Russland-Ukraine: Ein neues Kapitel

Demonstranten bewarfen am 14. Juni das Botschaftsgebäude der Russischen Föderation in Kiew mit Steinen und Brandsätzen.  Foto: Photoshot / Vostock-Photo

Demonstranten bewarfen am 14. Juni das Botschaftsgebäude der Russischen Föderation in Kiew mit Steinen und Brandsätzen. Foto: Photoshot / Vostock-Photo

Nach dem Angriff auf die Botschaft der Russischen Föderation in Kiew am vergangenen Wochenende ist von einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine auszugehen. Die Frage lautet: Lässt sich Moskau provozieren?

Die Ereignisse in der ukrainischen Hauptstadt, bei denen Demonstranten das Botschaftsgebäude der Russischen Föderation mit Steinen und Brandsätzen bewarfen und die russische Fahne vom Mast rissen, wurden in Russland sehr negativ aufgefasst. Das russische Außenministerium äußerte seine Empörung über die ausgebliebene Unterstützung der Stadtverwaltung sowie die obszönen Äußerungen des ukrainischen Außenministers Andrej Deschtschiza gegenüber dem russischen Präsidenten. Nach Meinung vieler Experten sind die Beziehungen zwischen den Ländern in eine neue Entwicklungsphase eingetreten. Ein „roll back" ist nunmehr unwahrscheinlich.

 

Angriff auf die russische Botschaft

Das russische Außenministerium kritisierte die ukrainischen Behörden für die „Duldung" der gewalttätigen Vorfälle und den „Verstoß gegen internationale Verpflichtungen". In erster Linie ist damit die Nichteinhaltung der Wiener Konvention gemeint, die eine Immunität von diplomatischen Vertretungen garantiert.

Weiterhin wurde heftige Kritik an den obszönen Äußerungen des ukrainischen Außenministers Andrej Deschtschiza in Bezug auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin geübt. So rief der Vorsitzende des Komitees für internationale Angelegenheiten in der Staatsduma Alexej Puschkow in einer Mitteilung auf Twitter den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko auf, schleunigst einen Ersatz für Andrej Deschtschiza zu finden. „Diese Regierung kontrolliert weder die Situation noch sich selbst", kritisierte der russische Parlamentarier.

Die Reaktion des Westens auf die Vorfälle vor der russischen Botschaft rief in Russland ebenfalls Unverständnis hervor. Die Außenministerien der Europäischen Union und der USA rügten zwar den Angriff, blockierten jedoch eine Initiative Russlands, eine entsprechende Erklärung im Sicherheitsrat der Uno anzunehmen. Alexej Puschkow versucht im Interview mit der Zeitung „Kommersant" einen Erklärungsversuch: „Auf nationaler Ebene rügten sie diesen Angriff, denn wenn sie es nicht täten, würde das Angriffe auf Botschaften in der ganzen Welt legitimieren, auch auf die westlichen. Doch auf internationaler Ebene würde eine Unterstützung der russischen Initiative im UN-Sicherheitsrat eine Rüge für Kiews Untätigkeit bedeuten. Nur hat der Westen schon vor langer Zeit beschlossen, sämtliche Handlungen der ukrainischen Behörden bedingungslos zu billigen."

Moskau verkündete jedoch schnell, dass ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kiew nach dem Vorfall nicht geplant sei. Wirtschaftliche Sanktionen gegenüber dem westlichen Nachbarland würden jedoch in Betracht gezogen. Bislang wurde, so der russische Außenminister Sergej Lawrow, eine Note an das Außenministerium der Ukraine übermittelt, mit der Forderung, die Schuldigen zu bestrafen und den zugefügten Schaden zu ersetzen.

 

Wende im Gasstreit

Hinsichtlich des Gaskonflikts bereiten sich Russland und die Ukraine nach monatelangen erfolglosen Verhandlungen unter Beteiligung der EU-Kommission auf den Eintritt in eine neue Phase vor: Am Montag hat Gazprom das System der Vorauszahlung eingeführt. Jedoch, so meinen Experten, werde sich die Situation erst zum Herbst hin verschärfen, dann, wenn die Ukraine die angehäuften Gas-Reserven aufgebraucht hat. Darüber hinaus hat Gazprom nach dem Scheitern der Gespräche mit Kiew eine Klage beim Stockholmer Schiedsgericht über eine Summe von umgerechnet 3,3 Milliarden Euro eingereicht. Als Antwort darauf reichte das ukrainische Unternehmen Naftogaz ebenfalls eine Klage ein, in der es von Gazprom 4,4 Milliarden Euro an überschüssigen Zahlungen für Gaslieferungen, die seit 2010 getätigt wurden, zurückverlangt.

„Der Gaskrieg mit der Ukraine wird sicherlich wieder aufgerollt", kommentiert Alexej Skopin, Professor für Regionalwirtschaft und

Wirtschaftsgeografie an der Higher School of Economics in Moskau, und führt aus: „Daran sind sehr starke Spieler interessiert. In erster Linie die USA, denen es in die Hand spielen würde, wenn Russland als unzuverlässiger Gaslieferant für Europa dastehen würde." Allerdings sei der Konflikt noch nicht in seine kritische Phase eingetreten. Dies gebe den Parteien die Chance auf eine Fortsetzung der Gespräche. Skopin meint, es gehe bei dem Konflikt auch darum, ob die Ukraine ihren Absatzmarkt für Agrarprodukte verliert. „Für die russische Wirtschaft werden die Verluste minimal sein, für sie gibt es auch alternative Lieferquellen. Die Ukraine hingegen könnte 15 Prozent ihrer Exporte nach Russland verlieren", sagt Skopin.

 

Wohin führen die russisch-ukrainischen Beziehungen?

Die Anspannung in den Beziehungen der Nachbarn wird auch durch die in der letzten Zeit zur Regel gewordenen Verhaftungen von russischen Journalisten belastet. So wurden am Samstag bereits zum wiederholten Mal Korrespondenten des Fernsehsenders Zwezda verhaftet. Nach der Rückkehr ins Heimatland behaupteten die Journalisten, sie seien zwei Tage lang ohne Wasser in einem stickigen Raum festgehalten und von ukrainischen Sondereinsatzkräften zusammengeschlagen worden.

Der Präsident des Instituts für Strategische Analysen Alexandr Konowalow findet, dass Russland zur Geisel der eigenen Handlungen wurde. „Moskau ist bis zu einem gewissen Grad in die eigene Falle getappt. Nun warten die Personen, die sich Separatisten nennen und von patriotisch eingestellten Kräften in Russland unterstützt werden, darauf, dass unser Land das Militär im Südosten der Ukraine einsetzt oder die Aufständischen mit Waffen beliefert", sagt Konowalow gegenüber RBTH.

Um die Beziehungen mit der Weltöffentlichkeit wiederherzustellen, so Konowalow, müsse Moskau die neue Regierung in Kiew anerkennen und

sich nicht auf Provokationen wie einen „Gaskrieg" oder eine Unterbrechung von Gaslieferungen nach Europa einlassen. „Dieser Schritt würde im politischen Sinne für Russland fatal sein. Einen solchen Fehler erwartet man allerdings auch von uns", betont Konowalow.

Russland wird die diplomatischen Beziehungen mit der Ukraine nach dem Angriff auf die Botschaft nicht abbrechen. Doch die Interaktionen mit Kiew werden in das Format einer Zusammenarbeit mit einem „feindlichen Staat" umgewandelt und könnten bis zu einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit zwischen den beiden Ländern führen. Allerdings stellen diese Maßnahmen möglicherweise nur die ersten Schritte im neuen Kapitel der russisch-ukrainischen Beziehungen dar.

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