Putin zeigt sich im deutschen TV besorgt über ukrainischen Nationalismus. Foto: Michail Klementjew/TASS
In einem Exklusiv-Interview mit dem deutschen Fernsehsender ARD äußerte sich Russlands Präsident Waldimir Putin besorgt, dass die Bevölkerung des Südostens der Ukraine aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Ziel von Übergriffen werden könnte. „Wir sind sehr besorgt, dass der Wunsch aufkommen könnte, dort ethnische Säuberungen durchzuführen. Wir haben Angst, dass die Ukraine in diese Richtung abdriften könnte, zum Neonazismus", sagte Putin und erklärte weiter: „Es sind ja Menschen mit dem Hakenkreuz am Ärmel unterwegs. Auf den Helmen von Kampfeinheiten, die im Osten der Ukraine kämpfen, sehen wir SS-Symbole. (...) Deswegen befürchten wir, dass es ein Abdriften in diese Richtung geben könnte. Das wäre eine Katastrophe für die Ukraine und das ukrainische Volk."
Seiner Ansicht nach setzen auch die regulären Streitkräfte der Ukraine Mittel ein, die für die Unterdrückung eines Volksaufstandes nicht angemessen sind. „Heute gibt es Kampfhandlungen im Osten der Ukraine, die ukrainische Regierung hat die Armee eingesetzt. Es kommen sogar Raketengeschosse zum Einsatz, aber wird es erwähnt? Mit keinem Wort. Was bedeutet das? Was heißt das? Das heißt, dass sie wollen, dass die ukrainische Regierung dort alle vernichtet, sämtliche politischen Gegner und Widersacher. Wollen Sie das? Wir wollen das nicht. Und wir lassen es nicht zu", warnte Putin.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte in einem Interview mit der deutschen „Bild"-Zeitung, dass die Ukraine bereit sei für Kompromisse und keine militärische Lösung wolle, doch Russland halte sich nicht an Absprachen. Sein Land sei jedoch vorbereitet auf eine militärische Konfrontation mit Russland. „Ich habe keine Angst vor einem Krieg mit russischen Truppen und wir haben uns auf das Szenario für einen totalen Krieg vorbereitet. Unsere Armee ist in einem wesentlich besseren Zustand als noch vor fünf Monaten und wir haben Unterstützung aus der ganzen Welt. Unsere Soldaten zeigen, dass sie unser Land verteidigen können. Wir wollen nichts mehr als Frieden, aber wir müssen uns leider derzeit auch mit den schlimmsten Szenarien befassen", stellte Poroschenko klar. Die Ukraine hätte alle Vereinbarungen von Minsk eingehalten, so Poroschenko. „Russland dagegen verspricht etwas und tut am nächsten Tag genau das Gegenteil", klagte er in der „Bild"-Zeitung.
Der ukrainische Verteidigungsminister Stepan Poltorak hatte Ende vergangener Woche in einer Regierungssitzung erklärt, er gehe davon aus, dass die Streitkräfte des Landes sich auf eine Fortsetzung der Kampfhandlungen im Südosten einstellen müssten. „Wir beobachten einen Anstieg der terroristischen Aktivität auch von russischer Seite. Wir verfolgen ihre Fortbewegungen und kennen ihre Aufenthaltsorte. Und natürlich erwarten wir unvorhersehbare Aktionen", sagte Poltorak. Zudem teilte er mit, dass derzeit Truppen und Militärtechnik verlagert würden, um reagieren zu können. Im Donezbecken sei der Aufbau einer ersten Verteidigungslinie abgeschlossen, mit dem Aufbau einer zweiten werde gerade begonnen, so der Verteidigungsminister.
Die Ukraine startete ihre sogenannte Anti-Terror-Operation im April des Jahres. Ziel war die Unterdrückung von Aufständen in der Ostukraine, die nach dem Rücktritt von Wiktor Janukowitsch ausgebrochen waren. Nach Angaben der UN forderte der Konflikt bis zum 31. Oktober über 4 000 Todesopfer, mehr als 9 000 Menschen wurden verletzt. Auf Initiative Russlands und der OSZE wurde am 5. September ein Waffenstillstand vereinbart. Beide Konfliktparteien werfen sich seitdem vor, diesen nicht einzuhalten.
Wird Moskau militärisch intervenieren?
Alexej Arbatow, Leiter des Zentrums für internationale Sicherheit am Zentrum für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, bestätigt, dass Russland und die Ukraine Truppen verlagern. Er glaubt, dass Moskau bereit sei, sich bei einer Eskalation des Konflikts auch direkt einzumischen. Das gehe aus Putins Äußerungen hervor: „Wenn die Ukraine die Aufständischen auf militärischem Weg bekämpfen wird, wird Russland alle Möglichkeiten ausschöpfen, das zu verhindern. Das schließt meiner Meinung nach auch eine direkte militärische Einmischung nicht aus." Arbatow glaubt, dass Putin die notwendige Zustimmung des Föderationsrats für ein solches Vorgehen sicher sei.
Alexandr Konowalow, Präsident des Instituts für Strategische Wertung, hingegen rechnet eher nicht damit, dass Russland eine direkte militärische Konfrontation suchen wird, denn das würde einen Bruch der Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf Jahrzehnte bedeuten. „Putin hat den
Aufständischen lediglich die volle Unterstützung zugesagt. Moskau ist jedoch nicht bereit, einen Krieg zu führen. Es gilt noch immer: Der Konflikt geht uns nichts an, russische Soldaten kämpfen nicht in der Ukraine. Die russischen Soldaten in den Reihen der Aufständischen sind freiwillige Kämpfer", stellt Konowalow klar.
Der unabhängige Militärexperte Wiktor Litowkin glaubt, Russland sei bereit, Militär zur Friedenssicherung in die Ukraine zu entsenden, unter der Voraussetzung, dass der UN-Sicherheitsrat dem zustimmt. Die Aussichten für ein solches Szenario seien jedoch verschwindend gering, ist Litowkin überzeugt: „ Die USA, Frankreich und Großbritannien würden solche Pläne sofort blockieren." Litowkin geht davon aus, dass die Unterstützung der Bevölkerung des Südostens durch Russland ausschließlich in der bisherigen Form fortgesetzt werden wird: Russland wird Konvois mit Hilfsgütern liefern und die Flüchtlinge aus der Region unterstützen.
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