Der ehemalige BILD-Reporter Peter Brinkmann: "Unter dem Brandenburger Tor habe ich wie viele andere auch nur vor Freude geweint. Die Diktatur war vorbei." Foto: Reuters
Am 9. November 1989 verlas SED-Politbüro Mitglied Günter Schabowski eine Vorlage zur neuen Reiseregelung in der DDR. Danach sollte jeder DDR-Bürger ins Ausland reisen können. Einzige Bedingung: Er musste einen Reisepass besitzen. Ein einfacher Text, der am 10. November ab 4 Uhr morgens „Ab sofort!“ in Kraft treten sollte. Doch Schabowski kannte den Text nicht, er hatte ihn vorher nicht gelesen. Und so las er zwar die richtigen Worte vor, aber die falsche Zeit. Peter Brinkmann, damals BILD-Korrespondent für die DDR, rief den entscheidenden Zwischenruf. RBTH sprach mit dem Journalisten in Berlin.
RBTH: Was haben Sie als Frage gerufen?
Brinkmann: „Ab sofort, ab wann? Und der zweite Ruf war ebenso bedeutend: Gilt das auch für West-Berlin?
Und Schabowski kam ins Schwimmen?
Schabowski liest vom Blatt noch einmal den Text ab. Wieder Unruhe im Saal. Es kommt eine Frage: „Mit Pass?“ Er sagt: Die Passfrage kann ich jetzt nicht beantworten. Ich rufe erneut: „Wann tritt das in Kraft?“ Schabowski sagt: „Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.“
Damit war eigentlich alles gesagt. Aber haben Sie verstanden, was es bedeutete?
Nein. Wohl niemand im Saal. Hieß es wirklich „Die Grenzen sind ab sofort geöffnet?“
Hat denn niemand nachgefragt?
Nicht so richtig. Denn Schabowski brach die Pressekonferenz nach seinen Ausführungen ab. Das DDR – Fernsehen verlas dann die Erklärung im Wortlaut. Aber da war eben vom 10. November die Rede und dann „Ab sofort!“.
Und die DDR Bürger legten sich schlafen?
Ja, ganz genauso. Denn wenn das erst am nächsten Tag, dem 10. November morgens ab vier Uhr gelten sollte, warum sollte ich mich jetzt beunruhigen? Das haben sich viele gesagt.
Bis dann das West – Fernsehen die Nacht zum Tage machte …
So war es. Denn die Westkanäle meldeten ab ca. 21.50 Uhr, die Mauer sei „ab sofort“ geöffnet. Die Fernsehbilder zeigten, dass sich Tausende durch die Mauer ganz ungehindert in den Westen von Berlin bewegten. Und auch wieder ebenso ungehindert zurückkommen konnten. Also war die Mauer – so wie ich gefragt hatte „Ab sofort“ geöffnet.
Historische Pressekonferenz am 9. November in Berlin. Foto: Peter Brinkmann
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was geschehen wäre, wenn Schabowski den Text genau verlesen hätte?
Eine oft gestellte Frage. Dann wäre es nur geordneter vor sich gegangen. Die DDR-Bürger hätten, wie diese es ja am 10. November auch gemacht haben, sich kilometerlang bei der Volkspolizei angestellt, um einen Pass zu beantragen. Das hätte sechs Wochen gedauert. Zu Weihnachten wäre also der Pass da gewesen und jeder, der gewollt hätte, hätte jetzt in den Westen reisen können. Vorausgesetzt er hätte auch Geld, die Deutsche Mark, dabei gehabt.
Und politisch?
Politisch hätten sich alle Deutschen in Ost und West gefragt: Reisen geht jetzt, wozu steht die Mauer noch? Also hätte man sich geeinigt, das Monster abzureißen. Nächste Frage: Wozu brauchen wir noch eine DDR? Damit wäre die Diskussion um die deutsche Einheit entfacht worden.
Da hätten dann aber die Alliierten, also Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion ein Wort mitreden wollen.
Ja, aber die USA standen fest hinter der Bundesrepublik Deutschland und wollten die Einheit. Paris und London waren dagegen.
Und Moskau?
War seit Januar 1990 auch für die Einheit!
Die Sowjetunion war schon so früh für die deutsche Einheit?
Ja. Das ergibt sich aus den Protokollen der Sitzung von Gorbatschow mit seinen Beratern am 25./26. Januar 1990. Hier wird der Weg zur Einheit frei gemacht. Und so kam es dann auch: Am Ende stimmten die vier Siegermächte der Einheit zu.
So hat Schabowski ungewollt dafür gesorgt, dass die Mauer fiel und die Einheit kam?
Ganz genauso. Ein Versprechen, aber mit großen Folgen.
Was haben Sie nach der Pressekonferenz gemacht?
Ich wollte noch vor dem Ende der Presskonferenz mit meinem – damals in der DDR noch illegalen – Funktelefon sofort meine Chefredaktion in Hamburg anrufen. Das gelang mir nicht. Ich bekam keine Verbindung. Also entschloss ich mich, die Nacht in Ost Berlin zu verbringen. Ich bin dann bis in den frühen Morgen des 10. November immer die Grenzübergangsstellen abgefahren. So habe ich den Sturm in der Bornholmer Straße, auf das Brandenburger Tor und auf den Übergangspunkt Heinrich Heine Straße hautnah und überaus erregt miterlebt.
Was haben Sie empfunden?
Eine riesige Freude, Erleichterung, Glück. Unter dem Brandenburger Tor habe ich wie viele andere auch nur vor Freude geweint. Die Diktatur war vorbei.
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