Der Politologe Sergej Karaganow eröffnete die erste Sitzung des Waldai-Clubs. Foto: RIA Novosti
Der Waldai-Club ist eine Initiative der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti („Russische Agentur für internationale Informationen") und des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands. Er präsentiert sich als „wichtigste intellektuelle Plattform zur Reflexion Russlands", wie der Politologe und Mitbegründer des Clubs Sergej Karaganow sagt.
In diesem Jahr beteiligen sich 250 Personen vier Tage lang an den Diskussionen – damit hat das Forum in diesem Jahr dreimal so viele Teilnehmer wie in den vergangenen Jahren. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um russische und ausländische Experten, Hochschulangehörige und andere Intellektuelle. Darüber hinaus wurden auch Mitglieder der Regierung als auch der Opposition wie Wladimir Ryschkow, Gennadi Gudkow, Ilja Ponomarjow, Ewgeni Roisman und Michail Prochorow sowie Journalisten eingeladen. Zum zehnjährigen Bestehen ist das an verschiedenen Orten veranstaltete Forum zu seinen Wurzeln zurückgekehrt und findet in der Stadt Waldai statt.
Mut zur Schaffung einer Identität
Sergej Karaganow eröffnete die erste Sitzung mit einigen entscheidenden Fragen über die Zukunft des Landes: „Wir haben noch immer keine gemeinsame Basis, um unter uns zu diskutieren, von Kommunisten über ‚Bolotnaja' (symbolischer Ort der außerhalb des Systems stehenden Opposition, Anm. d. Red.) bis Nationalisten. Wir wissen nicht, wer wir sind und wohin wir gehen." Karaganow beklagte den Pessimismus und erinnerte daran, dass „wir die nationale Courage verloren haben, die es dem russischen Volk erlaubt hat, aus den schwierigsten Situationen der Geschichte siegreich hervorzugehen".
Trotz dieser Anmerkungen war der Tenor des Politik-Experten nicht jammernd; ganz im Gegenteil: Karaganow rief die intellektuelle Gemeinschaft dazu auf, sich aus dieser schwierigen Lage zu befreien. Für ihn sei die russische Literatur eine Spur, die man verfolgen könne, denn „es ist die Literatur, die im 19. Jahrhundert unsere ‚Intelligenzija' gebildet und es uns ermöglicht hat, während der Sowjetzeit weiter nachzudenken, da es nichts anderes gab, an dem man sich intellektuell festhalten konnte".
Hitzige Diskussionen unter der Politprominenz
Der mit dem Hubschrauber eingeflogene, vor Kurzem wiedergewählte Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin hielt eine kurze Rede. Der Inhalt seines Beitrags und die Art, wie er auf Dutzende Fragen aus dem Publikum antwortete, passten vollständig zu dem, was man von seiner Persönlichkeit bereits kannte. Die Organisatoren haben der Presse zwar verboten, seine Rede zu veröffentlichen, als Leser verpasst man daher aber ohnehin nicht viel. Zudem konnten zahlreiche Teilnehmer es nicht unterlassen, die wichtigsten Aussagen über Twitter zu verbreiten.
Am Nachmittag entwickelte sich eine leidenschaftliche Diskussion, an der sich auch die erwähnten hochrangigen Oppositionellen beteiligten.
Ryschkow verurteilte die Wahlfälschungen vom 8. September und die „Hyperzentralisierung" des Landes auf Moskau.
Der charismatische Roisman bemühte sich zu zeigen, dass die Demokratisierung des politischen Prozesses eine essenzielle Bedingung für die wirtschaftliche Entwicklung sei, „denn nur derjenige, der sich daheim wie ein wahrer Eigentümer verhält und seine persönliche Umwelt verbessert, kann die Entscheidungen beeinflussen". Dann erhob sich Jekaterinburgs brandneuer Bürgermeister und bot dem Gouverneur der Region Swerdlowsk, der vor Kurzem noch sein Konkurrent im Wahlkampf war, seine Hilfe an: „Lassen Sie uns das Kriegsbeil begraben und zusammenarbeiten." Anschließend verschwand er, um seine erste Stadtratssitzung zu leiten.
Dieser erste Tag war so spannend, dass das Wort „Syrien", das momentan überall zu hören ist, gar nicht erwähnt wurde.
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