Die Schweiz und Russland: Mehr als ein Flirt?

Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter (links) war das einzige westliche Staatsoberhaupt, das nach der Angliederung der Krim mit Wladimir Putin zusammentraf. Foto: Sergej Guneeew / RIA Novosti

Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter (links) war das einzige westliche Staatsoberhaupt, das nach der Angliederung der Krim mit Wladimir Putin zusammentraf. Foto: Sergej Guneeew / RIA Novosti

Die Schweiz ist neutral, das ist bekannt. Doch hinter der Schweizer Zurückhaltung im Ukraine-Konflikt steckt mehr: Die Alpenrepublik sieht Russland als Wirtschaftspartner mit Potential. Beide Länder verbinden eine fast 200jährige Geschichte und intensive Wirtschaftsbeziehungen.

Die EU und die USA machen Russland für die Eskalation der Krise in der Ukraine verantwortlich, verhängen Einreiseverbote gegen russische Staatsbürger und Sanktionen gegen russische Unternehmen. Ausgerechnet da lädt Filippo Lombardi, Mitglied des Schweizer Ständerats, sechs russische Abgeordnete zu einem Schachturnier in die Alpenrepublik ein. Unter ihnen befindet sich auch Anatoli Karpow, einst Schachweltmeister und nun Mitglied der Kreml-Partei Einiges Russland.

Das Turnier, das mit einem Sieg der russischen Delegation endete, sei ein diplomatischer Erfolg gewesen, sagte Lombardi anschließend. Zumal das Treffen Teil des Rahmenprogramms zum 200jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland war.

 

Ohne Russland keine Schweiz

 „Die Schweiz hat Russland in gewisser Weise ihre Existenz zu verdanken. Daran erinnern sich heute viel zu wenige“, erklärt Geri Müller, Grünen-Abgeordneter im Schweizer Nationalrat gegenüber RBTH. Vor zwei Jahrhunderten, nach der Niederlage Napoleons, drohte die Schweiz bei der Neuordnung Europas unter die Räder zu geraten und auseinanderzubrechen. Russland machte sich jedoch für die Einheit des Landes stark und pochte auf die Neutralität der Republik. Auf dem Wiener Kongress 1815 setzte sich Russland damit durch.

Heute scheinen die Beziehungen beider Länder wieder sehr eng zu sein. Nicht nur weil sich die Schweiz nicht an den EU-Sanktionen beteiligt. Auch war

Bundespräsident Didier Burkhalter das einzige westliche Staatsoberhaupt, das nach der Angliederung der Krim mit Wladimir Putin zusammentraf. Freilich ging es bei dem Treffen vordergründig um die Ukraine, da die Schweiz derzeit den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit innehat. Dennoch, auch zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi schickte die Schweiz gleich drei Bundesräte, während viele westliche Politiker den Spielen ganz fernblieben. Verteidigungsminister Ueli Maurer plauderte im Schweizer Haus mit Putin, Burkhalter traf den Außenminister Sergej Lawrow und Innenminister Alain Berset reiste zu den Paralympics.

 

Moderate Töne aus der Alpenrepublik

Während die meisten westlichen Staaten Kritik an Russland üben, fällt die Schweiz aus dem Rahmen. „Natürlich hat die Ukraine-Krise die Beziehungen zwischen unseren Ländern belastet“, gibt Geri Müller zu. Schließlich seien Verletzungen von internationalem Recht für die Eidgenossen ein sehr sensibles Thema. Die Schweiz agiere jedoch umsichtiger als die EU und die USA, weil sie im aktuellen Konflikt keine eigenen Ziele verfolgt. „Während Brüssel die Ukraine in der EU sehen will, legt die Schweiz Wert auf aktive Neutralität, das bedeutet, dass wir uns für den Frieden einsetzen und Verhandlungslösungen suchen“, erklärt der Politiker. Das habe sich schon in der Georgien-Krise bewährt, als beide Konfliktparteien Diplomaten aus Bern als Vermittler akzeptiert haben. „Meine Erfahrung als Mitglied der Parlamentsgruppe Schweiz-Russland zeigt, dass Schweizer mehr Vertrauen bei russischen Politikern genießen, weil hier keine verdeckten Interessen erwartet werden“, sagt Müller.

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So fiel auch die Reaktion der Schweizer auf Russlands Rolle im Konflikt rund um die Ukraine sehr moderat aus. Zwar müsse das Land als Mitglied des Schengener Abkommens auch die Einreisesperren gegen russische Staatsbürger mittragen, friert aber keine Konten ein. Man beschränkt sich allein auf ein Exportverbot von militärischen Gütern nach Russland und eine Vertagung der Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der Alpenrepublik und der eurasischen Zollunion.

Nach offizieller Leseart möchte die Schweiz als Vermittler auftreten und wird daher auch in Zukunft für keine der Parteien eine klare Position

beziehen. Klar ist jedoch, dass die Schweiz in ihren Beziehungen zu Russland viel zu verlieren hat. So hatte Russland im vergangenen Jahr die Eidgenossen zum G20-Gipfel nach Sankt-Petersburg geladen, wo es auch um die künftige Finanzmarktregulierung gehen sollte. Die Schweiz wiederum hat zuvor den WTO-Beitritt Russlands ermöglicht, indem sie im Streit mit Georgien, das zuvor Moskaus Mitgliedschaft blockiert hat, vermittelt hat.

 

„Bärenstarke“ Exporte nach Russland

Erst kürzlich freute sich zudem das Schweizer Statistik-Amt über „bärenstarke Exporte“ nach Russland, die seit dem Zerfall der Sowjetunion jährlich zwölf Prozent zugelegt haben und mittlerweile einen Umfang von fast 2,5 Milliarden Euro erreichen. Damit entfallen auf Russland rund 1,5 Prozent des Schweizer Exportvolumens.

Viel wichtiger aber sind die Aktivitäten russischer Konzerne in der Schweiz. Nach Angaben des Rohstoffberichts des Schweizer Bundesrats werden etwa drei Viertel der russischen Ölexporte über Genf abgewickelt, etwa über das in der Schweiz ansässige Ölhandelsunternehmen Gunvor. Und

auch Lukoil und Rosneft haben Vertretungen am Genfer See. Viele weitere russische Großkonzerne wie Norilsk Nikel, Evraz, Severstal und Metschel unterhalten ebenfalls Handelsabteilungen in der Schweiz. Diese Warenströme tauchen allerdings nicht in der Außenhandelsstatistik der Alpenrepublik auf, weil das Erdöl natürlich nicht die Schweizer Grenze überschreitet, sondern direkt an Abnehmer verkauft und geliefert wird.

Doch die Zusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf den Handel. Russische Investoren, allen voran der Milliardär Wiktor Wekselberg, interessieren sich auch für Schweizer Technologieunternehmen. Seine Holding Renova hält Anteile an mindestens vier Schweizer Unternehmen, darunter 44 Prozent am Maschinen- und Anlagenbauer Oerlikon und rund 40 Prozent am Spezialstahl-Hersteller Schmolz+Bickenbach. Zudem ist natürlich auch der Bankensektor für wohlhabende Russen interessant. Kürzlich bekannte German Gref, der Chef des größten Finanzinstituts Sberbank, in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung freimütig: „Die großen russischen Private-Banking-Kunden sind heute alle in der Schweiz.“

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