Der 71-jährige Eduard Limonow gelangte durch einige offen nationalistische Veröffentlichungen zu einer skandalträchtigen Berühmtheit. Foto: ITAR-TASS
Die nationalbolschewistische Protestkundgebung „Strategie 31" verlief erstmals ohne Festnahmen und Einweisungen in Untersuchungshaft. Die Protestversammlung, die alle zwei Monate – immer am 31. Tag eines Monats – in Moskau stattfindet, erinnert an den Artikel 31 der Verfassung, der die Versammlungsfreiheit gewährt. Bislang war die Versammlung regelmäßig von der Polizei und Einsatzkräften der Spezialeinheit OMON gewaltsam beendet worden, auch kam es immer wieder zu Festnahmen einzelner Teilnehmer.
Die Protestversammlung geht zurück auf das Jahr 2009, als Eduard Limonow das Ziel der Protestkundgebungen definierte, in der russischen Hauptstadt einen Ort zu etablieren, an dem ihre Bewohner sich für den Kampf um ihre Rechte versammeln und verschiedenste Kräfte sich im Widerstand gegen staatliche Repression unter einer „einheitlichen überparteilichen Fahne" zusammenschließen können.
Eduard Limonow: Der Kopf der Bewegung
Der 71-jährige Eduard Limonow gelangte durch einige offen nationalistische Veröffentlichungen zu einer skandalträchtigen Berühmtheit. Wegen seiner politischen Tätigkeit musste sich der Vorsitzende der Nationalbolschewistischen Partei Russlands (NBP), die seit ihrem Verbot 2005 im Untergrund agiert, mehrfach strafrechtlich und in richterlichen Verfahren verantworten. Im Jahr 1996 etwa wurde gegen ihn ein Verfahren wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung eingeleitet. 2001 beschuldigte man Limonow und einige Mitglieder der Nationalbolschewistischen Partei des illegalen Erwerbs und Besitzes von Schusswaffen sowie des Versuchs, illegale bewaffnete Organisationen zu gründen. Ferner wurden Limonow terroristische Bestrebungen und Aufrufe zum Sturz der Verfassungsordnung angehängt. Die Anschuldigungen erwiesen sich teilweise als haltlos. Im Frühjahr 2003 jedoch wurde Limonow zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, im Juni desselben Jahres jedoch auf Bewährung vorzeitig entlassen.
Angesichts des umstrittenen Images und der zweifelhaften Berühmtheit, zu denen es Limonow mit seinen politischen Standpunkten gebracht hatte, genehmigte die Moskauer Regierung die erste Aktion der „Strategie 31" nicht. Ungeachtet des behördlichen Verbots beschlossen die Nationalbolschewisten, sich am 31. Mai 2009 zu einer illegalen
Protestveranstaltung zu versammeln. Die Sicherheitsbehörden reagierten prompt und zogen bereits am Mittag desselben Tages ein beeindruckendes Aufgebot an Einsatzkräften am Triumfalnaja-Platz zusammen. Über zehn Busse mit Sicherheitskräften der Polizei und der OMON, acht Großtransporter mit Angehörigen der inneren Truppen und über zehn Besatzungen der Verkehrspolizei waren vor Ort. Der Platz war eingekesselt, die Zufahrt von vier Kamaz-Ladern verstellt. Die Polizei nahm die Organisatoren der Aktion ohne Angabe von Gründen fest.
Eine Stunde lang drängten Polizei und OMON, die immer wieder Ketten und Keile bildeten, die Demonstranten in verschiedene Richtungen und versuchten dabei, sie vom Platz zu schaffen oder in die Metro zu treiben. Gleichzeitig kam es zu Festnahmen von Teilnehmern der Veranstaltung wie auch unbeteiligter Passanten. Nach Angaben der Moskauer Hauptverwaltung für Inneres wurden 47 Personen verhaftet.
Schlagzeilen auf der ganzen Welt
Große öffentliche Resonanz über die Grenzen Russlands hinaus erfuhr die Versammlung am 31. Dezember 2009. Sicherheitskräfte der OMON nahmen damals neben Dutzenden anderen Demonstranten und Eduard Limonow selbst die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe Ljudmila Alexejewa fest, die nicht länger als drei Minuten auf dem Platz verweilt hatte. Die Festnahme der bekannten russischen Menschenrechtlerin verbreitete sich wie ein Lauffeuer, Nachrichtenagenturen der ganzen Welt berichteten darüber.
Unter dem wachsenden Druck nahm sich der Leiter der Moskauer Hauptverwaltung für Inneres General Major Wladimir Kolokolzew der Angelegenheit an. Er setzte sich mit den Verantwortlichen der Polizeieinheit in Verbindung und forderte sie auf, die Vernehmungen unverzüglich einzustellen und die Demonstranten wieder auf freien Fuß zu setzen. Wenig später brachten der Präsident des Europaparlaments Jerzy Buzek und der Pressesprecher des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten ihre Empörung über die Verhaftung der bekannten Menschenrechtsaktivistin zum Ausdruck. Am nächsten Tag widmete die „New York Times" dieser Protestaktion ihren Leitartikel mit dem Titel „Der Enthusiasmus der russischen Dissidenten ist schwersten Prüfungen ausgesetzt".
Am 31. Mai 2010, zum ersten Jahrestag, fanden in vierzig russischen Städten Demonstrationen im Rahmen der „Strategie 31" statt. In Moskau sollte sie zur größten Aktion der Geschichte dieses Protestes werden. An diesem Tag versammelten sich auf dem Triumfalnaja-Platz etwa 2 000 Demonstranten. Sie ließen sich trotz zahlreicher Festnahmen und brutaler Übergriffe der Polizei nicht auseinandertreiben. Während dieser Kundgebung wurden über 170 Menschen in Moskau und zudem nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 60 und 95 Demonstranten in Sankt Petersburg festgenommen. Es gab auch Berichte über körperliche Gewalt gegen die Inhaftierten, darunter auch Frauen.
„Das Ziel ist noch nicht erreicht"
Die nun in ihrer Geschichte erstmals genehmigte Kundgebung dauerte ganze eineinhalb Stunden. Eduard Limonow räumte allerdings ein, dass
seine Bewegung ihr Ziel, die Durchsetzung der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit in ganz Russland, nicht erreicht habe. Denn während die Demonstranten auf dem Triumfalnaja-Platz in Moskau den Polizeikräften geschlossen und selbstbewusst gegenübertraten, wurden in Sankt Petersburg sechs Aktivisten der „Strategie 31" festgenommen. Der Anführer der Nationalbolschewisten jedoch lässt sich nicht entmutigen. Er ist sicher, dass er, wenn er einmal die Massen hinter sich habe, sein Ziel erreiche.
Seinen Zweiflern entgegnete er: „Limonow war, ist und wird weiterhin in der Opposition sein." In einer konstruktiven Opposition, wie er ergänzte. Wenn die Regierung allerdings Schritte gegen das Volk unternehme, würden sie „die Regierung nicht verschonen".
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