Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (rechts) begrüßt den ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk während des Nato-Gipfeltreffens in Brüssel am 15. Dezember 2014. Foto: Reuters
Formell gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen der am Dienstag beschlossenen Aufhebung der Blockfreiheit der Ukraine und einem möglichen Beitritt des Landes zur Nato. Ukrainische Politiker betrachten das Gesetz jedoch als Vorspiel zu diesem Schritt. Der Außenminister der Ukraine Pawlo Klimkin nannte die Entscheidung der Werchowna Rada eine „Wahl im Sinne der Interessen der Freiheit und Sicherheit".
Moskau jedoch vertritt eine andere Meinung. Die ukrainische Regierung schaffe „eine Illusion, dass man durch die Annahme solcher Gesetze die tiefe staatliche Krise der Ukraine lösen könne", kommentierte der russische Außenminister Sergej Lawrow.
Russische Experten halten die Entscheidung der Ukraine in erster Linie für einen propagandistischen Schritt. „Der Verzicht auf den blockfreien Status ist ein Symbolakt und man sollte hier keine Pragmatik suchen. Kiew vollzieht eine öffentliche Abnabelung von Russland und geht einen Schritt in Richtung Westen", sagte der Politikwissenschaftler und Dozent der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität Sergej Markedonow gegenüber RBTH. Seiner Ansicht nach könnten die Folgen dieser Entscheidung für die Ukraine eher negativ sein, sowohl innen- als auch außenpolitisch.
Markedonow zufolge sei das Verwerfen des blockfreien Status ein weiterer Schritt der Ukraine zum Aufbau eines Staates auf Grundlage einer „westukrainischen Identität". Dies werde den Konflikt zwischen Kiew und dem Donezbecken weiter verschärfen und die Beziehungen zwischen der Zentralregierung und allen russischsprachigen Regionen des Süd-Ostens der Ukraine belasten.
Außenpolitisch hat das Aufgeben der Blockfreiheit die letzten bestehenden Regeln im „Ukraine-Spiel" zwischen dem Westen und Russland außer Kraft gesetzt. Bisher war die Ukraine als Niemandsland angesehen worden. Dem Vorsitzenden der Staatsduma der Russischen Föderation zu GUS-Fragen Leonid Sluzkij zufolge komme der Schritt einer „Herausforderung Russlands" gleich, die „die die Emotionalität der russisch-ukrainischen Beziehungen noch weiter anheizt". Der Premierminister Russlands Dmitri Medwedjew sagte sogar, dass die Annahme des Gesetzes durch die Rada und ein Antrag der Ukraine auf einen Nato-Beitritt, die Ukraine zu einem potentiellen militärischen Gegner Russlands mache.
Der Kreml belässt es bei scharfen Äußerungen
Doch weiter als verbale Drohgebärden – wenngleich diese auch scharf ausfallen könnten – wird Moskau nicht gehen. Gründe für die Zurückhaltung gibt es mehrere. Im Kreml verstehe man sehr gut, dass „die Eskalation zu großen Problemen, nicht nur in der russischen Wirtschaft, führen kann", sagte Dmitri Suslow, Vizedirektor des Zentrums für Europäische und Internationale Komplexanalysen an der Universität Higher School of Economics.
Die Präsidenten Kasachstans Nursultan Nasarbajew und der Republik Belarus Alexander Lukaschenko hätten klar signalisiert, dass es in diesem Fall keine Unterstützung ihrerseits geben werde. „Fall Moskau beschließt, die Lage eskalieren zu lassen, wird es die Eurasische Union als auch womöglich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE)
verlieren und schließlich isoliert dastehen", führte Suslow gegenüber RBTH aus.
Des Weiteren bedeuten die Aufgabe der Blockfreiheit und die ständige Erwähnung eines Beitritts zur Nato durch ukrainische Politiker nicht, dass das Land auch tatsächlich dem Bündnis beitritt. „Der Wunsch der Ukraine genügt nicht. Die Nato selbst muss die Ukraine in ihren Reihen haben wollen. In der Allianz verspürt man bislang keine Bereitschaft, die bestehenden Verfahrensregeln zu überarbeiten und ein Land aufzunehmen, das offensichtliche Probleme mit einem Nachbarland sowie der territorialen Integrität hat", glaubt Sergej Markedonow.
Nato-Beitritt bleibt unwahrscheinlich
In der Allianz unterstütze man die Aufgabe der Blockfreiheit, denn sie „zementiert den taktischen Sieg des Westens und macht die Rückkehr der Ukraine in den Integrationsraum Russlands wenig wahrscheinlich", sagt Dmitri Suslow. Allein der Verteidigungsminister Polens Tomasz Siemoniak nannte den Beschluss, den blockfreien Status der Ukraine aufzuheben, einen „ersten Schritt der Ukraine in die Nato". Dabei sprach er allerdings als Vertreter Polens und keinesfalls für die gesamte Gemeinschaft.
Polen würde einen Beitritt der Ukraine zur NATO begrüßen, glaubt der Dozent der Higher School of Economics Dmitri Ofizerow-Belski. Die Aktualität der Ukraine-Krise und die Übertragung wichtiger Aufgaben
jedweder Art verleihe Polen internationales Gewicht. Doch die Lösung der Frage hänge nicht von Polen und dessen Verteidigungsminister ab.
„Die Äußerungen Siemoniaks sollten schon deshalb nicht überbewertet werden, weil die Lösung der Frage nicht von ihm abhängt. Sollte ein Nato-Beitrittsersuchen der Ukraine tatsächlich eingehen, dann müsste dieses von einer ganzen Gruppe westlicher Politiker sondiert werden, und die würden garantiert nicht allein aus Polen kommen", sagte Ofizerow-Belski gegenüber RBTH.
Bei einem Beschluss zur Aufnahme der Ukraine würden schlussendlich Länder wie Deutschland ein entscheidendes Wörtchen mitreden. Deren Außenminister Frank-Walter Steinmeier gab jedoch bereits zu Protokoll, dass die Ukraine in absehbarer Zukunft nicht zum Mitglied der Nato werde.
Das Bündnis sei durchaus zufrieden mit der aktuellen Situation des „unendlichen Wegs" der Ukraine in die Allianz. In einer ähnlichen Lage stecke die Türkei auf ihrem Weg in die EU. Deshalb werde die Ukraine „wohl kaum in absehbarer Zukunft Beitritts-Verhandlungen beginnen. Vielleicht wird es letztlich irgendeine Form der verstärkten Kooperation geben", ist Suslow überzeugt.
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