Medwedjew: Ölpreis und Sanktionen schaden Russlands Wirtschaft

Dmitrij Medwedjew glaubt an eine Diversifikation der russischen Wirtschaft. Foto: Reuters

Dmitrij Medwedjew glaubt an eine Diversifikation der russischen Wirtschaft. Foto: Reuters

In einer TV-Ansprache gestand der russische Ministerpräsident Medwedjew ein, dass die wirtschaftliche Lage in Russland ernst sei. Gleichwohl sei sie nicht hoffnungslos, denn der Staat habe ausreichend Reserven. Russland wolle künftig aber unabhängiger vom Erdölexport werden – ein Prozess, der Jahre dauern könnte.

In einer Rede vor den größten russischen Fernsehsendern rief Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew dazu auf, die Abhängigkeit der russischen Volkswirtschaft vom Erdölexport zu verringern. Medwedjew betonte, dass gegenwärtig die Reserven aus den Exporteinnahmen noch ausreichend seien, um die aktuell wirtschaftlich schwierige Lage zu überstehen. Die Möglichkeit, Reserven zu bilden, sei einer der Vorteile der Abhängigkeit vom Erdölexport, denn bei einem hohen Ölpreis könnten auch hohe Rücklagen gebildet werden, etwa in Form von Goldankäufen, erklärte Medwedjew. Dennoch sei es an der Zeit, die Abhängigkeit der russischen Volkwirtschaft vom Erdölexport zu verringern.

Medwedjew gab außerdem zu, dass die gegen Russland bestehenden Sanktionen sich unmittelbar auf das Wirtschaftswachstum auswirkten. Demnach betrage der daraus resultierende Verlust in Russland Dutzende Milliarden US-Dollar. Auch die europäischen Volkswirtschaften hätten Verluste in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro im Jahre 2014 zu verzeichnen. Für das Jahr 2015 wird mit Verlusten von etwa 50 Milliarden Euro gerechnet.

Medwedjew rief erneut dazu auf, die Sanktionen zum Anlass zu nehmen, über Importersatz nachzudenken. Gegen Russland beziehungsweise die Sowjetunion seien bereits früher schon Sanktionen verhängt worden, erinnerte der Ministerpräsident und verwies auf das Ankaufverbot von sowjetischem Gold und Handelsbeschränkungen für sowjetische Waren durch die sogenannte Jackson-Vanik-Klausel, die im Jahr 1976 eingeführt wurde. „Wir haben fast das gesamte 20. Jahrhundert mit ständig neuen Sanktionen gegen uns gelebt", sagte Medwedjew.

 

Russland muss seine Wirtschaft diversifizieren

Ilja Balakirew, Chef-Analyst von UFS IC, geht davon aus, dass die Lage diesmal aber besonders ernst sei, denn es sei das Gesamtpaket aus Sanktionen, Gegensanktionen, einem erschwerten Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, dem Währungsverfall und der gesamten außenpolitischen Situation, das der russischen Wirtschaft zu schaffen mache. „Die Verluste der europäischen Unternehmen sind transparent und vorhersagbar. Die Realverluste der russischen Wirtschaft aber sind allen Anzeichen nach um ein Vielfaches größer", so Balakirew. „Da gibt es den Rückgang der Effektivität, die eingefrorenen Projekte sowie die Suche nach einer Alternative für die bisherigen Lieferanten, Absatzmärkte und Finanzierungsquellen", zählt er auf.

Eine makroökonomische Umfrage von Reuters aus dem November hat zudem ergeben, dass der russischen Volkswirtschaft im kommenden Jahr die Rezession droht. In Anbetracht des unerwartet hohen

Bruttoinlandsproduktes im dritten Quartal des laufenden Jahres wurden die Wachstumsprognosen korrigiert. Nach vorläufigen Angaben des russischen Statistikamts Rosstat ist die russische Volkswirtschaft im dritten Quartal 2014 hochgerechnet auf das Jahresgesamtergebnis zwar um 0,7 Prozent gewachsen. Im zweiten Quartal hatte der Wert jedoch noch 0,8 Prozent betragen. Unterm Strich rechnen die Analysten von Reuters für 2014 mit einem Anstieg des Wirtschaftswachstums von 0,5 Prozent. „Die Verluste aus dem Verfall des Erdölpreises und des schwachen Rubelkurses, die mit den Sanktionen scheinbar nicht zusammenhängen, wirken sich unter den gegenwärtigen Bedingungen wesentlich stärker aus", sagt Balakirew. Durch den Kurssturz des Rubels sei der Wert der Einnahmen aus dem Erdölexport zwar gestiegen, der Lebensstandard aber deutlich gesunken, laut Balakirew um die Hälfte.

Um die Situation zu ändern und die russische Volkswirtschaft zu diversifizieren, hat die Regierung laut Medwedjew eine Reihe von Initiativen zur Schaffung und Modernisierung hochtechnologischer Betriebe gestartet.

„Eben das stellt eine Alternative zum Öl- und Gasexport dar – nämlich der Export von nicht-rohstoffhaltigen Erzeugnissen und von Nicht-Kohlenwasserstoffen", so Medwedjew. Für den neuen Kurs ist es seiner Meinung nach noch nicht zu spät, wenn eine Neuausrichtung auch nicht von heute auf morgen gelingen könne: „Der Zug ist noch nicht abgefahren, wir müssen lediglich begreifen, dass ein solcher Umbau der Wirtschaft und ihre Diversifikation nicht ein, nicht zwei, nicht drei und auch nicht zehn Jahre in Anspruch nehmen wird – es wird noch wesentlich länger dauern", machte Medwedjew klar, denn schließlich habe Russland und früher die Sowjetunion immerhin mehr als vierzig Jahre lang in völliger Abhängigkeit vom Erdöl gelebt. Angefangen hätte diese Abhängigkeit in den 1960er- und 1970er-Jahren. Heute sei die russische Volkswirtschaft zu 50 Prozent abhängig vom Export von Kohlenwasserstoffen und daher besonders verwundbar durch Preisschwankungen auf dem Erdöl- und Erdgasmarkt.

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