Leiter der russischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Alexej Puschkow. Foto: Michail Dschaparidse/TASS
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Sanktionen gegen Russland um weitere drei Monate verlängert. Eine große Mehrheit der Abgeordneten stimmte dafür, den russischen Vertretern das Stimmrecht weiterhin zu entziehen. Aus Protest gegen diese Entscheidung werde Moskau die kommenden Debatten boykottieren, teilte Delegationsleiter Alexej Puschkow mit. „Wir verlassen die Parlamentarische Versammlung bis zum Ende dieses Jahres und gratulieren den Abgeordneten zu dieser unangemessenen Entscheidung", sagte Puschkow. Sie habe dem gesamteuropäischen parlamentarischen Dialog einen herben Schlag versetzt. „Ich möchte betonen, dass Russland den Austritt aus dem Europarat bislang nicht in Erwägung gezogen hat. Durch die Entscheidung des Europarats rückt diese Überlegung jedoch in den Vordergrund", führte er aus.
Laut einer Quelle innerhalb der russischen Delegation müssten aufgrund der Entscheidung des Europarats, die Sanktionen, die bereits im April 2014 wegen des Anschlusses der Krim an Russland eingeführt wurden, zu verlängern, grundsätzliche Entscheidungen über die Mitgliedschaft Russlands in dieser Organisation getroffen werden. „Sie werden uns von einer Sitzung in die nächste schleppen, um uns unter Spannung zu halten. Ein Stimmrecht und die Möglichkeit, in vollem Umfang bei der Versammlung zu arbeiten, geben sie uns jedoch nicht", hieß es in der russischen Delegation. Es wurde betont, dass immer weitere Forderungen an Russland gestellt würden, während die russischen Delegierten den europäischen Parlamentariern entgegenkämen.
„Die Abgeordneten des Europarates haben in ihrer Resolution eine ganze Reihe von Forderungen formuliert, die per se unerfüllbar und absurd sind. Es geht unter anderem um die Wiedervereinigung der Krim mit der Ukraine oder den Abzug russischer Truppen von der Halbinsel", sagte Delegationsmitglied Alexej Aleksandrow gegenüber Ria Novosti.
Der erste stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für internationale Angelegenheiten beim Föderationsrat Wladimir Dschabarow ergänzt: „Die Entscheidung ist kein konstruktiver Weg, aber wir haben keine andere Wahl. Wir waren bereit, mit dem Europarat zusammenzuarbeiten, uns Kritik anzuhören und unsere Position in dem einen der anderen Punkt zum Ausdruck zu bringen. Aber jetzt hat man uns das Stimmrecht entzogen und will uns nicht weiter anhören."
Russland erwägt aus diesem Grund die Zahlung seiner Mitgliedschaftsbeiträge an die Parlamentarische Versammlung einzustellen. Diese belaufen sich auf etwa 32,3 Millionen Euro und machen 10,5 Prozent des gesamten Budgets der Organisation aus.
Schlussendlich wirft die Verlängerung der Sanktionen gegen die russischen Delegierten die Frage nach dem vollständigen Austritt Russlands aus dem Europarat auf. Puschkow erklärte, dass diese Frage Ende 2015 zu klären sein werde, „unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Situation". Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, kommentierte die Aussagen Puschkows folgendermaßen: „Ich bin der Meinung, dass wir uns
nicht gegenseitig mit Drohungen überziehen müssen, jemanden aus dem Europarat auszuschließen oder den Europarat zu verlassen". Für ihn sei unvorstellbar, dass es in einem modernen Europa überhaupt noch möglich ist, wieder Völker zu trennen und sich gegenseitig auszuschließen. „Wir müssen die Probleme vor denen wir stehen gemeinsam überwinden." Jagland ist der Überzeugung, dass Russland an der Mitgliedschaft im Europarat interessiert sei. Denn „genau dadurch hält Russland die Verbindung mit dem restlichen Europa aufrecht und zeigt sich selbst als eine europäische Nation". Seiner Meinung nach gebe es auch im Kreml Verständnis dafür.
Sergej Utkin, Leiter der Abteilung für Strategische Planung am Zentrum für SWOT-Analysen der Russischen Akademie der Wissenschaften, zweifelt in einem Interview mit der Internetzeitung „Gazeta.ru" an einem Austritt Russlands aus dem Europarat: „Ich habe den Eindruck, dass der Gesamtnutzen des Europarats selbst von der Mehrheit der Organisationskritiker nicht bestritten wird. Dementsprechend könnte der Bruch etwa so aussehen, wie vorher bereits der Verzicht der Abgeordneten, sich an den Tätigkeiten der Versammlung zu beteiligen, die für sie zugänglich blieben".
Allerdings wächst für Russland aktuell die Bedeutung anderer europäischer Strukturen. „Für einen aktiven Dialog zu europäischen Problemen werden wir andere Formen nutzen: Wir verlagern unsere ganze parlamentarische Aktivität in die Parlamentarische Versammlung der OSZE und in die Parlamentarische Versammlung für den Mittelmeerraum. In erster Linie geht es um eine Sicherheitsarchitektur", teilte Igor Morosow vom Ausschuss für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates mit.
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