Nato überlässt Russland das Afghanistan-Problem

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Ende 2014 soll das Hauptkontingent der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan von ihren Stützpunkten abgezogen sein. Was wird es hinterlassen? Nikolaj Bordjuscha, Generalsekretär der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) gibt Antworten.

ITAR-TASS: Der Abzug der US-amerikanischen und sonstigen Nato-Truppen aus Afghanistan rückt näher. Wie bewerten Sie das Ergebnis des Einsatzes?

Nikolaj Bordjuscha: Die allgemeine Einschätzung lautet, dass die Mission ein Desaster war. Und das ist nicht meine eigene, sondern die gemeinsame Bewertung durch die internationale Expertengemeinschaft. Nicht nur die Experten der OVKS sagen das, die Staatsführung Afghanistans denkt genauso. Sie bekräftigt einstimmig, dass die Mission ein Reinfall war und dass die Ziele, die bei der Entsendung dieses großen Kontingents westlicher Truppen formuliert wurden, gar nicht umzusetzen waren.

Der entscheidende Grund für das Scheitern der Mission ist meiner Meinung nach, dass im Unterschied zu den sowjetischen Truppen in den 1980er-Jahren, die versucht hatten, eine Infrastruktur aufzubauen und dem afghanischen Volk wirtschaftlich auf die Beine zu helfen, die USA und die Nato strittige Aufgaben nur mit militärischen Mitteln lösen wollten.

Welche Gefahren und Risiken birgt der Abzug der Koalitionstruppen für die Länder Zentralasiens und für Russland selbst? Welche Maßnahmen schlägt die OVKS vor, um Risiken zu verringern?

Die Gefahrenlage, die wir gegenwärtig in Afghanistan haben, unterteilt sich

in vier Bereiche: Der erste Bereich ist die Zone mit Kampfhandlungen und Anschlägen. Der zweite Bereich sind Gebiete, in denen sich eine große Anzahl extremistischer Kämpfer befinden. Der dritte sind die Ausbildungslager für die Terroristen. Der vierte Bereich ist der Drogenanbau und -handel. Ich spreche dabei noch nicht einmal von der Taliban und den Problemen, die sich nach dem Abzug der Truppen ergeben könnten. Diese vier Gefahren, die die gesamte Region einschließlich Zentralasien destabilisieren, werden nach dem ISAF-Abzug bestehen bleiben.

Was erwarten wir anschließend? Die OVKS erwartet keinen groß angelegten Einmarsch einer anderen Macht. Wir denken nicht, dass es derzeit in Afghanistan Kräfte gibt, die in der Lage wären, große Armeen aufzustellen die sich in nördlicher Richtung in den zentralasiatischen Bereich bewegen könnten, um Tadschikistan, den Süden Kirgistans und andere Länder der Region zu besetzen. Aber dass es solche Eroberungsversuche geben wird, dessen bin ich sicher, es gab ja auch schon erste Geplänkel. Ich kann Ihnen berichten, dass während des letzten halben Jahres die Zahl der Zusammenstöße an der tadschikisch-afghanischen Grenze um ein Vielfaches zugenommen hat. Dabei handelt es sich um Versuche bewaffneter Banditen, die Staatsgrenze Tadschikistans zu durchbrechen, wahrscheinlich, um den Drogenschmuggel zu verbessern. Bewaffnete Paramilitärs ersetzen in manchen Regionen die Staatsmacht und verhalten sich wie lokale Politiker.

Die Truppen der USA und anderer Nato-Länder, die sich auf afghanischem Gebiet befunden haben, haben sich dem Problem des Drogenhandels nie richtig angenommen. Warum eigentlich?

Der Kampf gegen den Drogenhandel hat für die OVKS eine sehr hohe Priorität. Wir führen entsprechende Operationen durch und koordinieren unsere Anstrengungen mit allen Kollegen. Auf den Wegen, die heutzutage für den Drogenschmuggel genutzt werden, aber nur schlecht zu überwachen sind, werden wir den Einsatz unserer Sondereinheiten konzentrieren.

Außerdem wird auf Grundlage einer von unserem Präsidenten genehmigten Entscheidung im Rahmen der OVKS gegenwärtig ein Zentrum für Sonderoperationen im Kampf gegen den Drogenhandel geschaffen.

Aber warum die Nato-Truppen die Drogenproduktion in Afghanistan nicht bekämpft haben, kann ich mir nur damit erklären, dass sie nicht noch größere Probleme schaffen wollten. Denn wenn sich auf die Seite der Taliban auch noch die Drogenmafia gestellt hätte und selbige über bewaffnete Kampfverbände und eine bessere Finanzierung verfügt hätten, wäre die Lage jetzt noch verheerender, als sie es ohnehin schon ist.

Die USA und die Europäische Union, in der sich der Großteil der Nato-Mitgliedsstaaten befindet, haben Wirtschaftssanktionen gegen Russland verkündet. Muss Russland nun seine Zusammenarbeit mit ihnen in der Afghanistan-Frage fortsetzen?

Ich glaube, dass die OVKS nichts einstellen und aufgeben muss. Ich hoffe sehr stark, dass sich die vom Westen ausgehende antirussische Stimmungsmache bald wieder legen wird. Wir müssen mit allen Kräften, die an einer Normalisierung der Lage in Afghanistan interessiert sind, zusammenarbeiten. Wir haben den Transit der Nato-Kontingente zu unterstützen – das ist meine Meinung. Sie erfüllen die richtige Aufgabe, Stabilität in Afghanistan zu erzielen. Die Militärangehörigen der Nato, die direkt von diesem Rückzug abhängen, haben ja keine Schuld. Sie haben sehr redlich ihre Pflicht in Afghanistan erfüllt, und ich habe großen Respekt vor diesen Menschen. Sie agieren unter sehr schwierigen Bedingungen und in extremen Situationen.

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