An der russisch-ukrainischen Grenze. Foto: AP
Moskau gab offiziell zu verstehen, dass Kiew die Interessen der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Südosten der Ukraine berücksichtigen sollte. Deren Bevölkerung spricht überwiegend russisch und sympathisiert mit Russland. Eben deshalb strebt der Kreml direkte Gespräche zwischen Kiew und der Führung der selbsternannten Volksrepubliken an. Bei diesen Verhandlungen sollen die Rahmenbedingungen der zukünftigen staatlichen Ordnung abgestimmt werden.
„Wir müssen schnell zu substanziellen, gehaltvollen Verhandlungen kommen, und zwar nicht über technische Fragen, sondern über Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der politischen Ordnung im Südosten der Ukraine, um die legitimen Interessen der dort lebenden Menschen vorbehaltlos zu sichern", hatte der russische Präsident Wladimir Putin kürzlich erklärt.
Im Ergebnis solcher Gespräche könnte die Ukraine sich in eine Konföderation verwandeln. Eben darüber sprachen Vertreter des Donbass am vergangenen Montag beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe im belarussischen Minsk. Sie sollen vorgeschlagen haben, den selbsternannten Volksrepubliken einen Sonderstatus einzuräumen, der eigene Streitkräfte und ein eigenes Gerichtswesen sowie Sonderregelungen für die außenwirtschaftliche Tätigkeit umfasst – bis hin zur Entscheidungsfreiheit über den Beitritt zur Zollunion. In diesem Falle würde es zwischen den Teilgebieten der Ukraine einen internen Zoll geben, was im Rahmen einer Konföderation nichts Außergewöhnliches wäre. Ihrerseits würde die Führung der selbsternannten Volksrepubliken größtmögliche Anstrengungen zur Aufrechterhaltung des Friedens und der Bewahrung eines einheitlichen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Raums der Ukraine zusichern.
Moskau tritt kategorisch gegen ein Auseinanderbrechen der Ukraine ein. Darauf verweist sehr deutlich die von Wladimir Putin an die Führung der selbsternannten Volksrepubliken gerichtete Bitte zur Wahrung einer ordnungsgemäßen territorialen Integrität der Ukraine.
Die Ukraine muss neutral bleiben
Nach den Worten Sergej Markedonows, Dozent an der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität, sei es Russland vollkommen egal, wie das Friedensabkommen zwischen Kiew und den selbsternannten Volksrepubliken im Südosten des Landes gestaltet wird. „Die Frage des Status ist zweitrangig. Für uns ist es nicht wichtig, ob dieser Prozess als Föderalisierung oder Konföderalisierung bezeichnet wird. Der Prozess dient lediglich dazu, die Ukraine zu einer Pufferzone werden zu lassen und nicht zu einem Staat, der dazu benutzt wird, Russland einzuschränken oder Einfluss (auf Russland) auszuüben", sagt Markedonow.
Dies ließe sich nur unter Wahrung der russischsprachigen Regionen der Ukraine, die ein Gegengewicht zu den antirussischen Kräften im Westen des Landes bilden, und deren Ausstattung mit einem Instrumentarium zur Kontrolle der Politik des Staates im Bereich der außenpolitischen Beziehungen, der Wirtschaft und sogar der Bildung erreichen.
Nun könnte natürlich ein ausländischer Beobachter sich die Frage stellen, wie die Erklärung des russischen Präsidenten mit der Unterstützung der Aufständischen in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk zusammenpasst? Politologen antworten darauf, dass der Kreml eine militärische Niederlage der Rebellen unter keinen Umständen zulassen könne, da die Kapitulation Donezks und Luhansks zu einer Umwandlung der Ukraine in einen Vorposten des Westens gegen Russland führen würde.
Im Prinzip ist die Ukraine für sich genommen nicht so wichtig als vielmehr im Kontext der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Der neutrale Status des Landes ist für den Kreml von vorrangiger Bedeutung. Das wird durch die Äußerungen offizieller Kreise deutlich. „Wenn die ukrainische Führung eine Neutralität ablehnt, wird dies zu sehr weit reichenden Konsequenzen führen. Die Appelle zur Auflösung des blockfreien Status der Ukraine rufen in Moskau sehr große Besorgnis hervor, besonders vor dem Hintergrund der Nato-Pläne für einen Ausbau ihrer Infrastruktur bis hin zur Grenze der Russischen Föderation", erklärte eine Quelle aus russischen Diplomatenkreisen gegenüber der Zeitung „Kommersant". Der Versuch der Kiewer Führung, den blockfreien Status aufzugeben, könnte das Ende der Schlichtungsversuche bedeuten.
Einige russische Politologen warnen davor, dass ein Hinauszögern des Verhandlungsprozesses zu einem Auseinanderbrechen des ukrainischen Staates führen könnte, wonach Moskau keine andere Wahl bliebe, als die Forderung der selbsternannten Volksrepubliken nach Unabhängigkeit zu unterstützen. „In ein bis zwei Monaten könnten die Kampfhandlungen sich über das Gebiet des Donbass ausdehnen, die Wirtschaft sowie der gesamte soziale und öffentliche Bereich könnten kollabieren, was zu einer neuen
politischen Krise führen würde. In dieser Situation wird Russland sich nicht länger über einen Kompromiss sorgen, sondern eine Pufferzone zwischen der vollkommen antirussisch gestimmten, halb zerstörten und den Krieg verloren habenden Ukraine und dem eigenen Territorium einrichten. Diese Pufferzone könnte das sogenannte ‚Neurussland' bilden, ein Gebiet von Odessa bis Charkow, das sich in einen neuen teilweise anerkannten Staat unter dem Protektorat Russlands verwandeln würde, ähnlich wie Transnistrien", erklärte der unabhängige russische Politologe Andrej Epifanzew gegenüber RBTH.
Entgegen der im Westen weit verbreiteten Meinung möchte Russland allerdings ein solches Szenario nach Möglichkeit vermeiden. Erstens, weil durch die Westukraine die Gaspipeline aus Russland nach Europa verläuft und deren Sicherheit in diesem Szenario in Gefahr geraten würde. Zweitens ist es offensichtlich, dass Moskau dieses Territorium unterhalten und wiederherstellen müsste, und zwar im Rahmen eines international nicht anerkannten Status.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!