Die Sechsergruppe hat in Genf eine Vereinbarung mit der iranischen Regierung getroffen. Foto: Reuters
Während der Konferenz in Genf haben die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland mit dem Iran vereinbart, dass die islamische Republik für ein halbes Jahr auf die Produktion von Uran, das zu mehr als fünf Prozent angereichert ist, verzichtet. Darüber hinaus verpflichtet sich der Iran, die bestehenden Vorräte an 20-prozentigem Uran durch Abschwächung auf fünf Prozent abzubauen. Weiterhin werden die Urananreicherungsanlagen in Fordo und Natans unter die Aufsicht der IAEA gestellt und der Bau des Schwerwasserreaktors in Arak, mit dem Plutonium hergestellt werden kann, eingestellt.
Im Gegenzug gewähren die sechs Staaten der 5+1-Gruppe, also die EU-Länder und die USA, Erleichterungen der Sanktionen gegen den Iran. Somit ist es Teheran wieder möglich, begrenzte Handelsbeziehungen mit den USA in den Bereichen Öl und Gas, Petrochemie und Automobilindustrie aufzunehmen sowie mit Gold und anderen Edelmetallen zu handeln. Dies dürfte dem Iran Einnahmen von 3,6 bis fünf Milliarden Euro bringen.
Aber es geht hier nicht ums Geld. Die 5+1-Gruppe hat die Forderung zurückgenommen, dass die bereits in Betrieb befindlichen iranischen Zentrifugen abgeschaltet und demontiert werden müssen. Diese und andere Bedingungen ermöglichen es Teheran, zu behaupten, seine kategorische Forderung nach Anerkennung seines Rechts auf die Anreicherung von Uran sei erfüllt worden. Genau aus diesem Grund wurden die Verhandlungsführer im Iran wie Helden empfangen. US-Minister John Kerry hingegen übte sich in umständlichen Erklärungen, die wohl an den Kongress gerichtet waren.
Dem Iran wird die friedliche Nutzung der Atomkraft zugestanden
Der russische Außenminister Sergej Lawrow brachte den Kern des Kompromisses auf den Punkt: „Diese Vereinbarung bedeutet, dass wir dem Iran die friedliche Nutzung der Atomkraft zugestehen, einschließlich das Recht auf Anreicherung. Dabei muss klar sein, dass die im Hinblick auf das iranische Atomprogramm nach wie vor bestehenden Fragen und das Programm selbst unter die strengste Aufsicht der IAEA gestellt werden. Das ist das eigentliche Ziel, das bereits im heutigen Dokument festgehalten ist."
Die Gegner des Abkommens geben zu bedenken, dass der Iran so auch weiterhin das Potenzial behalte, Atomwaffen herzustellen. Denn die gesamte Infrastruktur für die Anreicherung von Uran bleibe unberührt. „Ich möchte betonen, dass auf Grundlage des Abkommens nicht eine einzige Zentrifuge zerstört werden muss", betonte der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu enttäuscht. Zahlreiche Experten merkten an, dass ein derart umfangreicher Atomkomplex mit circa 17 000 Anreicherungszentrifugen für die Versorgung von zwölf bis 15 Atomkraftwerken ausreiche. Derzeit gibt es aber nur eine solche Anlage im Iran, nämlich das Atomkraftwerk Buschehr, das jedoch aus Russland mit Brennstoff beliefert wird.
Die Iraner tun sich schwer damit, zu erklären, wozu sie eine solche Menge an Zentrifugen benötigen, aber sie sind mit jeder Art von Überwachung, wie etwa durch Videokameras, Sensoren oder unangekündigte Inspektionen, einverstanden.
Die US-Diplomatie ist in Erklärungsnot
Aber auch die USA sind bisher eine Erklärung schuldig geblieben, woher der plötzliche Sinneswandel bezüglich des iranischen Atomprogramms rührt und weshalb die US-Diplomatie fast ein Jahr lang vor der Presse, der Legislative und den engsten Verbündeten – allen voran Israel – geheim
gehaltene Verhandlungen mit dem Iran geführt hat. Was hat sich, abgesehen von der Anzahl der Zentrifugen, in den zehn Jahren ergebnisloser Gespräche mit dem Iran geändert? Und weshalb hat Washington nach 30-jähriger Feindschaft nun beschlossen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen?
Zwar wurde der furchterregende Ahmadinedschad durch den freundlichen Rohani abgelöst, jedoch ist der iranische Präsident im Grunde genommen nicht mehr als ein Regierungschef. In allen wichtigen Fragen entscheidet Ajatollah Khamenei, das geistliche Oberhaupt und der oberste Führer des Iran. Nichts hat sich also geändert.
Natürlich konnte der Iran die Haltung Israels, das zu einer gewaltsamen Lösung des Iran-Problems aufrief, nicht einfach ignorieren. Genauso wenig wie Obamas Erklärungen, der immer wieder daran erinnerte, dass er vor keinen Mitteln zurückschrecke. Anscheinend war Teheran jedoch klar geworden, dass der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger keinen dritten großen Krieg im Nahen Osten will.
Und darin könnte im Prinzip auch die Antwort auf die Frage liegen, was die USA zum Kurswechsel bewogen hat.
Die überraschende Charmeoffensive der USA hat ein historisches Vorbild
Anfang der 70er-Jahre mussten die USA eine vernichtende Niederlage in Vietnam einstecken. Danach erreichte die Krise auch die Innenpolitik, als Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre unter der Androhung eines Amtsenthebungsverfahrens das Weiße Haus verließ. Damals bemühten sich die USA, aus strategischem Kalkül, mit einer nie dagewesenen Charmeoffensive die Beziehungen zum kommunistischen China zu verbessern. Ein anderes Mittel, um die UdSSR aus Südostasien fernzuhalten und dem Kreml neue Sicherheitsprobleme im Fernen Osten Russlands zu bescheren, hatten die USA nicht. Das kam auch den Interessen des chinesischen Staatschefs Mao Tse-tung entgegen.
Heute sind es die Misserfolge im Irak und in Afghanistan. Dazu kommt der „Arabische Frühling", in dessen Folge sich der politische Arm des sunnitischen Islams, der meilenweit von den Idealen der westlichen Demokratie entfernt ist, Land für Land über die Region ausbreitet – vom Schwergewicht Türkei bis hin zum kleineren Tunesien. Ein weiteres
Problem sind die Verbündeten, die die USA immer wieder in Kriege hineinziehen wollen, deren Ziele der amerikanischen Bevölkerung immer schwerer zu vermitteln sind, wie die Beispiele Libyen, Syrien und Iran zeigen. Das alles behindert außerdem die offensichtliche Notwendigkeit, die Kräfte gegen die neue globale Führungsmacht China zu konzentrieren. Auch für die im Auge zu behaltenden Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahre 2016 müssen diesbezüglich Erfolge erzielt werden. Die Demokraten müssen bis dahin hochgesteckte Erwartungen erfüllen.
All das bewog Barack Obama anscheinend dazu, die Beziehungen zum schiitischen Iran zu entspannen, der bereit ist, um die Vorherrschaft in der Golfregion mit ihren Ölmonarchien zu kämpfen. Das Kräftegleichgewicht im Nahen Osten kann wiederhergestellt werden. Im Prinzip war das bereits einmal der Fall, als der durch den Schah regierte Iran vor der Revolution 1979 der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten war und erfolgreich für stabile Beziehungen mit Saudi-Arabien sorgte.
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