Foto: Sergej Kusnezow/RIA Novosti
Zwei hohe Regierungsbeamte erklärten in einem Gespräch mit der russischen Zeitung Kommersant habe beschlossen, sich dem internationalen Waffenhandelsabkommen („Arms Trade Treaty", ATT) vorerst nicht anzuschließen. „Die grundsätzliche Entscheidung in dieser Frage steht bereits, die russische Position ist klar: In absehbarer Zeit werden wir den Vertrag nicht unterzeichnen", sagte einer der Gesprächspartner gegenüber der Zeitung. „Die Frage wurde im Rahmen mehrerer behördenübergreifender Beratungen ein ganzes Jahr lang diskutiert, auch der Sicherheitsrat der Russischen Föderation wurde konsultiert. Als Ergebnis steht der Beschluss, dem Abkommen vorerst nicht beizutreten", bekräftigte der zweite Gesprächspartner.
Waffenhandel nach neuen Regeln
Das ATT ist das erste juristisch verbindliche Dokument zur Regelung des internationalen Waffenhandels. Es wurde im vergangenen Jahr von der Generalversammlung der Uno verabschiedet. Gegen die Verabschiedung stimmten damals lediglich die Volksrepublik China, der Iran und Syrien. Russland, nach den USA der zweitgrößte Waffenexporteur, enthielt sich mit 22 weiteren Staaten der Stimme. Das russische Außenministerium ließ damals verlauten, Moskau werde nach einer „gründlichen Analyse dieses Dokuments unter Hinzuziehung von Experten aus verschiedenen Gebieten" über die Position in dieser Frage entscheiden.
Der Vertrag tritt erst nach einer Ratifizierung durch mindestens 50 Staaten in Kraft – 32 Länder haben dies bereits getan. Zuletzt schloss sich am 10. Mai Japan dem Vertrag verbindlich an. Von diesen 32 Unterzeichnerstaaten gehören nach Informationen des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) fünf zu den zehn größten Waffenexporteuren der Welt: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien.
Der Vertrag wird voraussichtlich diesen Sommer in Kraft treten. Allerdings haben ihn noch nicht alle EU-Staaten ratifiziert. Und das, obwohl das Europaparlament unlängst allen Mitgliedstaaten empfahl, dem Abkommen beizutreten. In Brüssel geht man davon aus, dass eine positive Entscheidung von bislang unentschlossenen Ländern schon in einigen Wochen fallen wird. Die Europäische Kommission ist überzeugt: „Das ATT wird verhindern, dass Waffen weiterhin in die Hände von Terroristen und in instabile Regionen gelangen."
„Unausgereift" und „gehaltlos"
In Moskau jedoch gelangte man nach einer „sorgfältigen Analyse" zu weniger optimistischen Schlussfolgerungen. Russland forderte von Beginn an eine Verschärfung der Bestimmungen über den Reexport von Rüstungsgütern und trat dafür ein, ein Verbot von Waffenlieferungen an „international nicht anerkannte nichtstaatliche Subjekte" in den Vertrag aufzunehmen. Mit diesen Vorschlägen konnte sich Russland jedoch nicht durchsetzen.
Das Dokument beschränkt in seiner aktuellen Fassung zwar den legalen Verkauf von Rüstungsgütern an fragwürdige Regime, erlaubt jedoch die Bewaffnung oppositioneller Kräfte, die gegen die Regierungen ihrer Länder kämpfen. Experten aus Fachbehörden sind daher mehrheitlich der Ansicht,
dass der Vertrag „unausgereift" und „gehaltlos" sei, sagen die russischen Regierungsbeamten gegenüber der Zeitung Kommersant.
Viele Sachverständige stimmen den Aussagen der Beamten zu. „Der Vertrag ist schwach. Er ist praktisch eine Ansammlung von gut gemeinten Wünschen, die niemanden zu irgendetwas verpflichten", erklärte Wadim Kosjulin, Experte des Russischen Zentrums für politische Studien (PIR). „Die Autoren dieses Vertragstextes haben, angespornt von Menschenrechtsorganisationen, alles daran gesetzt, möglichst schnell ein Ergebnis zu erzielen. Was dabei herauskam, ist ein zahnloses Instrument, das die internationale Gesetzgebung in dieser Problematik überhaupt nicht bereichert", führte Kosjulin weiter aus. Eine Wirkung wird das ATT seiner Meinung nach vor allem im Bereich der Transparenz des internationalen Waffenhandels zeigen.
Die dem Vertrag beigetretenen Länder verpflichten sich, jährlich einen Rechenschaftsbericht über die Lieferung von insgesamt acht Waffenkategorien vorzulegen. Das ATT reglementiert den Handel mit Panzern, Mannschaftspanzerwagen, Artilleriesystemen, Abwehrjägern, Hubschraubern, Raketen, Raketenabschussgeräten sowie Klein- und Leichtwaffen. Bis vor wenigen Jahren noch beteiligten sich weniger als 40 Prozent der Staaten an dem freiwilligen Register für gewöhnliche Rüstungsgüter der Uno. Das jährliche Volumen des internationalen Waffenhandels wird auf 51 Milliarden Euro geschätzt.
Russland riskiert, zur Zielscheibe für Kritik zu werden
Die Weigerung Russlands, den Vertrag zu unterzeichnen, könnte jedoch nach Einschätzung von Wadim Kosjulin dem Image des Landes schaden. „Wenn das ATT in Kraft tritt und die jährlichen Berichte veröffentlicht werden, wird Russland wahrscheinlich zur Zielscheibe für Kritik werden – weil es dem Abkommen nicht beigetreten ist und keinerlei Informationen preisgibt, dafür aber Länder wie Syrien und den Iran mit Waffen beliefert", erklärt der Experte.
Zudem wird es seiner Meinung nach nicht bei einem reinen Imageverlust bleiben. Das ATT sieht nach sechs Jahren die Möglichkeit einer Einführung von bestimmten Ergänzungen vor, die russischen Herstellern den Zugang
zu einigen Märkten verwehren und auch Waffenlieferungen aus Vertragsstaaten nach Russland beschränken könnten. „Das ATT könnte sich mit der Zeit in eine Institution wie den Koordinationsausschuss für multilaterale Ausfuhrkontrollen (CoCom) verwandeln", warnt der Experte. Der CoCom wurde im Jahr 1949 von westlichen Staaten zur Beschränkung von Lieferungen „strategischer" Waffen und Technologien in die UdSSR und die mit ihr befreundeten Länder gegründet und erst 1994 wieder aufgelöst.
Die Gesprächspartner von Kommersant schließen nicht aus, dass Russland dem Abkommen doch noch beitritt, wenn die vertraglichen Ergänzungen „nicht zu schmerzhaft" sein werden. „Aber das wird sicher nicht in den nächsten Jahren geschehen", ergänzten die Regierungsbeamten. Zudem erinnerte Wadim Kosljugin daran, dass sich neben Russland auch eine Reihe weiterer Hersteller und Importeure von Rüstungsgütern, wie etwa China, Indien oder Saudi-Arabien, dem ATT noch nicht angeschlossen hätten. Die USA unterzeichneten das Dokument zwar im Herbst 2013, zögern aber bis heute mit seiner Ratifizierung.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant.
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