Kommt es zum Krieg gegen die Ukraine?

Russische Militärexperten wägen ab, ob es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine kommen wird. Foto: Reuters

Russische Militärexperten wägen ab, ob es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine kommen wird. Foto: Reuters

Die russische Führung hat den Einsatz des Militärs auf dem Staatsgebiet der Ukraine legitimiert. Russische Militärexperten wägen nun ab, ob es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine kommen wird.

Die russische Führung hat den Einsatz des Militärs auf dem Staatsgebiet der Ukraine legitimiert. Russische Militärexperten sind sich jedoch uneins, was nun passieren wird. Einige glauben, dass das ukrainische Militär für eine Auseinandersetzung gegen Russland nur schlecht vorbereitet sei, andere meinen, eine Militärinvasion könnte in einen langwierigen Konflikt münden.

Militäranalytiker Pawel Felgenhauer warnt, dass ein Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine mit bedeutenden Verlusten einhergehen könnte: „Der Tschetschenienkrieg wird im Vergleich zur Situation mit der Ukraine wie ein Kinderspaziergang erscheinen", meint er. „Die Ukraine ist nicht Tschetschenien, sie haben nicht eine Million, sondern 40 Millionen Einwohner. Nun haben die Ukrainer etwas, gegen das sie sich wieder vereinigen können." Felgenhauer ist auch überzeugt, dass im Falle einer militärischen Auseinandersetzung der Westen wirtschaftliche Sanktionen einführen werde.

Der Leiter des Zentrums für Strategie- und Technologienanalyse Ruslan Puchow

findet, dass die ukrainische Armee gegenwärtig gar nicht imstande sei, ernsthafte, bewaffnete Gegenwehr gegen die russische Armee zu leisten. „Die ukrainische Armee, die 1992 auf den Trümmern der UdSSR gebaut wurde, hatte eine riesige Truppenstärke und die beste Technik, doch im Verlauf von 22 Jahren hat sie stark abgebaut", bemerkt er. „Die Moral fiel schrittweise, die besten Waffen wurden ins Ausland verkauft, sogar nach Georgien. Deshalb hat die Armee der Ukraine heute kein ernsthaftes Potenzial mehr."

Er sieht zwei Ursachen für diese Entwicklung: „Zwei Faktoren, die die ukrainischen Streitkräfte als Militärmacht endgültig marginalisiert haben, waren die russische Militärreform von 2008 und die Transformation der ukrainischen Armee zur Berufsarmee. Erstens haben die Ukrainer gesehen, dass, während der Niedergang der eigenen Armee fortschritt, in Russland große Geldmittel in die Streitkräftereform einflossen und die eigentliche Herangehensweise an das Militär sich änderte. Zweitens wurde die Armee der Ukraine mit Vertragssoldaten statt mit wehrpflichtigen Rekruten ausgestattet. Und nun dienen nicht Rekruten aus Lwiw auf der Krim, sondern die ansässigen Krim-Bewohner, die nicht vorhaben, gegen die Russen Krieg zu führen." Zudem bemerkt der Experte, dass sich die russische Armee an mehreren bewaffneten Konflikten beteiligt habe und so Erfahrung im Kampf habe sammeln können, während die ukrainischen Kollegen in ihren Kasernen geblieben und an keinem einzigen Konflikt oder Kampfeinsatz beteiligt gewesen seien.

Igor Korottschenko, Militärexperte und Chefredakteur des Magazins „Nazionalnaja oborona", meint, dass die ukrainische Armee und der Exekutivapparat nicht gezwungen seien, Befehle der neuen ukrainischen

Regierung zum Kampf gegen die russische Armee auszuführen. „Wer auch immer in Kiew bereits laute Ansagen macht, ist noch nicht legitim, denn, wie man sich auch immer gegenüber Janukowitsch positionieren mag, ist er immer noch der legitim gewählte Präsident", sagt Korottschenko. „Deshalb sind die Befehle von Aleksandr Turtschinow, die er an das Militär erteilen könnte, illegitim und die ukrainische Armee ist folglich nicht gezwungen, sie auszuführen und sollte in den Kasernen bleiben. Dasselbe gilt auch für die anderen Exekutivorgane." Der Experte bemerkt, dass der Beschluss des russischen Föderationsrats noch keine Militärinvasion in die Ukraine bedeute. „Niemand hat vor, die Ukraine zu besetzen", sagt er. „Es ist offensichtlich, dass man in diesem Fall von einer Friedensmission sprechen kann, um einen wirklichen Bürgerkrieg zu verhindern."

Des Weiteren ruft Korottschenko dazu auf, vorsichtiger mit den Meldungen in den Medien umzugehen, was die russischen Truppen angeht, die sich bereits in der Ukraine befinden, aber nicht zur Schwarzmeerflotte gehörten. „Es findet ein Informationskrieg gegen Russland statt und man sollte sehr vorsichtig mit den publizierten Informationen umgehen", sagt er. „Tatsache ist, dass Putin eine legitime Möglichkeit erhalten hat, Truppen in der Ukraine einzusetzen. Lasst uns doch offizielle Schritte des Verteidigungsministeriums abwarten. Ich denke, die wahrscheinlichste Militäroperation wird sich nur auf die Krim beziehen, aber ich schließe auch eine größere Einmischung nicht aus – alles hängt von der Entwicklung der Situation ab."

Der Experte glaubt zudem, dass die ukrainische Armee im Moment nicht handlungsfähig sei. Er ist überzeugt, dass „die Streitkräfte der Ukraine derzeit nicht in der Lage sind, Kampfhandlungen auszuführen. Fast alle

Untereinheiten – mit Ausnahme der Sondereinheiten und vielleicht der Fallschirmjäger – sind nicht einsatzfähig. Sie saßen in ihren Kasernen, als Janukowitsch abgesetzt wurde, und im Westen des Landes erlaubten sie den Oppositionellen sogar, an Waffen zu kommen. Deshalb würde ich die Armee nicht als Militärmacht ansehen."

Auch der Leiter des Zentrums für Militärprognosen Anatolij Zyganok äußert seine Überzeugung, dass es nicht zu tatsächlichen Kampfhandlungen in der Ukraine kommen werde: „Nun müssen wir sehen, wie die Nato und China reagieren. Wir sind an einer Zusammenarbeit mit China interessiert, das negativ gegenüber der Revolutionsführung der Ukraine eingestellt ist." Der Experte sieht eine Analogie zum Eingriff des sowjetischen Militärs in der Tschechoslowakei 1968, bei dem er selbst gedient hatte: „Noch vor 45 Jahren war ich an den Geschehnissen in Tschechien beteiligt und wir standen drei Monate lang in Kolonnen, Juni, Juli und Anfang August. Eine solche Situation könnte sich jetzt wiederholen", prognostiziert er.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru


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