Russisches Oberhaus strebt nach mehr Macht

Der Föderationsrat steht gerade im Schatten der Staatsduma. Foto: Wladimir Fedorenko/RIA Novosti

Der Föderationsrat steht gerade im Schatten der Staatsduma. Foto: Wladimir Fedorenko/RIA Novosti

Die Vorsitzende des Föderationsrates Walentina Matwijenko bemüht sich um mehr Einfluss des Oberhauses im russischen Parlament. Experten kommentieren, dass die Abgeordneten in Russland an Autonomie gewinnen müssten, während gleichzeitig Präsident und Regierung an Einfluss verlieren würden.

2014 erlebte das Oberhaus des russischen Parlaments, der Föderationsrat, einschneidende Veränderungen. Aus der Parlamentskammer schieden zwölf Personen aus, von denen mehrere über lange Zeit Abgeordnete waren. Diese allmählichen Veränderungen im Föderationsrat sind mit seiner Besetzung verbunden, denn er stellt eine Versammlung von Vertretern der Regionen dar. „Die Wandlungen sind damit verbunden, dass die Gouverneure abgelöst werden, und dementsprechend wechseln ihre Vertreter", erklärt der Politikwissenschaftler Michail Winogradow, Präsident der Stiftung Petersburger Politik, und fügt hinzu: „Die Vorsitzende Walentina Matwijenko würde gern den Status des Föderationsrats aufwerten."

Die neuen Mitglieder des Oberhauses genössen an und für sich in ihren Regionen Ansehen und seien bekannt, bemerkt Alexej Makarkin, Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien. Doch dies wirke sich nicht unbedingt auf die Bedeutung dieser Institution insgesamt aus: „Erstens weil die Vertreter nicht vom Volk gewählt, sondern von regionalen Gremien für das Parlament empfohlen werden. Und zweitens ist der Föderationsrat in seinem Auftreten recht schwach, meistens billigt er lediglich Entscheidungen der Staatsduma", erklärt Makarkin.

 

Klub der regionalen Bosse

Die Art und Weise, wie das Oberhaus durch seine Mitglieder besetzt wird, änderte sich während seines Bestehens mehrmals. Anfang der Neunzigerjahre, als sich das politische System des modernen Russlands etablierte, kamen in den Föderationsrat Gouverneure der einzelnen Gebiete. Das damalige Gremium könne aber nicht als vollwertige Parlamentskammer bezeichnet werden, weil es aus Beamten im aktiven Dienst bestand, wie Dmitri Orlow, Generaldirektor der Agentur für politische und Wirtschaftskommunikation, anmerkt.

Später war es von erfolgreichen Unternehmern begehrt, die auf diese Weise versuchten, ihre Interessen in den jeweiligen Regionen durchzusetzen. Zu verschiedenen Zeiten gehörten dem Föderationsrat Personen von der russischen „Forbes"-Liste an, unter anderem der Milliardär Sulejman Kerimow, Besitzer des Fußballclubs Anschi, Andrei Gurjew, Anteilseigner der Holding Rosagro, und Andrei Moltschanow, Anteilseigner der größten russischen Holding in der Baubranche LSR. „Heute erinnert der Föderationsrat schon eher an eine Versammlung von Menschen, die sich für regionale Interessen einsetzen, als an einen Klub von regionalen Bossen oder Moskauer Lobbyisten, wie es früher der Fall war", sagt Orlow. „Das Parlament hat sich vom Einfluss des Großkapitals befreit."

Ernsthafte Wandlungen hätten sich im Föderationsrat Anfang der Zweitausenderjahre vollzogen, als politische Entscheidungen immer häufiger nicht von der Legislative, sondern von der Exekutive, das heißt vom Präsidenten und von der Regierung getroffen worden seien, meint Makarkin.

„Die Rolle beider Parlamentskammern änderte sich immer wieder, aber der Föderationsrat blieb stets das schwächere Gremium. Persönliche Eigenschaften der Abgeordneten sind nicht ausschlaggebend", sagt der Politikwissenschaftler.

Pawel Salin, Direktor des Zentrums für politikwissenschaftliche Forschungen an der Finanzuniversität bei der russischen Regierung, vermutet, dass der Föderationsrat nicht mehr mit Geschäftsleuten besetzt ist, weil dies für sie keine Vorteile mit sich bringe. „Milliardäre sind nicht mehr daran interessiert, Abgeordnete zu werden, weil dieses Amt mittlerweile keine Immunität mehr bietet", sagt er. „Heute stellt der Föderationsrat eine Art Personalreserve dar, das heißt, seine Mitglieder haben derzeit keine Vorstellung davon, wie sich ihre weitere Laufbahn gestalten wird."

 

Wohin führen die Veränderungen?

Dmitri Orlow sieht den derzeitigen Wandlungen optimistisch entgegen. „Heute tagen im Föderationsrat Politiker mit ernsthaften Absichten, die in ihren Regionen Einfluss haben. Nach ihrer Amtszeit in der Parlamentskammer können viele von ihnen zu Gouverneuren werden", so der Experte.

Michail Winogradow ist überzeugt, dass der Föderationsrat zu einem angesehenen Gremium im politischen Leben des Landes werden kann. „Um sich für die Interessen der Regionen einzusetzen, benötigt das Oberhaus mehr politisches Ansehen, mehr Vertreter und mehr Bereitschaft der Politiker

auf föderaler Ebene, die regionale Problematik in die Agenda aufzunehmen", bemerkt Winogradow und fügt hinzu: „Beide Parlamentskammern sollten als eigenständige Gremien betrachtet werden, die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen ausgleichen und sich nicht auf einzelne Entscheidungen konzentrieren, wie dies momentan der Fall ist."

Dabei könne der Föderationsrat durchaus die Rolle des weiseren Teils des Parlaments übernehmen, wie Winogradow anfügt. „Um den Föderationsrat zu stärken, müssten Regierung und Präsident an Einfluss einbüßen, heute fehlt dazu aber der politische Wille. So bleibt das Oberhaus nach wie vor im realen politischen Leben unterfordert", meint der Politikwissenschaftler.

Der Föderationsrat ist das Oberhaus des russischen Parlaments. Gesamtzahl der Mitglieder: 170, je zwei Vertreter von jeder russischen Region. Der Föderationsrat wird auch als „Regionalkammer“ bezeichnet, weil er dabei hilft, das Gleichgewicht zwischen föderalen und regionalen Interessen bei der Beschlussfassung zu halten.

Meistens billigen die Abgeordneten lediglich Gesetzentwürfe, die vom Unterhaus, der Staatsduma, erörtert und beschlossen worden sind. Sie können dem Unterhaus aber auch eigene Gesetzentwürfe unterbreiten.

Der Föderationsrat ist ein ständig arbeitendes Gremium. Im Gegensatz zur Staatsduma kann er vom Präsidenten nicht aufgelöst werden. Er wird auf unparteiischer Basis besetzt und strukturiert.

Erste Besetzung (Januar 1994 bis Januar 1996). Gemäß der russischen Verfassung von 1993 wurde der Föderationsrat ursprünglich von Bürgern in Zweimandatswahlkreisen für zwei Jahre gewählt, anschließend sollte das Besetzungsverfahren für den Föderationsrat in einem Sondergesetz bestimmt werden.

Zweite Besetzung (Januar 1996 bis Dezember 2001). Im Dezember 1995 wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem Gouverneure und Vorsitzende von gesetzgebenden Versammlungen der russischen Regionen dem Föderationsrat von Amts wegen angehörten.

Dritte Besetzung (Januar 2002 bis Dezember 2012). Gouverneure und Vorsitzende der Legislative wurden durch bestellte Vertreter ersetzt, die im Föderationsrat hauptberuflich arbeiten sollten, wobei einer von ihnen vom Gouverneur und der zweite von der Legislative in den Regionen bestellt wurden.

Vierte Besetzung (Dezember 2012 bis heute). Das neue Gesetz „Über das Verfahren zur Besetzung des Föderationsrates“ ist im Dezember 2012 in Kraft getreten. Demnach wurden die allgemeinen Anforderungen an die Anwärter geändert. Die fristlose Abberufung eines Abgeordneten durch den Gouverneur oder die gesetzgebende Versammlung der jeweiligen Region ist ausgeschlossen.

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