Was passiert mit dem russischen Hilfskonvoi?

Russland drohen weitere Sanktionen, wenn Lastwagen in die Ukraine fahren. Foto: Maxim Blinow/RIA Novosti

Russland drohen weitere Sanktionen, wenn Lastwagen in die Ukraine fahren. Foto: Maxim Blinow/RIA Novosti

US-Präsident Barack Obama und Italiens Premier Matteo Renzi haben in einem Telefongespräch die Einmischung Russlands in der Ukraine kritisiert. Unter anderem wurden Russland neue Sanktionen angedroht, sollte Moskau Hilfsgüter ohne Abstimmung mit Kiew an die Bedürftigen im Osten der Ukraine ausliefern.

Die Ereignisse in der Ukraine führen auf der ganzen Welt zu unterschiedlichen Einschätzungen: Die ukrainische Regierung spricht von einem Kampf gegen Terroristen, Moskau und eine Reihe internationaler Experten von einem Bürgerkrieg und einer humanitären Katastrophe. Derweil hat die UNO die Geschehnisse im Osten der Ukraine offiziell noch immer nicht als eine humanitäre Katastrophe eingestuft. Zudem wurde die russische Initiative, gemeinsam mit dem Internationalen Roten Kreuz der Zivilbevölkerung der Region Hilfe zu leisten, heftig von westlichen Regierungschefs kritisiert.

Die Situation wird insbesondere durch Drohungen aus Washington erschwert, neue Sanktionen gegen Moskau einzuführen. Die USA suchen dabei nach Verbündeten in Europa. RBTH fragte eine Reihe russischer Experten nach ihrer Einschätzung der derzeitigen Situation.

 

Sergej Karaganow, Politikwissenschaftler, Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik an der Higher School of Economics in Moskau:

In den USA will man auf keinen Fall einen Rückzieher machen. Doch auch Russland will nicht nachgeben. Ich hoffe, dass unsere Länder dennoch eine neue Stufe der Konfrontation vermeiden können. Diese ist momentan so nah wie nie zuvor. An solche Feindseligkeiten kann ich mich seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht entsinnen. Die USA werden jetzt in einem Politikfeld spielen, auf dem sie stärker sind: Im Bereich der Wirtschaft. Russland hingegen wird auf Machtpolitik setzten.

Alexandr Konowalow, Direktor des Instituts für Strategiebewertung in Moskau:

Die USA und Europa haben eine andere Meinung in Bezug auf die Motive der russischen Militärhilfe. Russland behauptet zwar, dass alles mit dem Internationalen Roten Kreuz und den ukrainischen Behörden abgesprochen sei, doch weder die ukrainische Regierung noch das Rote Kreuz wollen dies bestätigen.

Wenn in Moskau jedoch eine Lastwagenkolonne aufbricht, die eine Last bis zu 2 000 Tonnen transportieren kann, dann sind sowohl die USA als auch die Ukraine besorgt, dass sich auf den Lastwagen nicht nur humanitäre Güter befinden. Deshalb sagen die Amerikaner, dass jegliche nicht abgestimmte Grenzüberschreitung als Aggression angesehen wird. Zudem gibt es die Sorge, dass die russischen Lastwagen auf ihrem Weg zurück nach Russland nicht leer sein werden. Es gibt Spekulationen darüber, dass sie die Führung der Aufständischen außer Landes bringen könnten. Dies würde ich allerdings nur begrüßen. Denn wenn aus der Region diejenigen Personen entfernt werden, die die Situation destabilisieren, kann das nur gut sein.

Sergej Michejew, unabhängiger Politologe:

Die Position der USA und der EU trägt einen nahezu gotteslästernden Charakter. Sie wollen Russland mit neuen Sanktionen dafür bestrafen, dass es friedlichen Bürgern hilft, die unter dem Beschuss des ukrainischen Militärs leiden. Die US-Sanktionen und der Druck Washingtons auf Brüssel zerstören die Beziehungen zwischen Russlands und der EU. Sollte die

Europäische Union Moskau dafür bestrafen, dass es Medikamente und Arzneimittel an friedliche Bürger ausliefert, könnte man mit einer politischen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten gleichsetzen.

Auch hat es Russland nicht nötig, eine humanitäre Mission vorzutäuschen, um Waffen in die Ukraine liefern zu können. Zu den Spekulationen, wonach die Führung der Aufständischen in den Lastwagen nach Russland gebracht werden soll, kann ich folgendes sagen: Es würde auch keine Probleme geben, die politische Führung außer Landes zu bringen, falls die Situation dies erfordert.

Die ukrainische Armee hat eine großangelegte Aktion zur Wiederherstellung der militärischen Kontrolle über die Ostukraine gestartet, die jedoch gescheitert ist. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine Andrej Parubij musste deshalb zurücktreten. Er hatte die Verantwortung für eine Operation der Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze, im Zuge derer etwa 3 500 ukrainische Militärangehörige als vermisst gemeldet wurden. Die Ukraine hat immer noch keine Kontrolle über große Bereiche des Landes, deshalb haben Spekulationen zum Thema Abtransport der politischen Führung der Aufständischen eine ähnliche Aussagekraft, wie „Schmierereien auf der Straße". Leider haben manipulative Informationsquellen, unprofessionelle Blogger und unseriöse Medien eine zu große Macht bekommen.

Wiktor Litowkin, unabhängiger Militärexperte:

Unabhängig davon, ob Russland ernsthafte wirtschaftliche und politische Verluste trägt, ist die Hilfe für die Bürger der Ostukraine, die ständig unter dem Beschuss des ukrainischen Militärs stehen, ein banaler Akt der

Menschlichkeit. Friedliche Bürger werden mit Raketen beschossen, ihre Häuser werden zerstört, ihnen wird der Zugang zu sauberem Trinkwasser und der Verrichtung elementarer menschlicher Bedürfnisse verwehrt. Es ist eine Menschenpflicht, Leben zu retten und den Menschen vor Ort humanitäre Hilfe zu erweisen. Deshalb nimmt Russland auch Flüchtlinge aus der Ukraine auf, von denen es in Russland nach unterschiedlichen Angaben mittlerweile zwischen 500 000 bis 700 000 gibt. Und diejenigen Menschen, die sich noch in der Ostukraine befinden, muss Russland mit Lebensmitteln und Medikamenten helfen. Das ist unsere heilige Pflicht und wir werden es tun, wenn wir eine Möglichkeit dazu haben.

Wie die russische Agentur ITAR-TASS meldet, besteht die russische Lastwagenkolonne aus 280 Lastwagen, die den Bedürftigen in der Ukraine Lebensmittel, Medikamente und Trinkwasser liefern sollen. Insgesamt geht es um 2 000 Tonnen an humanitären Gütern. Wie die Verwaltung der Region Moskau bestätigt hat, befinden sich darunter 400 Tonnen Getreide, 100 Tonnen Zucker, 62 Tonnen Kindernahrung, 54 Tonnen medizinisches Zubehör und Medikamente, 12 000 Schlafsäcke und 69 Stromgeneratoren.

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