Patient Ukraine: Kommt die internationale Finanzspritze?

Ohne internationale Kredite droht der Ukraine der Bankrott, mit Krediten ein rigides Sparprogramm. Foto: Reuters

Ohne internationale Kredite droht der Ukraine der Bankrott, mit Krediten ein rigides Sparprogramm. Foto: Reuters

Die hohe Auslandsverschuldung bedroht die Zahlungsfähigkeit der Ukraine. Der Internationale Währungsfond könnte einspringen, doch dieser knüpft seine Entscheidung an Bedingungen.

Revolutionen gibt es in der Ukraine im Überfluss, das Geld aber ist knapp – sehr knapp sogar: „Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Die Regierung um Janukowitsch hat die Wirtschaft an den Rand des Abgrunds getrieben. Die Staatskasse ist leer. Es gibt große Probleme mit dem Pensionsfonds. Sie sehen, was mit der nationalen Währung und mit dem Bankensystem passiert", resümierte am Montag der Sprecher der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, Alexander Turtschinow.

Bereits vor der Ära des untergetauchten Präsidenten Janukowitsch existierten die wirtschaftlichen Probleme des Landes. Aber das macht die Situation nicht einfacher.

„Ich möchte die konkreten Ausmaße des unglaublichen Budgetdefizits nicht bis zum Ende dieses Jahres beziffern, sondern bis zum Ende des laufenden Monats. Es ist kein Geld da, um die Schulden zu begleichen. Lohnzahlungen könnten für einen Zeitraum von zehn Tagen ausgesetzt werden", so Arsenij Jazenjuk, einer der führenden Köpfe der Protestbewegung und Vorsitzender der Fraktion der Partei Vaterland im ukrainischen Parlament.

Die Zahlen sind Wirtschaftsexperten indessen sehr wohl bekannt. Die Auslandsverschuldung beträgt ungefähr 100 Milliarden Euro, 25,5 Milliarden Euro dieser Verbindlichkeiten sind kurzfristige Kredite, darunter Handelskredite in Höhe von 17 Milliarden Euro. Die Währungsreserven des Landes belaufen sich auf 13 Milliarden Euro, im Dezember vergangenen Jahres waren es noch 15 Milliarden. Mit diesen Mitteln könnte die Ukraine sich noch bis Juni halten. Dann wird sie Europäische Staatsanleihen in Höhe von 750 Millionen Euro bedienen müssen. Die nächste Tilgungsrate wird im September fällig.

Geld ist also sofort gefragt. Nach Meldungen von Interfax schlugen das ukrainische Finanzministerium und die Nationalbank ihren internationalen Partnern vor, innerhalb der nächsten zwei Wochen der Ukraine einen Kredit zu gewähren. Der dabei veranschlagte Umfang der makrofinanziellen Hilfe für den Zeitraum 2014 bis 2015 liegt bei etwa 26 Milliarden Euro.

Im Gespräch ist also eine beachtliche Summe, die verbleibende Zeit aber ist knapp. Die ukrainischen Politiker scheinen zu wissen, über was sie reden und was sie fordern.

 

Die neue Übergangsregierung muss sich bewähren

Wie westliche Medien am Sonntag berichteten, war eine der nicht öffentlich verhandelten Punkte der Übereinkunft zwischen Janukowitsch und der Opposition der Verzicht der Regierung auf russische Wirtschaftshilfe. Ferner wurde der Verzicht auf eine Sicherheitsgarantie für den Präsidenten zur Bedingung gemacht. Damit jedoch war die Vereinbarung selbst auf

schlechtem Fundament gebaut. Janukowitsch, dessen Aufgabe es doch gewesen wäre, Verhandlungen mit westlichen Kreditgebern aufzunehmen, ist spurlos verschwunden. Die reale Gefahr eines Schuldenverzugs aber ist geblieben. Dieses Problem muss nun die neue Regierung lösen. Das ist der Hintergrund der geradezu panischen Erklärungen. Ist der Westen bereit, diese Wendung der Ereignisse hinzunehmen?

Wie der US-amerikanische Finanzminister Jacob Lew auf einer Pressekonferenz des G-20-Treffens der Finanzminister in Sydney erklärte, haben die Finanzminister und Notenbankchefs der G-20-Staaten keine konkreten Pläne einer Finanzhilfe für Kiew diskutiert. Er äußerte aber seine Vermutung, dass diese Diskussion in den nächsten Tagen und Wochen aufgenommen wird. Nach den Worten des amerikanischen Finanzministers bietet sich vor allem der IWF an, „Staaten wie die Ukraine effektiv bei der Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme zu unterstützen."

Demnach stünden in Kiew erneut Verhandlungen mit dem IWF an. Da die Rede von Milliardenbeträgen ist, ist mit dem Beginn dieser Gespräche kurzfristig nicht zu rechnen. Außerdem werden die Kredite an strenge Auflagen und grundlegende Reformen geknüpft werden. Die IWF-Chefin Cristine Lagarde sagte am Sonntag zu, eine Kreditlinie für die Ukraine zu eröffnen, sobald die Regierung des Landes die Bereitschaft zur Durchführung von Wirtschaftsreformen bestätigt hat.

 

Reformen bedeuten Kürzung der Staatsausgaben

Das dürfte wiederum für die neue ukrainische Regierung nicht die einfachste Aufgabe sein. Schließlich werden die Reformen in erster Linie auf eine Kürzung der Staatsausgaben hinauslaufen, einschließlich der Ausgaben für soziale Zwecke. Gerade vor diesen unpopulären Maßnahmen aber schreckte Janukowitsch zurück. Heute jedoch, nach drei

Monate währenden Unruhen, hat sich die Problematik weiter zugespitzt. Wer soll sie jetzt schultern?

Eine weitere offene Frage ist, wer als Empfänger der Kredite auftreten wird. Lagarde erklärte, der IWF brauche dringend einen Partner in der Ukraine, „mit dem man diese Fragen diskutieren" könne. Offensichtlich sind auch die Europäer von der unsicheren Legitimität und Stabilität der Kreditnehmer beunruhigt. Die EU wird ihre Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine erst nach den Präsidentschaftswahlen aufnehmen, erklärte Olivier Bailly, Sprecher der EU-Kommission, am Montag.

In diesem Punkt stimmen EU und Moskau offensichtlich überein. „Wir sind zu allen Diskussionen bereit, es kommt aber darauf an, mit wem", so der russische Premierminister Medwedjew. „Wenn Männer in schwarzen Masken als Regierung gelten sollen, dann könnte es schwer werden, mit dieser Regierung zusammenzuarbeiten".

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