Der Ukraine-Konflikt soll die Diskussionen auf dem G20-Gipfel nicht beherrschen. Foto: Getty Images/Fotobank
Seit 2013, als Russland Gastgeber des G-20-Gipfels war, hat sich die Welt verändert. Damals, im September in Sankt Petersburg, hätte sich wohl keiner der Staats- und Regierungschefs der führenden Industrieländer träumen lassen, dass einer von ihnen die russische Mitgliedschaft in dem Club der Auserwählten jemals in Frage stellen könnte.
Tatsächlich jedoch wollte Australien, das eine unnachgiebige Position gegenüber Russland in der Ukraine-Frage einnimmt, als diesjähriger G-20-Vorsitzender Russland vom Gipfel ausschließen. Der Vorschlag fand allerdings nur wenig Unterstützung.
Dennoch stehen Wladimir Putin in Brisbane schwierige Tage bevor. Der australische Premierminister Tony Abbott kündigte Anfang November an, er werde die Flugzeugkatastrophe der malaysischen Boeing über Donezk thematisieren und den russischen Präsidenten auf dem Gipfel „attackieren". Das Flugzeugunglück war bereits Gegenstand eines kurzen Gesprächs zwischen Putin und Abbott am Rande des Treffens der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) Mitte November in Peking.
Offiziell ist der Ukraine-Konflikt kein Bestandteil der Tagesordnung des bevorstehenden Gipfels. Allerdings wird man dieses Thema in den Diskussionen kaum aussparen können. Der Pressesprecher des ukrainischen Präsidenten erklärte, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe in Telefongesprächen mit Petro Poroschenko die Situation in der Ukraine als eines der wichtigsten Themen des bevorstehenden Gipfels bezeichnet. Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Christiane Wirtz schließt laut Presseberichten nicht aus, dass es während des Gipfels zu einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Putin kommt. Auch der britische Premier David Cameron kündigte an, in der Ukrainefrage deutliche Worte gegenüber Präsident Putin zu finden.
Russland will wirtschaftliche Themen in den Vordergrund stellen
Ungeachtet der aktuellen politischen Auseinandersetzungen werden die G20 sich jedoch in erster Linie globalen wirtschaftlichen Problemen widmen. Der außenpolitische Berater des russischen Präsidenten Juri Uschakow erklärte, dass die Förderung des weltweiten Wirtschaftswachstums durch Investitionen in die Infrastruktur eines der wichtigsten Themen des Gipfels sei. Dieser Ansatz liege ganz im Interesse Moskaus, glaubt Sergej Drobyschewski vom Gaidar-Institut für Wirtschaftspolitik. Auch die russische Regierung setze verstärkt auf Anreize für mehr Investitionen in die Infrastruktur.
„Ein wichtiger Tagesordnungspunkt des Gipfels ist der Abbau der Handelsbarrieren und die Einbindung der Schwellenländer in den weltweiten
Handel", erklärte Drobyschewski. Für Russland wie auch für andere Schwellenländer sei nicht nur der Warenaustausch mit anderen Staaten, sondern vor allem die Zusammenarbeit im Bereich der Produktion wichtig.
Das Arbeitstreffen der Staats- und Regierungschefs zum Thema „Handel" finde am ersten Tag des Gipfels, dem 15. November, statt, so Präsidentenberater Uschakow. „Die Mitgliedschaft in der G20 gibt Russland neue Impulse für die Handels- und Investitionsbeziehungen mit anderen Ländern. Sie bedeutet unter anderem die Chance einer Annäherung zu den Ländern Ostasiens. Auf dem Gipfel kann Russland zeigen, welche Visionen es für die Entwicklung der Weltwirtschaft hat", erklärte Uschakow.
Der Leiter der Analyseabteilung bei der Deutschen Bank in Russland Jaroslaw Lissowolik merkte jedoch an: „Auf dem APEC-Gipfel in China hatte Wladimir Putin vor einer Zunahme regionaler Vereinbarungen gewarnt, da diese die Geschlossenheit der Integrationsprozesse gefährden könne. Diese Position wird er sicher auch auf dem Gipfel der G20 ins Feld führen und sich für ein gemeinsames Handeln im globalen Maßstab stark machen." Weitere Themen der Tagesordnung in Australien werden das Problem der Energieeffizienz und der Erhöhung der Transparenz auf den Energiemärkten sein. Dabei könnte Russland eine wichtige Rolle spielen, ist Lissowolik überzeugt.
Transparenz ist auch das große Ziel der G20 im Steuerbereich. Auf dem Gipfel des vergangenen Jahres in Sankt Petersburg war eine Initiative zur Beseitigung von Steueroasen beschlossen worden. In deren Ergebnis hat
die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bereits erste Schritte zur Bekämpfung von Offshore-Strukturen, zur Verhinderung doppelter Besteuerung und zur Ausweitung des Informationsaustauschs in Steuerangelegenheiten vorgelegt. Diese wurden von den Finanzministern der G20 auf einem Treffen im australischen Cairns im September dieses Jahres verabschiedet.
Für Russland hat das Thema Steuerhinterziehung eine große Brisanz. Zunächst müsse Russland seine nationale Gesetzgebung reformieren, mit der bislang noch nicht einmal die einfachsten Offshore-Tricks zur Gewinnoptimierung effektiv bekämpft werden könnten, meinten Experten gegenüber den russischen Tageszeitungen „Rossijskaja Gaseta" und „Kommersant".
Das russische Finanzministerium hat ein strenges Gesetz gegen Offshore-Strukturen erarbeitet. Es wurde vom russischen Parlament bereits in erster Lesung angenommen und dürfte in nächster Zeit endgültig verabschiedet werden. Es soll am 1. Januar 2015 in Kraft treten. Die von der OECD vorgelegten Maßnahmen könnten so auch in Russland schon in wenigen Jahren Resultate zeigen.
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