdurchschnittlich viele russlandkritische Stimmen vorhanden sind.
Insbesondere die jüngste russische Gesetzgebung, die jegliche „homosexuelle Propaganda" verbietet, und die für mehrere westliche Politiker ein eindeutiger Verstoß gegen die Minderheitenrechte ist, hat Empörung unter den Grünen hervorgerufen.
„Mit dem beschlossenen Gesetz werden homophobe Ressentiments befeuert. Es öffnet Tür und Tor für behördliche Willkür. Denn nun kann praktisch jedes öffentliche Bekenntnis zu Homosexualität bestraft werden", hieß es in der Erklärung von Marieluise Beck, der Sprecherin für Osteuropapolitik bei den Grünen. Für die Grünen, die ohnehin zu den konsequentesten Kritikern des Kremls gehören, wäre das Auswärtige Amt ein wichtiger Hebel für die Durchsetzung ihrer Menschenrechtenagenda: vom Schutz der Kirchenkritiker in Russland (wie der Band „Pussy Riot") über die NGO-Problematik bis zur Kritik der russischen Justiz. Eine harte ökologische Agenda wäre auch zu erwarten, was Russland, das immer noch viel zu viel CO2 in die Luft ausstößt, nicht erfreuen würde.
Problematisch wären für den Kreml aber auch die Sozialdemokraten als mögliche Verhandlungspartner. Obwohl die SPD jahrzehntelang als die größten Russlandfreunde unter den deutschen Politikern galten, sind heutzutage die Positionen der „Russlandversteher" innerhalb der ältesten Partei Deutschlands durch die jüngsten russischen NGO-, LGBT- und den weiteren Gesetzen konsequent geschwächt.
„Gerade Russlandversteher sind heute enttäuscht. Ihnen stehen die ‚Realpolitiker' gegenüber, denen die inneren Verhältnisse in Russland gleichgültig sind, die aber sehen, dass Russland als Partner im Fall Afghanistan, im Nahen Osten, als Energielieferant nützlich sein kann", meint Hans-Henning Schröder von der SWP. Offensichtlich waren es die jüngsten Anti-Homosexuellengesetze, die für die Sozialdemokraten eindeutig viel zu weit gegangen waren.
Die Beziehungen zwischen Deutschalnd und Russland bleiben angespannt. Foto: Reuters/Vostock Photo
„Die Diskriminierung von Lesben und Schwulen in Russland nimmt in Besorgnis erregendem Ausmaß zu. Für uns ist das russische ‚Gesetz gegen homosexuelle Propaganda' ein eklatanter Verstoß gegen die Menschenrechte. Wir fordern die EU und insbesondere den deutschen Außenminister auf, alle diplomatischen Hebel in Bewegung zu setzen, um dieses Gesetz zu stoppen", hieß es in der Erklärung von der Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles. Nie zuvor hat die SPD den Kreml so stark kritisiert.
Fehlende Vision für gemeinsame politische Ziele
Natürlich werden die politischen Streitigkeiten nichts an der Tatsache ändern, dass Russland ein wichtiger Handelspartner Deutschlands ist. 36 Prozent des deutschen Gaskonsums hängt von russischen Lieferungen ab.
Über 6 500 Unternehmen mit deutschem Kapital sind in Russland angemeldet, im letzten Jahr wurden aus Deutschland Waren im Wert von über 26 Milliarden Euro nach Russland exportiert.
Doch die Zusammenarbeit an einem gemeinsamem politischen Projekt ist nicht nur vom Ausgang der Bundestagswahl abhängig, da die Hindernisse für eine solche Zusammenarbeit eher an der russischen Seite liegen und immer noch nicht behoben werden konnten. „Das diplomatische Klima zwischen Deutschland und Russland ist auf den Stand der Jahre 2003 und 2004 abgesunken. In der Substanz funktionieren die Beziehungen, die Voraussetzungen für Zusammenarbeit sind solide. Was gegenwärtig fehlt ist auf beiden Seiten eine Vision für die Zusammenarbeit", zieht Professor Schröder von der SWP als Fazit.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!