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Es entsteht ein Unruheherd an der Westgrenze Russlands, und wenn man die nationalistischen Erklärungen einiger Anführer am Maidan ernst nimmt, ist auch die russische Bevölkerung im Osten der Ukraine und auf der Krim in Gefahr. Die russische Führung erkennt an, dass Kiew eine neue Regierung braucht. Sie ruft die Politiker in der Ukraine dazu auf, dabei das Gesetz streng zu befolgen und nicht nur auf die Meinung weniger zu hören, sondern das ganze Land einzubeziehen.
Präsident Wladimir Putin hat als erster der Mächtigen das Schweigen gebrochen, um persönlich in den Medien die Position Russlands klarzustellen. Die Hauptfrage bei der Pressekonferenz vom vierten März war die nach einer möglichen militärischen Intervention in der Ukraine. Dem russischen Präsidenten zufolge hält Moskau den Einsatz von Truppen in der Ukraine für eine „extreme Maßnahme" und sieht bisher noch keinen Grund dafür, diese auch zu ergreifen. Man könne aber auch nicht untätig bleiben, wenn die russischsprachige Bevölkerung in Gefahr ist. „Russland hat keine Absicht, Krieg gegen das ukrainische Volk zu führen. Wenn wir uns zum Einsatz des Militärs entschließen, dann nur zum Schutz der Bürger", betonte er. Bereits im Vorfeld hatte der Föderationsrat die Entsendung von Truppen in die Ukraine genehmigt, sofern dies zum Schutz der dort lebenden russischen Staatsbürger sowie der Objekte der Schwarzmeerflotte notwendig sein sollte.
Der Präsident gab darüber hinaus zu verstehen, dass die westlichen Länder, vor allem die USA, Heuchler seien, wenn sie Russland beschuldigen, sich aggressiv zu verhalten. Sie selbst hätten mit ihren Militärinterventionen im Irak und in Libyen gegen das Völkerrecht verstoßen.
Ähnlich lautet auch die Erklärung, die im UN-Sicherheitsrat vom ständigen Vertreter der russischen Föderation, Witali Tschurkin, verlesen wurde: „Diejenigen, die versuchen, diese Situation nicht als aggressionsgeladen zu deuten, drohen mit allen möglichen Sanktionen und Boykott. Dabei sind es die westlichen Partner, die konsequent und nachdrücklich ihnen nahestehende politische Kräfte in der Ukraine zum Ultimatum und einem Ende des Dialogs bewegen. Dank ihnen wird die Besorgnis um den Süden und den Osten der Ukraine ignoriert und in der Folge die Polarisierung der ukrainischen Gesellschaft gefördert."
EU-Sanktionen sind zahnlos, Nato-Reaktion interessanter
Im Übrigen wirken die Sanktionen gegen Russland, die auf der Dringlichkeitssitzung vom 3. März von den Außenministern der EU vorgeschlagen wurden, laut Wladimir Tschischow, dem ständigen Vertreter
Russlands bei der Europäischen Union, wie „zurückhaltende politische Formulierungen". In einem Interview mit der Nachrichtenagentur ITAR-TASS erklärte der Diplomat: „Ich habe mit einigem Erstaunen festgestellt, dass sich unter den möglichen ‚Strafmaßnahmen' zum Beispiel der Stopp der Verhandlungen mit Russland über die Visa-Bestimmungen befindet. Diese sind aber ohnehin bereits gestoppt, wofür übrigens die EU verantwortlich ist, daher ist dieser Punkt wohl nichts Neues. Was die Frage der Unterbrechung der Verhandlungen über ein zukünftiges neues Basisabkommen zwischen Russland und der EU betrifft, so ist es auch hier an der EU, den nächsten Schritt zu tun."
Vorsichtiger steht Moskau der Reaktion der Nato gegenüber. Der ständige Vertreter Russlands bei der Nato, Aleksander Gruschko, bezeichnete die Einberufung der Sitzung des Nordatlantikrats auf Anfrage Polens als Ausdruck einer Denkweise, wie sie im Kalten Krieg geherrscht habe. „Die Initiative Polens, entsprechend Artikel 4 des Nordatlantikvertrags Rücksprache mit den Bündnispartnern zu suchen, verschärft die Spannungen", zitiert die russische Nachrichtenagentur „Interfax" die Erklärung des ständigen Vertreters.
Inzwischen hat Wladimir Putin angemerkt, dass die Revolution in der Ukraine sich schon lange angebahnt habe, doch der Machtwechsel müsse gesetzeskonform geschehen und die Interessen aller Regionen der Ukraine müssten berücksichtigt werden. „Warum hat man illegal und verfassungswidrig gehandelt und das Land ins Chaos gestürzt?", fragte Putin während der Pressekonferenz. „Bis heute laufen maskierte Kämpfer mit Gewehren durch Kiew. Wir beabsichtigen nicht, uns einzumischen, aber wir sind der Meinung, dass allen Bürgern der Ukraine die gleichen Rechte zur Teilnahme an der Gestaltung des Landes und seiner Zukunft gewährt werden muss", fügte der russische Präsident hinzu.
Moskau ist fest entschlossen
Der Vorsitzende des Russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik, Fjodor Lukjanow, wies gegenüber Russland HEUTE darauf hin, dass das bisherige Staatssystem und das politische System der Ukraine zusammengebrochen seien.
Ein weiterer Experte erklärt: „Russland ist der Meinung, dass der neue ukrainische Staat unter Berücksichtigung der Interessen der gesamten
Bevölkerung aufgebaut werden muss. In der Praxis würde das bedeuten, dass die Ukraine zu einem föderativen Staat oder einer Konföderation mit weitreichenden Befugnissen für die Bürger umgestaltet wird."
Dmitrij Suslow, Vertreter des Direktors eines Forschungsprogramms des russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik, betonte, dass die Entscheidung des Parlaments Präsident Putin lediglich die Möglichkeit gebe, Truppen zu entsenden, ihn aber nicht dazu verpflichte, zu intervenieren. „Diese Entscheidung hat eher demonstrativen Charakter. Moskau möchte damit Druck auf den Westen ausüben und zeigen, dass es mit der aktuellen Situation in Kiew nicht einverstanden ist." Indem Moskau den Widerstand auf der Krim unterstützt, gibt es ihren Bewohnern zu verstehen, dass sie ihre Meinung sagen können, ohne Repressionen oder Selbstjustiz seitens der ukrainischen Nationalisten befürchten zu müssen.
Der Politologe Dmitrij Ewstafjew äußerte, er sei sich sicher, dass die Haltung Moskaus eine sehr entschlossene sei. Erstens, weil „es ein Verbrechen wäre, diese Leute im Stich zu lassen, besonders wenn man daran denkt, was nach den Ankündigungen der neuen Führung der Ukraine mit ihnen geschehen soll." Zweitens habe Moskau verstanden, dass der Westen Möglichkeiten hätte, Druck auf Russland auszuüben, wenn es nicht
eine groß angelegte Intervention einleite. Diese Gefahr wäre größer als die Folgen, die ein Verlust im „Spiel um die Ukraine" nach sich ziehen würde.
Dmitrij Suslow ist derselben Meinung, er sagt: „Wenn Moskau jetzt aufgibt und die aktuelle Situation in der Ukraine anerkennt, dann wäre das ein gigantischer Verlust für Russland in der Weltpolitik und für Putin persönlich."
Fjodor Lukjanow hingegen ist der Meinung, dass die russische Führung auch den Wunsch entwickeln könnte, „die ukrainische Frage zu lösen": „Möglicherweise hat man im Kreml bereits entschieden, dass die Kosten, die die Realisierung der jetzigen Pläne mit sich bringen würden, geringer sind als die Kosten neuer Krisen."
So oder so ist klar, dass die Krise in der Ukraine sich auf internationales Niveau ausgeweitet hat. Daher wird man kaum darauf zählen können, dass sie sich wieder legt, solange nicht alle daran beteiligten Kräfte beginnen, zusammenzuarbeiten. Und zwar im Interesse aller Ukrainer, sowohl im Westen als auch im Osten des Landes.
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