Merkels Entscheidung für diese oder jene Koalition spielt eine große Rolle für die deutsche Außenpolitik. Foto: DPA
Titelbild der Tageszeitung Handelsblatt zwei Tage vor den Wahlen: Angela Merkel, dargestellt als altrömische Kaiserin, mit einem goldenem Lorbeerkranz gekrönt. „Die Alternativlose" lautete die Bildunterschrift. Die nun eingetretene Realität ist von den Vorstellungen der Handelsblatt-Redakteure nicht weit entfernt. Die Bundeskanzlerin geht als unangefochtene Siegerin aus den Wahlen zum Deutschen Bundestag hervor und steht wohl kurz vor ihrer dritten Amtszeit.
„Es wird sehr bald der Zeitpunkt kommen, da man bei uns sagen wird: es gab mal drei große Männer in der Geschichte der CDU. Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel", scherzte kürzlich ein CDU-Anhänger in Berlin. Als erste Frau hat es Angela Merkel geschafft, in der konservativen Partei die Führung zu übernehmen. Nun steht sie kurz davor das zu erreichen, was bevor nur den zwei großen Parteiführern gelungen ist: Deutschland zum dritten Mal hintereinander zu regieren.
Starkes Ergebnis der CDU reicht nicht für absolute Mehrheit
Mit fast 42 Prozent der Stimmen und 311 von 630 Plätzen im Bundestag haben die CDU und die CSU gemeinsam die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. Dennoch hat Merkel das beste Ergebnis seit 23 Jahren im Rücken und kann die jetzt beginnenden Koalitionsverhandlungen ruhig angehen. Obwohl eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und der Partei Die Linke rein rechnerisch eine Mehrheit im Bundestag hätte, kann aus einer solchen Konstellation vermutlich keine Regierung entstehen. Zu stark ist eine Ablehnung eines Bündnisses mit den Linken unter den SPD-Mitgliedern.
Dies wurde bereits im Jahr 2008 in Hessen deutlich. Nach den Landtagswahlen verlor die dortige SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti die Unterstützung ihrer eigenen Gefolgsleute, nachdem sie vorgeschlagen hatte, eine Minderheitsregierung mit den Grünen einzugehen, die von der Partei Die Linke toleriert werden sollte. Nachdem einige Abgeordnete angekündigt hatten, ein solches Vorhaben nicht zu unterstützen, wurden Neuwahlen nötig.
Die rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag besteht heute aus nur vier Stimmen und ist deswegen nicht größer als damals in Hessen. Es muss zudem berücksichtigt werden, dass durch die geheime Wahl auch Teile der eigenen Abgeordneten gegen diese Koalition stimmen könnten. Das bedeutet, es besteht für ein rot-rot-grünes Bündnis eher keine Chance.
Die Partnerwahl fällt schwer
Die Notwendigkeit, eine Koalition mit den Grünen oder mit der SPD zu bilden, ist für Merkels Union trotz oder gerade wegen der Größe und dem Erfolg der Partei eine Herausforderung. Keine der kleineren Parteien ist von
einem solchen Bündnis besonders begeistert. Nur die Linken freuen sich, dass sie im Falle der großen Koalition plötzlich die größte Oppositionspartei wären.
Für die Sozialdemokraten wäre eine große Koalition denkbar, dann allerdings wohl ohne den ambitionierten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, prognostiziert der Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft, Prof. Dr. Werner Patzelt. „Seinen Eintritt in ein neues Kabinett Merkel hat Steinbrück ausgeschlossen, obwohl es natürlich keine Schande wäre, Vizekanzler zu werden. Auch Willy Brandt hat einst diese Rolle angenommen", meinte der Dresdner Politologe gegenüber Russland HEUTE.
Steinbrück selbst setzte voll und ganz „allein auf die Kanzlerschaft", bestätigt auch Prof. Dr. Everhard Holtmann, Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung der Universität Halle-Wittenberg. „In eine eventuelle Große Koalition als Vizekanzler oder Minister einzutreten, hat er erklärtermaßen ausgeschlossen", unterstreicht Holtmann.
Eine schwarz-grüne Koalition wäre für Merkels Union eine weitere Option. Für die Grünen bedeute dies allerdings eine weitgehende Änderung der Führungsetage. Mit Jürgen Trittin, Claudia Roth oder Renate Künast wäre der bayerische CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Horst Seehofer nicht bereit zu kooperieren, akzeptieren würde er jedoch zum Beispiel seinen baden-württembergischen Amtskollegen Winfried Kretschmann. "Ich habe mit Herrn Kretschmann immer störungsfrei zusammen gearbeitet", ließ Seehofer am Montag verlauten. Ob aber die Grünen selbst bereit wären, sich als Juniorpartner in die Arme der Union zu werfen, um in wenigen Jahren durch Merkels Umklammerung vielleicht schon erdrückt zu werden, bleibt fraglich.
Koalitionspartner stellt vermutlich den Außenminister
Eines ist schon jetzt klar: Merkels Entscheidung für diese oder jene Koalition spielt eine große Rolle für die deutsche Außenpolitik. Traditionell stellt die kleinere Partei den Vizekanzler in der Bundesregierung, in der Regel den Außenminister und bestimmt damit die deutsche Außenpolitik. Ein Minister der SPD im Auswärtigen Amt würde wenige Änderungen in der Außenpolitik bedeuten, meint Prof. Dr. Patzelt.
„Eine sozialdemokratisch geprägte Außenpolitik brächte keine Veränderungen gegenüber Russland. Gegenüber der EU insgesamt würde sich ebenfalls nicht viel ändern. Allein die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei würden voraussichtlich durch deutsches Entgegenkommen erleichtert. Zu den Krisenländern der Euro-Zone würde eine freigiebigere Haltung eingenommen, die aber, sobald die ersten Zahlungen fällig werden, zu offenem Widerstand in der deutschen Bevölkerung führen könnten", analysiert Patzelt gegenüber Russland HEUTE.
Ganz im Gegenteil dazu würde ein Außenminister der Grünen wohl eine heftige Änderung in der Russlandpolitik mit sich bringen. Seit Jahren profilieren sich mehrere grüne Politikerinnen und Politiker als Russland-Experten und verfolgen einen klaren und sehr kritischen Kurs gegenüber dem Kreml. Eine kritische Russland-Politik ist für die Grünen, die großen Wert auf das Thema Menschenrechte legen, zurzeit selbstverständlich.
„In den vergangenen Monaten wurde aufgrund der Schikanen gegenüber Nichtregierungsorganisationen, der Unterdrückung von Homosexuellen und
der Verfolgung von Oppositionellen viel Kritik an der russischen Regierung geübt. Repressive Gesetze, politische Verfahren und mediale Verleumdungskampagnen sollen diejenigen, die nicht in das Raster des Kremls passen wollen, einschüchtern. Die deutsche und europäische Politik muss sich außerdem glaubwürdig und öffentlich an der Seite all derjenigen zeigen, die sich in dieser schweren Zeit in Russland für Demokratie, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit einsetzen", hieß es in einer jüngsten Erklärung von der grünen Russland-Expertin Marieluise Beck.
Die Bundeskanzlerin, die in den letzten zwei Legislaturperioden keine klaren Präferenzen in der Russlandpolitik zeigte, wäre vermutlich bereit, dieser Überzeugung zu folgen. Daher ist es wenig überraschend, dass man im Kreml nicht auf die schwarz-grüne sondern auf eine große Koalition in Berlin hofft.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!