Barack Obama und Petro Poroschenko besprachen in September die Minsker Verhandlungen zur Ukraine-Krise. Foto: Reuters
Es wird erwartet, dass sich die multilaterale Ukraine-Kontaktgruppe bald erneut für Friedensverhandlungen in Minsk trifft. Als mögliche Termine waren bereits der vergangene Dienstag und der heutige Freitag genannt worden, doch die Verhandlungsparteien sind sich noch immer uneins. Dies zeigt, dass allein ein Stattfinden des Treffens bereits als Erfolg zu werten wäre.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte die Teilnahme zunächst verweigert. Eine direkte Verhandlung mit der Führung der selbst ernannten Volksrepubliken aus dem Südosten mit Russland und der OSZE in der Vermittlerrolle entsprach nicht seinen Vorstellungen. Lieber hätte er die Verhandlungen im sogenannten Genfer Format unter Beteiligung der USA und der Europäischen Union fortgesetzt, mit Russland als Verhandlungspartner. Doch Russland wollte sich nicht die Rolle einer Konfliktpartei zuweisen lassen und lehnte ab. Nachdem der US-amerikanische Vizepräsident Joseph Biden intervenierte, erklärte sich Poroschenko schließlich doch zur Wiederaufnahme der Minsker Verhandlungen bereit. Andrej Lysenko, Sprecher des Rats für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine, betonte allerdings, dass am Verhandlungstisch kein Platz für die Aufständischen aus den selbst ernannten Volksrepubliken sei. „Drei Parteien nehmen an den Gesprächen in Belarus teil: Russland, die Ukraine und die OSZE", sagte er.
Gespräche sind kein Garant für Frieden
Die Fortführung der Verhandlungen würde indes noch lange keine Aussicht auf ein baldiges Ende der Ukraine-Krise bedeuten. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage weiter verschärft. Es dürfte bereits schwer werden, zum Stand vom September zurückzukehren. Denn seither sind viele ausgehandelte Punkte der Minsker Vereinbarung gebrochen worden, wie Sergej Markedonow, Dozent an der Russischen Staatliche Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU) und einer der führenden Spezialisten für den postsowjetischen Raum, bemerkt. „Die Anweisung des ukrainischen Präsidenten, die Tätigkeit staatlicher Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen im Donbass einzustellen, die Weigerung, dort die Renten auszuzahlen, sowie die Aufgabe der Pläne, für den Südosten einen Sonderstatus zu schaffen – das alles hat dazu geführt, dass eine Fortsetzung der Verhandlungen schwierig wird", zählt er auf. Daher könne in Minsk möglicherweise nur erreicht werden, dass die Lage im Südosten der Ukraine nicht noch schlimmer wird, glaubt Markedonow.
Einem Kompromiss steht vor allem mangelndes gegenseitiges Vertrauen der Beteiligten entgegen. So wirft Wladimir Rogow, einer der Köpfe der selbst ernannten Volksrepubliken, der ukrainischen Seite anhaltenden Bruch des vereinbarten Waffenstillstandes vor: „Nicht einmal am sogenannten Tag der Stille, den die Ukrainer selbst ausgerufen haben, weil an diesem Tag eine Abordnung des Internationalen Währungsfonds in der Ukraine erwartet wurde, haben sie die Waffenruhe eingehalten", klagte er.
Die Lage an der Front, die derzeit von einem Übergang von Offensivoperationen zu einem Stellungskrieg gekennzeichnet ist, sollte auf den ersten Blick die Wiederaufnahme der Verhandlungen fördern. „Es gibt aber kein komplexes Verständnis, keine Wegekarte zu einem Ausgang aus dieser Situation. Deshalb erwarte ich keinen Durchbruch in Minsk, weil die Positionen der Parteien sich nicht verändert haben", erklärt Sergej Markedonow.
Die Fronten sind verhärtet
Petro Poroschenko stellt deutliche Forderungen: „Die Ergebnisse der Pseudowahlen vom 2. November auf den von den Terroristen besetzten Gebieten müssen aufgehoben werden und es muss mit der Vorbereitung von lokalen Wahlen nach ukrainischer Gesetzgebung begonnen werden", stellte er klar. Faktisch fordert er von den Aufständischen einen Verzicht auf ihre Souveränität.
Der Westen verlangt von Russland, auf die Aufständischen einzuwirken und sie dazu zu bringen, Poroschenkos Forderungen zu akzeptieren. Dazu sei Russland nicht bereit, weil das für Moskau keine Vorteile hätte, glaubt Sergej
Markedonow. Russland sei an einer vollständigen Niederlage der Aufständischen im Donbass nicht interessiert. Er geht davon aus, dass von Russland daher maximal zu erwarten sei, von den Aufständischen ein Zurückfahren der Kampfhandlungen und anhaltende Gesprächsbereitschaft zu fordern. Selbst das würde in den selbst ernannten Republiken aber bereits als Einmischung verstanden werden, die den Unwillen der dortigen Führung hervorrufe. Wladimir Rogow äußerte bereits seinen Unmut: „Die russische Elite glaubt, sie könne weiter in ihrer kleinen heilen Welt leben, mit ihren Reisen und dem Vermögen im Ausland. Sie müssen jedoch verstehen, dass es diese Welt nicht mehr gibt."
Vielleicht wäre Russland aber auch bereit, stärker auf die Aufständischen einzuwirken, wenn die Ukraine mehr Verständnis für die russische Position zeigen würde. Wladimir Putin wird nicht müde zu betonen, dass er das Donezbecken als Teil einer geeinten Ukraine betrachte, die aber föderalistisch sein und in der den einzelnen Regionen das Recht auf eine eigene Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik zugestanden werden solle. Doch Petro Poroschenko lehnt eine Dezentralisierung der Ukraine ab.
Sergej Markedonow mahnt den ukrainischen Präsidenten zur Vorsicht: „Er ist nicht der einzige politische Führer in der Ukraine. Seine Position ist nicht vergleichbar mit der Putins in Russland, Lukaschenkos in Belarus, Nasarbajews in Kasachstan oder der, die Gejdar Alijew in Aserbaidschan hatte. In der Ukraine gibt es mindestens noch ein Machtzentrum, zum Beispiel mit Arsenji Jazenjuk und seinen Anhängern, und sie alle sind wesentlich radikaler eingestellt. Poroschenko muss ihre Meinung ebenfalls berücksichtigen."
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