Wird Vkontakte zukünftig vom Kreml kontrolliert?

Es findet in VKontakte bald ein Richtungswechsel statt.Foto: ITAR-TASS

Es findet in VKontakte bald ein Richtungswechsel statt.Foto: ITAR-TASS

Hinter dem russischen sozialen Netzwerk Nummer eins, Vkontakte, stand bis April dieses Jahres noch der umstrittene Pawel Durow. Vkontakte wird nun nicht mehr das sein, was es einmal war: eine Plattform, die provozierte, von einem Helden, der keiner war.

Vkontakte, oder einfach VK, entstand im Jahr 2006. Der Student Pawel Durow aus Sankt Petersburg hatte zu jener Zeit bereits das Forum spbgu.ru aus der Taufe gehoben, das zu einem beliebten Online-Kommunikationsforum für Studenten der Universität Sankt Petersburg geworden war. Doch das genügte Durow nicht.

Facebook, das in den USA bereits eine rasante Entwicklung hinter sich hatte, war in Russland noch nahezu unbekannt. Durow erkannte die Chance und entwickelte VK Vkontakte, ein Facebook nachempfundenes soziales Netzwerk, speziell für den russischen Markt. Erster Investor war Michail Mirilaschwili, Vater eines Kommilitonen Durows.

VK erlangte schnell Popularität und entwickelte ein eigenes Profil. Besondere Aufmerksamkeit fand der Musikservice, und zwar nicht nur bei den Nutzern, sondern auch bei den Rechteinhabern. VK kümmerte sich

nicht um Urheberrechte. Durow schuf de facto eines der größten Piraten-Musikarchive der Welt. Auf Betreiben der Rechteinhaber wurden einzelne Dateien entfernt, jedoch änderte das nichts an der Gesamtsituation. Für Durow war das illegale Onlinestellen von Musik nicht einfach nur ein Mittel, um die Zugriffszahlen in die Höhe zu treiben, sondern es war Prinzip: Er erklärte den traditionellen Musikhandel lauthals für „todgeweiht“.

Durows Prinzipien wurden auch in anderen Bereichen des Unternehmens sichtbar. Die finanziellen Mittel blieben eher bescheiden, der Mitarbeiterstab, der fast ausschließlich aus Entwicklern bestand, auch. Im Gegensatz zu vielen anderen lehnte er pornografische Inhalte in „seinem“ Netzwerk ab. Durow lebte seine Visionen konsequent, ähnlich wie der legendäre Apple-Begründer Steve Jobs.

 

Ein Rebell mit zweifelhaftem Image

Doch auch VK brauchte bald Investoren, um voranzukommen. Der russische Internetkonzern Mail.ru Group übernahm schließlich 39,9 Prozent des Unternehmens, an dem Durow selbst nur zwölf Prozent hielt, und hätte VK gerne vollständig geschluckt. Durow reagierte mit der Veröffentlichung eines Fotos bei Instagram, auf dem er den ausgetreckten Mittelfinger zeigt. Sein Kommentar dazu: „Offizielle Antwort für die Trash-Holding Mail.ru auf deren neuerlichen Versuch, VK zu schlucken.“ Die Beziehung zu den anderen Anteilseignern wie Wjatscheslaw Mirilaschwili und dessen Freund Lew Lewiew, die insgesamt 48 Prozent der Anteile an VK halten, verschlechterten sich mit der Zeit ebenfalls. Durow entfernte letztlich sogar ihre Profilseiten aus VK.

Ende 2011 kam zu all diesen Problemen noch eine politische Komponente hinzu. Durow versagte dem russischen Geheimdienst FSB, oppositionelle Gruppen zu blockieren. Der VK-Gründer galt damit zunächst als Held, stellte aber bald klar, dass für die Absage an den FSB keinesfalls politische Beweggründe eine Rolle gespielt hätten, sondern Fragen der Wettbewerbsfähigkeit. 

Im Frühjahr 2013 geriet VK in ein mediales Kreuzfeuer. Trauriger Höhepunkt war die öffentliche Unterstellung, Durow hätte mit seinem Auto einen Verkehrspolizisten angefahren. Die Anschuldigung konnte nie bewiesen werden, doch Durows Ansehen und das seiner Firma waren beschädigt. Nach der Medienattacke wurde die Nachricht verbreitet, dass Mirilaschwili und Lewiew ihre Anteile dem UCP-Fonds, einer privaten Investmentgruppe, übereignen wollen. Der Fonds, der früher Geld in Online-Projekten angelegt hatte, war für die Internet-Community eine undurchsichtige Gesellschaft, oder, wie man in Russland sagt, ein „dunkles Pferd“ mit einer Verbindung zum russischen Vizepremier Igor Setschenin. UCP-Präsident Ilja Stscherbowitsch wies Vorwürfe zurück, nach denen sein Unternehmen die „Hand des Kreml“ sei und hinter der Medienattacke auf Durow stecke. Der Verkauf sei lange zuvor beschlossen worden, erklärte Stscherbowitsch damals.

Durow widmete VK immer weniger Aufmerksamkeit und startete im August 2013 ein neues Projekt: den Telegram-Messenger. Er nutzte VK als Plattform für seine neue Entwicklung und warb Entwickler ab. Das verärgerte UCP, die Telegram für sich beanspruchten. Durow sollte seinen Direktorensessel räumen.

Im Januar 2014 wurde bekannt, dass Durow seine VK-Anteile an die von ihm einst verhöhnte Mail.Ru Group verkauft hatte. Am 21. März reichte er seinen Rücktritt ein – bekannt machte Durow dies aber erst am 1. April, am „Tag des Dummkopfes“, wie man in Russland den Tag nennt, an dem

ähnlich wie in Deutschland oft eine Menge Unsinn erzählt wird. So erklärte Durow dann auch zwei Tage später, dass er einen Scherz gemacht habe. Dabei hatte er die Rechnung aber ohne die neuen Eigentümer gemacht, die sich auf eine formale Ungenauigkeit in der Rückzugserklärung beriefen, was dazu führte, dass Durows Kündigung zum 21. April wirksam wurde.

Durow erklärte, dass VK „unter die volle Kontrolle von Igor Setschin und Alisher Usmanow“ käme, womit er indirekt die Version von der „Hand des Kreml“ bestätigte. Er erklärte außerdem, seine Anteile zuvor auf Druck des FSB verkauft zu haben, der von ihm verlangt hätte, die ukrainischen Hintermänner der „Euromaidan-Community“ preiszugeben. Bald darauf verließ Durow Russland und ließ verlauten, dass eine Rückkehr für ihn keinen Sinn habe.

 

VK wird zahm

Obgleich all das mit der verstärkten staatlichen Regulierung des russischen Internets korreliert, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, dass politische Motive hinter den Ereignissen stecken. Die Erklärungen und Handlungen der UCP erinnern weniger an Politiker, die ein mächtiges Sprachrohr zimmern wollen, als an Geschäftsleute, die mehr schlecht als recht mit der Internet-Spezifik zurechtkommen. Auch die Mail.Ru Group ist bekannt dafür, vor allem von wirtschaftlichen Interessen geleitet zu werden, freilich ohne sich dabei mit der Staatsmacht anlegen zu wollen.

Das soziale Netzwerk VK wird nun vorübergehend von Boris Dobrodeew und Dmitri Sergeew geführt, die die Mail.Ru Group gern als ständige Vertreterin im Vorstand sehen würden, allerdings ist die UCP dagegen. Die Nachfolge Durows ist also noch offen. Fest steht allerdings schon, dass wohl ein Richtungswechsel stattfindet. Der Rebell Durow wird wohl durch einen traditionsbehafteten Amtsschimmel ersetzt werden, der die Firma auf keinen Fall auf den Kopf stellen, sondern stattdessen die scharfen Ecken und Kanten glätten wird.

 

Der IT-Journalist Eugen Trifonow befasst sich intensiv mit  den Vorgängen bei VK. Seit 2011 spricht er auch mit Mitarbeitern von VK, dabei versteht er sich als unabhängiger Beobachter. Er ist in keiner Weise mit VK verbunden.

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