Die niederländische Juristin Liesbeth Lijnzaad antwortet auf die Fragen von Journalisten nach der Sitzung des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg. Foto: AP
Am Mittwoch wurde in Hamburg die erste Sitzung des Internationalen Seegerichtshofs zum Fall der „Arctic Sunrise" verhandelt. Die Besatzung des Greenpeace-Schiffs befindet sich derzeit in Murmansk in Haft. Die Kläger, Vertreter der Niederlande, unter deren Flagge das von russischen Grenzwächtern sichergestellte Schiff fuhr, fordern die sofortige Freilassung der 30 Besatzungsmitglieder und die Rückgabe ihres Schiffs. Die Vertreter Russlands weigern sich, am Prozess teilzunehmen.
Der Prozess beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg wurde auf Initiative der Niederlande aufgenommen. Wie gestern der Vertreter des niederländischen Außenministeriums Thomas Henquet aussagte, hätten die Behörden der Russischen Föderation kein Recht gehabt, die 30 Besatzungsmitglieder des Greenpeace-Schiffs zu verhaften. Diese hatten am 18. September versucht, an der Plattform Priraslomnaja ein Plakat anzubringen, das den Protest gegen die Ölförderung in der Arktis zeigen sollte.
Zur Erinnerung: Zuerst klassifizierten die Mitarbeiter der Ermittlungsbehörde das Ereignis als „Piraterie", stuften die Anklage dann aber auf „Rowdytum" ab. Die Entscheidung, sich an das Internationale Tribunal zu wenden, war für die Niederlande eine Notmaßnahme: Den Vertretern des holländischen Außenministeriums zufolge hätte man bis zum letzten Moment versucht, den Fall über den Rechtsweg zu regeln, dann jedoch eingesehen, dass eine Dialogaufnahme nicht möglich sei. Die Vertreter der Niederlande sagten vor Gericht, Russland solle das Schiff und die gesamte Besatzung augenblicklich freistellen, da die Mitarbeiter des Föderalen Sicherheitsdienstes keine Gründe gehabt hätten, die Aktivisten zu verhaften.
Wie der vor Gericht bestellte Jurist von Greenpeace Daniel Simons sagte, hätte er die Besatzung des Schiffs vor der Aktion beraten und ihnen erklärt, dass, auch wenn die Umweltschützer mit Gummibooten direkt an die Plattform heranführen, diese Aktion keine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen würde. Die russischen Grenzschützer, die zuerst die Aktivisten in den Booten verhafteten und danach auch deren Schiff – das sich außerhalb 500-Meter-Sicherheitszone der Ölplattform befand – beschlagnahmten, hätten damit Simons zufolge gegen das internationale Recht auf Freiheit der Schifffahrt verstoßen. Damit wurde die Sitzung für beendet erklärt, und das Datum des Urteilsspruchs wurde auf den 22. November angesetzt.
Russland ignoriert den Prozess
Die Vertreter der russischen Seite ignorierten die Anhörung. Wie das russische Außenministerium schon zuvor geäußert hatte, habe Russland
bei der Ratifizierung des UN-Konvents zum Seerecht 1997 nicht die Prozedur der Streitregelung anerkannt, die die „Wahrnehmung der souveränen Rechte und Rechtsprechung" betrifft. Diese Restriktion beziehe sich auch auf den Fall der „Arctic Sunrise". Greenpeace International nannte das Nichterscheinen der Angeklagten aus der Russischen Föderation „bezeichnend". „Trotzdem hoffen wir, dass Russland die Entscheidung des Tribunals respektieren wird", fügte die Organisation hinzu.
Die Entscheidungen des Internationalen Seegerichtshofs der UN sind umsetzungspflichtig. Seit 1996, als der Gerichtshof seine Arbeit aufgenommen hatte, wurden dort 21 Fälle gehört, wobei Russland in drei von ihnen involviert war. 2002 forderten die russischen Behörden, das von australischen Behörden sichergestellte russische Fischfangschiff sofort freizugeben und gewannen den Prozess. In den anderen beiden Fällen trat Russland als angeklagte Partei gegen Japan auf und verlor beide Fälle.
Wie der wissenschaftliche Berater der Gesellschaft „Juriditscheskaja sluschba stolizy" („Rechtsdienst der Hauptstadt") Dmitrij Jastrebow sagte,
Greenpeace kämpft für die Freilassung seiner Aktivisten
sei die Abwesenheit der zweiten Partei kein Hindernis für einen Urteilsspruch im Fall der „Arctic Sunrise". „Es gibt Fälle, in denen sich eine der Parteien geweigert hat, an den Anhörungen des Gerichtshofs teilzunehmen, aber das passiert nicht allzu häufig. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, sich die Argumente der Abwesenden hinzuzudenken."
Viktorija Schdanowa, Juristin für die Praxis des Schiffbaus und der Schifffahrt im Unternehmen Inmarin, ist der Ansicht, dass die russischen Sicherheitskräfte völlig legal auf das Schiff gelangt seien, da die Umweltschützer die Sicherheitszone der Ölplattform verletzt hätten. Obwohl die Angeklagten nicht an der Sitzung teilgenommen haben, bedeute dies noch keine Freilassung der Besatzung des Schiffs, so Schdanowa. „Wenn die Anklage der Piraterie eine internationale Angelegenheit war, so hat Russland mit der Änderung der Anklage in Rowdytum ein Recht bekommen, die Aktivisten zu verurteilen."
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant.
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