Am Sonntag empfing Wladimir Putin seinen ukrainischen Kollegen Viktor Janukowitsch in Sotschi. Foto: RIA Novosti
Russland lässt nicht nach in seinem Bestreben, die Ukraine von der Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union und der Schaffung einer Freihandelszone abzuhalten. Am Dienstag warnte in Rostow am Don der Außenminister der Russischen Föderation Sergej Lawrow vor den negativen Folgen eines solchen Schritts der Ukrainer. Dasselbe hatte bereits am Vortag der Präsident Wladimir Putin in Sotschi getan. Ungeachtet dessen, dass Moskau Kiew Alternativmöglichkeiten angeboten hatte, blieb die ukrainische Seite unnachgiebig.
Am Sonntag empfing Putin seinen ukrainischen Kollegen Viktor Janukowitsch in Sotschi. Ihr Gespräch, dessen Details geheim sind, dauerte länger als fünf Stunden. Am Abend trafen sich die Delegationen der Außenministerien der Russischen Föderation und der Ukraine unter Leitung der Außenminister Sergej Lawrow und Leonid Koschara.
Auf dem gemeinsamen Tagesplan standen viele schwierige Themen: vom Grenzverlauf und der Asow-Kertsch-Regulierung bis hin zu Problemen bezüglich der Schwarzmeerflotte. Aber sie alle verblassten vor der Gefühlsintensität um die geopolitische Wahl der Ukraine.
Sergej Lawrow kehrte immer wieder zurück zu diesem Thema zurück und versuchte, seinen Kollegen zu überzeugen, dass es in einem Fall der Annäherung von Kiew und Brüssel der ukrainischen Wirtschaft schlecht ergehen würde und dass die ukrainischen Machthaber nicht vorschnell solch eine wichtige Entscheidung treffen sollten. Lawrow sagte, dass Russland zwar keine Einfuhrsperre für ukrainische Produkte einführen würde, Kiew aber nicht mehr mit einer vergünstigten Regelung im Rahmen des Vertrags über die Freihandelszone der GUS rechnen sollte.
Einerseits rügt Moskau Brüssel für den Druck auf Kiew, andererseits zeigt es der Ukraine deutlich, dass sie nicht auf zwei Stühlen gleichzeitig sitzen kann. Lawrow warf der EU vor, sie binde der Ukraine das Prinzip „mit uns oder gegen uns" auf, drohte Kiew aber gleichzeitig damit, dass es „nach Vilnius keinen Anschluss an die Zollunion mehr geben" würde.
Die Logik Moskaus erläuterte eine Quelle aus der russischen Delegation gegenüber der Zeitung „Kommersant": „Der Russischen Föderation gefällt es nicht, dass die EU die Ukraine nötigt, sich hinsichtlich ihres geopolitischen Kurses binnen so kurzer Zeit zu entscheiden. Dabei hat Russland nichts gegen die Liberalisierung der Handelsmodalitäten zwischen der Ukraine und der EU, auch weil es selbst plant, künftig einen gemeinsamen Markt mit ihr aufzubauen. Aber man denkt in Moskau, dass Russland und die Ukraine die Annäherung an die EU gleichzeitig angehen sollten. Und auch nicht jetzt, sondern in ein paar Jahren, wenn beide Länder wirtschaftlich mit der EU konkurrenzfähig sind."
Nach Aussage einer weiteren diplomatischen Quelle habe Moskau sogar bereits einen Weg gefunden, dieses Szenario mit dem EU-Streben Kiews zu verbinden. „Es gibt andere Formate der Zusammenarbeit mit der EU, so wie es zum Beispiel die Schweiz und Norwegen tun", bemerkte die Quelle und fügte hinzu, dass die Rede von einer Europäischen Assoziation für Freihandel sei.
Visa-Pläne könnten einen neuen Beziehungsstatus schaffen
Des Weiteren erklärte der russische Außenminister in Rostow am Don, dass die russischen und ukrainischen Staatsbürger bei der
Grenzüberquerung Reisepässe statt Personalausweise benutzen sollten. Die Einführung eines Visasystems ist zwar bislang nicht geplant, doch Experten glauben, dass Moskau hiermit ein Signal an Kiew senden wolle, dass die EU-Integration der Ukraine teuer zu stehen kommen werde. Sie meinen, einen entscheidenden Punkt in den bilateralen Beziehungen festzustellen.
Heute müssen Ukrainer und Russen bei Überquerung der Grenze einen der beiden Pässe haben, den Personalausweis oder den Reisepass. Wenn man nach der Anzahl der Grenzüberquerungen urteilt, komme der größte Migrantenstrom nach Russland aus der Ukraine, sagt der Leiter des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) Konstantin Romodanowskij. Deshalb werde die Umstellung auf Reisepässe für viele Ukrainer, in erster Linie für die, die an der Grenze zu Russland leben, ein wesentliches Problem darstellen. Der Prozess der Beantragung eines Reisepasses dauert in der Ukraine mehr als einen Tag und kostet etwa 75 Euro.
Alexej Susdalzew von der Higher School of Economics sieht in der Erklärung des Außenministers den Beginn einen neuen Status der Beziehungen mit der Ukraine: „Die Ukrainer wollen ihren geopolitischen Status ändern – natürlich wird dieses Verhalten gerade in allen Behörden wahrgenommen; es wird entschieden, wie man sich künftig gegenüber der Ukraine verhalten soll. Für den Grenzschutz heißt das, dass man sich auf ein systematisches Abgrenzen der Gebiete vorbereiten muss, auch auf dem Wasser", erklärt der Experte.
„Wenn die Ukraine jetzt assoziiertes Mitglied der Europäischen Union wird,
wird Russland sie künftig ausschließlich als EU ansehen. Ich schließe nicht aus, dass in der Zukunft auch ein Visasystem eingeführt wird", glaubt Susdalzew.
Wladimir Scharichin findet, dass die Erklärung Russlands als Unwille, „Geschenke zu machen", interpretiert werden könne. „Die Ukrainer haben bewusst versucht, sich auf zwei Stühle gleichzeitig zu setzen", kommentiert Scharichin die Politik Kiews bezüglich des Hin-und-Her zwischen der Zollunion und der EU. Der Experte meint, dass die Verschärfung der Grenzübergangsregeln „in einem gewissen Sinne einen Punkt markiert, an dem es kein Zurück mehr gibt". Seiner Meinung nach sei das eine neue Etappe der Beziehungen zwischen den Staaten, Russland werde jetzt „weniger naive, postimperialistische Launen" haben.
Zusammenstellung nach Materialien der Kommersant und Gazeta.ru.
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