Eine Verbesserung der EU-Russland-Beziehungen rückt in weite Ferne. Foto: Reuters
Sergej Markendow, Politikwissenschaftler und Dozent am Lehrstuhl für Außenpolitik an der Russischen Staatlichen Sozialwissenschaftlichen Universität:
„Auch nach dem Gipfeltreffen in Mailand gibt es keinerlei Anzeichen für eine Lösung des Ukraine-Konflikts. Vielmehr liefert uns die aktuelle Krise zwei sehr wichtige Erkenntnisse: Die westliche Integration Russlands ist beendet und eine eigenständige russische Sicht auf die globalen politischen Prozesse wurde verkündet.
Der Westen sieht die Situation in der Ukraine und Russlands Ambitionen als einen Zusammenbruch der bestehenden Weltordnung an. Deshalb muss man sich in der aktuellen Situation an bestimmte Regeln halten, um die vereinbarten Abmachungen nicht zu gefährden. Wenn der Status quo, der bei den Minsker Vereinbarungen erreicht wurde, erhalten bleibt, dann kann sich daraus eine positive Dynamik in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen entwickeln. Um dies zu erreichen, muss ein klares und rationales Konzept für die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk entwickelt werden. Bislang überwiegen bei den beteiligten Parteien noch die Emotionen.
Jeder Durchbruch kann nur das Ergebnis eines ernsthaften Umdenkens sein. Entweder muss Russland seine Ansprüche auf die Rolle des Machtzentrums im postsowjetischen Raum aufgeben oder der Westen muss eingestehen, dass die Befürchtungen Moskaus gegenüber der Situation in der Ukraine berechtigt waren. Es ist aber auch eine dritte Lösung möglich: Die Durchführung eines zweiten Helsinki-Treffens, bei dem alle offenen Fragen auf den Tisch kommen und neue Spielregeln erfunden werden. Aber momentan sehe ich nicht, dass die Parteien dazu bereit wären."
Dmitrij Jestafjew, Politikwissenschaftler und Professor an der Higher School of Economics in Moskau:
„Die Europäer wollten das Gipfeltreffen in Mailand dazu nutzen, Russland zu einem Einlenken hinsichtlich des Ukraine-Konflikts zu bewegen. Aber Moskau verharrt auf seiner Position, wonach eine Lösung nicht von Russland abhängt. Die Ukraine müsse vielmehr einen Beweis ihrer Staatlichkeit vorweisen: freie Wahlen durchführen, die Krise meistern und dabei das Sozial- und Wirtschaftssystem unter Kontrolle bekommen. In erster Linie muss sich das Land jedoch für eine Richtung entscheiden – nach Osten oder Westen.
Bei dem Gipfel in Mailand durfte man nicht auf eine Veränderungen in den Beziehungen zwischen Russlands und Europa hoffen. Die Europäer orientieren sich an den Amerikanern und warten auf deren Ansage. Aber Washington schweigt bislang, weshalb die Europäer in einem Zustand der Untätigkeit verharren. Ein Dialog zwischen den beiden Parteien findet aktuell nicht statt. Und sogar wenn man es schafft, sich auf irgendetwas zu einigen, sind die Folgen unabsehbar. Was wird angesichts der nicht-existenten Staatlichkeit in der Ukraine und der unklaren Positionierung der USA am Ende passieren? Wirkliche Fortschritte sind erst im Mai 2015 zu erwarten, wenn in den USA der Präsidentschaftswahlkampf beginnt. Das Treffen in Mailand ist derweil einfach nur Propaganda."
Nadeschda Arbatowa, Leiterin der Abteilung für Politische Forschung an der Russischen Akademie der Wissenschaften:
„Einen Durchbruch hat es in Mailand nicht gegeben. Man hat lediglich über die Erfüllung der Minsker Vereinbarungen und die Umsetzung des
Waffenstillstandsabkommens diskutiert. Weil dieses Waffenstillstandsabkommen aber nicht eingehalten wird, konnte man ohnehin nicht erwarten, dass etwas Bedeutendes passieren würde.
Nach Mailand sind zwei zukünftige Szenarien für die russisch-westlichen Beziehungen denkbar. Das erste und wahrscheinlichste ist die ‚Transnistrien-Variante', schlicht ein Einfrieren des Konflikts. Aber dieses Szenario führt sicherlich nicht zu einem Neuanfang in den Beziehungen Russlands mit dem Westen. Das zweite und günstigste Szenario wäre eine vollständige Regulierung des Konflikts im Rahmen der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen sowie zusätzlicher Gespräche über eine Nachkrisenlösung zwischen Moskau, Brüssel und Kiew."
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